Statement von Sozialistischeskaja Alternativa (ISA in Russland) vom 7.3.2022 auf Instagram Übersetzt von Christoph Wälz
Die Aktionen am 6. März sind auf eine neue Qualität von Unterdrückung durch das Regime gestoßen, das begonnen hat, die Methoden der belarussischen Sicherheitskräfte anzuwenden. In Jekaterinburg halfen schwarzgekleidete Männer ohne jegliche dienstliche Erkennungszeichen dabei, die Leute zu verhaften. In Moskau zwang die Polizei junge Leute dazu, ihr Zugang zu den Messenger-Diensten auf ihren Handys zu verschaffen. Die Gewalt, die wir letztes Jahr bei den Protesten nach der Rückkehr Nawalnys erlebt haben, ist uns wieder begegnet. Leute wurden geschlagen, auf den Boden geworfen, es wurden Elektroschocker eingesetzt.
Gegen die Inhaftierten wurde auf den Polizeirevieren Gewalt und Folter angewandt. Dabei waren die Polizist*innen sich ihrer Straflosigkeit bewusst, sie waren von der Richtigkeit ihrer Handlungen überzeugt. Auf dem Moskauer Polizeirevier Bratejevo konnte Alexandra Kaluzhskikh aufnehmen, wie sie während eines Verhörs geschlagen wurde. Die schreckliche Aufzeichnung, die von dem „Feministischen Widerstand gegen den Krieg“ veröffentlicht wurde, zeigt erneut, dass das Putin-Regime nicht nur gegen die Ukrainer*innen kämpft, sondern auch gegen das eigene Volk.
Zu einer Massenmobilisierung, die nicht gewaltsam aufgelöst werden kann, kam es am 6. März nicht, obwohl im ganzen Land mehr Leute auf die Straße gingen als in den Tagen zuvor. Wenn man die Welle von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen, die Abschaltung vieler Medien und die neuen repressiven Gesetze, die buchstäblich vor ein paar Tagen erlassen wurden, berücksichtigt, also eine neue Wucht der Einschüchterung und Abschreckung, dann kann man diese Mobilisierung als einen Punkt für die Antikriegsbewegung werten. Doch es stellt sich die Frage: Was sollen wir jetzt tun?
Das Regime wird jetzt Aktivist*innen suchen und bestrafen. Es haben bereits Entlassungen von Kriegsgegner*innen begonnen. Die seit 20 Jahren andauernde Politik der Unterdrückung von Freiheiten hat dazu geführt, dass weder die Arbeiter*innenklasse noch die Studierenden eigene Organisationen haben, die in der Lage wären, für einen solidarischen Kampf gegen den Krieg zu mobilisieren. Die Antikriegsbewegung muss aus dem Nichts aufgebaut werden, ohne jede Unterstützung von Gewerkschaften oder studentischen Organisationen und unter den Bedingungen des politischen Staatsterrors. Auf uns wartet eine harte Arbeit, fast schon im Untergrund.
In Moskau haben wir eine Aktion auf der Komsomolskaya organisiert, zu der etwa 1000 Leute kommen wollten. Allerdings waren um 15 Uhr alle Eingänge zum Platz von Polizei überschwemmt, die die Leute kontrolliert und Rucksäcke untersucht hat. Nachdem die Leute auf dem Manezhnaya-Platz auseinandergetrieben worden waren, kam noch mal eine Einheit von Eingreiftruppen zur Verstärkung zu uns herüber. Nach drei erfolglosen Versuchen uns zusammenzufinden und nach der Verhaftung des mutigen Frauenblocks haben wir die Entscheidung getroffen, die Aktion zu beenden. Unter diesen Bedingungen ist eine völlig andere Taktik nötig.
Anstatt eine erneute Mobilisierung anzustrengen, müssen wir die Antikriegsbewegung breiter aufstellen, also breitere Schichten der Gesellschaft heranziehen und organisieren. Die Wirtschaftskrise und die Sanktionen versetzen dem Lebensstandard ungeheuerliche Schläge. Millionen verlieren aufgrund von Kapitalflucht ihre Arbeitsplätze. Zusammen mit der Bestattung getöteter Soldaten und mit Zeugenberichten von Soldaten werden damit vielen die Augen über den Krieg geöffnet werden. Der Propagandaschleier wird fallen, besonders wenn sich der Krieg noch hinziehen wird. Die Bewegung wird wachsen, wenn es dem Regime nicht gelingt, heute ihren aktiven Kern zu erdrücken.
Was tun? Die Aktiven der Antikriegskomitees, für die in vielen Städten Ansätze geschaffen wurden, müssen unsere Kolleg*innen und Kommiliton*innen von der Notwendigkeit gemeinsamer Aktionen gegen den Krieg überzeugen. Sie müssen Kerne der Bewegung in den eigenen Betrieben und Universitäten aufbauen, die Agitation verbreiten und vorschlagen, einen Streik mit sozialen und Antikriegsforderungen, also wirkliche Massenproteste, vorzubereiten. Wenn Vertreter*innen dieser Kerne der Bewegung in den Betrieben und Universitäten auf stadtweiter Ebene zusammenkommen, dann können sie das Kräfteverhältnis einschätzen und die weiteren Schritte planen.
Wir hatten für den 9. März zu einem dreistündigen politischen Warnstreik aufgerufen. Aber in der derzeitigen Situation bei einem hohen Niveau an Repressionen würde das die kleinen Gruppen von Antikriegsaktivist*innen einer großen Gefahr aussetzen. Wir schlagen deshalb vor, den 9. März zum Tag der Agitation an den Arbeitsplätzen und in den Universitäten zu machen. Sprecht mit euren Kolleg*innen. Erklärt ihnen, wie sie tatsächliche Informationen über den Verlauf des Krieges erhalten können, bietet ihnen an, einen VPN-Tunnel zu installieren, diskutiert über den anstehenden ökonomischen Schock. Richtet einen Chat mit Gleichgesinnten ein, teilt euch die Anstrengungen zur Agitation unter den anderen Kolleg*innen auf.
Wir haben eine Vielzahl von Anfragen von Leuten bekommen, die zur Antikriegsbewegung dazustoßen wollen. Bis zum 6. März haben wir ein Drittel von ihnen noch gar nicht abgearbeitet. Jetzt verdoppeln wir unsere Anstrengungen, wir werden Leute in denselben Städten miteinander vernetzen und zusammen mit ihnen dafür arbeiten, die breitesten Massen zur Antikriegsbewegung heranzuziehen. Wir müssen zunächst die Bewegung stärken, bevor wir zur nächsten Massenmobilisierung aufrufen, und zusammen die Strategie und Taktik des Kampfes ausarbeiten.
Fort mit allen Kriegstreibern!
Fort mit dem Regime, das Krieg gegen das eigene Volk führt!