Oskar Lafontaine verlässt die Partei, die er mitgegründet hat. Seine Begründung: DIE LINKE habe sich von ihren Grundsätzen entfernt, den Fokus auf die soziale Frage und antimilitaristische Positionen aufgegeben. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, in der SPD zu bleiben. Das spricht Bände.
Von Sebastian Rave, Bremen
Dieser Artikel wurde vor der Landtagswahl im Saarland geschrieben, die auch von Lafontaines Parteiaustritt geprägt wurde. Der Sturzflug der LINKEN setzte sich dadurch fort. Schon vor dem Austritt von Lafontaine lag die Partei in Umfragen schon nur bei ca. 4%. Das Ergebnis von 2,6% ist eine weitere Ernüchterung. Statt Teil der sozialen Bewegungen an der Saar zu sein, war das Auftreten seit Jahren geprägt von zwei bürokratischen Blöcken, dem Landesvorstand um Thomas Lutze und der Landtagsfraktion um Oskar Lafontaine.
Lafontaine spielte eine entscheidende Rolle bei der Gründung der LINKEN. Sein Ultimatum, einer Partei links der SPD nur beizutreten, wenn sich WASG und PDS vereinigten, hat den Zusammenschluss der beiden so unterschiedlichen linken Parteien geradezu erzwungen. Nach der Fusion dominierte der Apparat und das Politikverständnis der PDS, deren Fixierung auf Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien zu ihrem zwischenzeitlichen Niedergang geführt hatte. Die WASG hatte hingegen den Anspruch, sich an keiner Regierung zu beteiligen, die Sozialabbau betreiben würde. Große Teile der LINKEN um Lafontaine entwickelten das Verständnis, dass die Partei dazu da sei, die SPD nach links zu rücken. Bei allem Linksgeblinke der Sozialdemokrat*innen: Das ist gescheitert – das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegszeit sollte Beweis genug sein.
Von „Fremdarbeitern“ und „Gastrecht“
Lafontaine hatte schon 2005, vor der Fusion, mit einer Rede seine Position verdeutlicht: In seiner „Fremdarbeiter-Rede“ forderte er den Staat auf, (deutsche) Arbeitnehmer*innen davor zu schützen, dass ihnen „Fremdarbeiter zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“ – problematisch ist dabei offensichtlich nicht nur der “Fremdarbeiter”-Begriff, sondern die “deutsche Arbeitnehmer*innen zuerst”-Politik. Es wuchs zusammen was zusammen gehörte, und bald stimmte auch Sahra Wagenknecht in den Chor derer ein, die von einem „Gastrecht“ von Flüchtenden aus Syrien redete, dass man auch verwirken könne. Dahinter steckt eine sozialdemokratische Logik, die die Möglichkeiten von Politik nur im Rahmen des bestehenden Systems und in den Grenzen des „eigenen“ Nationalstaats sieht.
Putin-Versteher*innen vs. Transatlantiker*innen
Aus der gleichen sozialdemokratischen Logik kommt der „Campismus“, ein Lagerdenken, das in der LINKEN schon vor dem Ukraine-Krieg schweren Schaden angerichtet hat: Statt sich auf die Seite der internationalen Arbeiter*innenklasse (die kein „Vaterland“ hat) zu stellen, schlug sich der Großteil der LINKEN auf die Seite eines der beiden „Camps“ – Russland oder NATO. Lafontaine gehörte dabei natürlich zum Lager der „Putinversteher*innen“, und nutzte diesen Begriff ganz unironisch noch im Februar dieses Jahres: „Der Westen muss zum Putinversteher werden, sonst gibt es keinen Frieden“. Der Bankrott dieser Politik ist mit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine deutlich geworden. Statt sich jetzt auf eine unabhängige Klassenpolitik zu besinnen, die für den Sturz der Kriegstreiber*innen in Ost und West eintritt, kommen von den ehemaligen Putin-Versteher*innen nur noch zahnlose Appelle ans „Völkerrecht“, ohne sagen zu können, wer das durchsetzen soll.
Auf der anderen Seite, im Lager der „Transatlantiker*innen“, wird zur Offensive geblasen. Jeder Hinweis auf den Expansionismus und Militarismus der NATO wird als „Whataboutism“ bezeichnet. LINKE-Abgeordnete machten mit bei den standing ovations für Selenskyj. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte Gysi, er habe keine Argumente mehr gegen einen NATO-Beitritt von Schweden und Finnland. Schon vor der Bundestagswahl im November letzten Jahres hatte Dietmar Bartsch das Programm der LINKEN über Bord geworfen. Eine Regierungsbeteiligung ginge auch ohne den Austritt aus der NATO. Im Ergebnis reiht sich DIE LINKE zur Zeit in die ganz breite „Volksfront gegen Putin“ von FDP bis DGB ein, ohne mit einer eigenständigen Politik sichtbar zu sein. Immerhin: Zur Ablehnung des 100-Milliarden-Aufrüstungspakets hat sie sich noch durchringen können.
Der Umgang der Partei mit dem Krieg stehtexemplarisch für die unklare Haltung auch in anderen Krisen. Schon in der Corona-Krise stellte sich die Bundestagsfraktion der LINKEN hinter die Pandemie-Politik der Bundesregierung, während ein anderer Teil der Partei von der Harmlosigkeit des Virus und der Gefährlichkeit des Impfens schwurbelte – zu Letzteren gehörte auch Lafontaine. In der Summe ergaben beide Fehler Null und DIE LINKE war gefühlt in die Quarantäne abgetaucht.
Lafontaine ist wie DIE LINKE in a nutshell: Ihm fehlte es an der nötigen Radikalität, um angemessene Antworten auf existenzielle gesellschaftliche Krisen zu finden. Der Versuch, diese „pragmatisch“ und kleinschrittig im Rahmen des Bestehenden und an den vermeintlichen Schalthebeln der (Regierungs-)Macht zu lösen, führt in die Sackgasse des Reformismus: Vom Protest zur Anpassung, von Beschränktheit zur nationalen Borniertheit. DIE LINKE muss aufpassen, dass sie nicht denselben Weg geht und irgendwann selbst „aus der Partei austritt“.
Bild: James Steakley, Oskar Lafontaine, 2011-03-21, CC BY-SA 3.0