Der Bundestag hat in seiner Sondersitzung am 27. Februar beschlossen, in diesem Jahr ein „Sondervermögen“ für die Aufrüstung der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro einzurichten, bei einem jährlichen Wehretat von bisher rund 50 Milliarden. Dieser von allen etablierten Parteien getragene Beschluss markiert eine Zeitenwende. Die Regierenden beschreiten den Pfad des Militarismus. In den Vorstandsetagen der Rüstungskonzerne dürften Sekt, Koks und Kaviar geordert worden sein.
Von Claus Ludwig, Köln
Die Bevölkerung wurde auf allen Kanälen auf harte Zeiten eingestellt. Ein ARD-Kommentator schien sich wie ein kleiner Churchill zu fühlen, der dem Vereinigten Königreich 1940 „Blut, Schweiß und Tränen“ im Kampf gegen Nazi-Deutschland prophezeite. Allein das Anheizen der Inflation durch die Sanktionen führt zu einer Umverteilung von den Arbeitenden zu den Besitzenden. Die zu erwartenden Sozialkürzungen in Folge eines riesigen Rüstungsprogramms werden dies verschärfen.
Plötzlich voll im Trend. Der Krieg in der Ukraine verschafft Rüstungsaktien ein eindrucksvolles Comeback. Dank kräftig erhöhter Verteidigungsausgaben könnten den Favoriten der Branche nun sogar ein langjähriges Wachstum bevorstehen … Mächtig im Aufwind ist an der Börse der hierzulande führende deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall. Die Düsseldorfer haben ein breites Portfolio an Kriegs- und Verteidigungstechnik im Angebot.
Wirtschaftswoche, 28.02.22
Schock über Putins Krieg
Die Kommentar in den öffentlich-rechtlichen TV-Sendungen wären noch von einer Woche undenkbar gewesen, ebenso wie der Beschluss des Bundestags zur Verdreifachung des diesjährigen Wehretats und die zuvor verkündeten Waffenlieferungen an die ukrainische Armee. Der verbrecherische Krieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine hat dieser Wende zur Militarisierung der deutschen Politik den Weg geebnet. Die Politiker*innen nutzen, dass viele Menschen angesichts der Brutalität des Angriffs geschockt und eher offen dafür sind, jede Lösung akzeptieren, von der behauptet wird, sie würde „Putin stoppen“.
In seiner Rede zur Begründung der militaristischen Wende bezog sich Kanzler Scholz positiv auf die mehreren Hunderttausend Menschen, die gleichzeitig in Berlin gegen den Krieg demonstrierten und behauptete, das Aufrüstungsprogramm wäre ein Akt der „Friedenssicherung“.
Doch in der Geschichte des Kapitalismus hat noch nie eine Phase massiver Aufrüstung zu Sicherheit, Stabilität und Frieden geführt. Auf solche Rüstungsprogramme folgen in der Regel mehr Spannungen und letztendlich Kriege. 1902 wollte das Kaiserreich die Seemacht Großbritanniens ausgleichen und beschloss ein Programm zum Bau einer Kriegsflotte. 1928 kam es zur „Panzerkreuzer-Debatte“, dem ersten großen Rüstungsvorhaben noch in der Weimarer Republik, ein Vorspiel zur Hochrüstung der Nazis.
„Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Ära des Wettrüstens herbeigeführt wurde …, sind wie eine Sturmflut über Europa hereingebrochen … Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung … erforderlichen Mittel. Für unser[e] … freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, … viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren …“
Erklärung der SPD zur Bewilligung der Kriegskredite, 1914
Scholz’ Äußerung über die Demo ist zynisch. Die Herrschenden nutzen die Sorgen der Menschen um ihre Sicherheit, um ihre Agenda der Aufrüstung durchzusetzen. Das verspricht satte Profite für die Konzerne und ermöglicht, dass der deutsche Imperialismus stärker als „Player“ eigenständig agieren kann.
Die Grünen stimmen damit nur wenige Monate nach Regierungseintritt aggressiven Maßnahmen zu – wie schon 1999 bei ihrem „OK“ zum Krieg gegen Jugoslawien – und nicken die massive Ausweitung klimaschädlicher Produktion und Ressourcenverbrauchs ab.
Weitere Proteste auf der Straße sind nötig. Aber nicht nur gegen Putins Verbrechen und in Solidarität den Antikriegs-Aktionen in Russland, sondern auch gegen die eigene Regierung, die durch ihre massive Aufrüstung unsere Sicherheit gefährdet, die Gefahr der Ausdehnung der Kriege in Europa erhöht und die Rechnung dafür den arbeitenden Menschen und den Armen präsentieren wird.
Kein Blut, keinen Schweiß, keine Tränen, keinen Cent für dieses System. Die 100 Milliarden Euro brauchen wir für das Gesundheitssystem, für Schulen und die Klimawende. Damit könnten Tausende Pflegekräfte und Lehrer*innend dauerhaft eingestellt und der öffentliche Verkehr massiv ausgebaut werden.