Aufwachen, DGB! Die Gewerkschaften müssen für höhere Löhne aktiv werden

Alles steigt, nur die Löhne nicht

Die Heizölpreise haben sich verdoppelt, Preise für Kraftstoffe sind um die Hälfte gestiegen, für Nahrungsmittel um 10%. Die Inflationsrate im März lag bei 7,3 % – so hoch wie während der  Ölkrise 1974. Die Gewerkschaften müssen jetzt in die Offensive gehen, damit die Löhne mit den Preisen Schritt halten können. 

Von Sebastian Rave, Bremen

Viele der Preis-Effekte des Krieges sind noch gar nicht angekommen: Das Fehlen von Getreide und Düngemittel aus Russland und der Ukraine wird zu einer globalen Lebensmittelknappheit führen, deren Folgen durch die Spekulation mit Getreide verschärft werden. 

Das ist nicht allein Ergebnis des Ukraine-Krieges. Die Unterbrechung von Lieferketten durch die Pandemie trägt dazu bei. Die Zentralbanken haben zur „Rettung“ der Wirtschaft im großen Maßstab Anleihen gekauft. Diese Maßnahmen haben die Märkte mit Liquidität überschwemmt und damit gewirkt wie in früheren Zeiten das Anwerfen der Notenpresse, die Entwertung des Geldes durch dessen Vermehrung, ohne dass die materiellen Werte entsprechend gestiegen wären. Mit dem Ende der neoliberalen Globalisierung und der ständigen Senkung der Produktionskosten durch Verlagerung enden somit auch die Jahrzehnte der Deflation, des Preisverfalls. Die Inflation ist jetzt in die Weltwirtschaft eingebettet. Die Arbeiter*innenbewegung muss dringend darauf reagieren. Wir schlagen folgende Maßnahmen vor: 

Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen

Menschen mit niedrigem Einkommen leiden am meisten unter den gestiegenen Preisen. ALG 2 reicht schon lange nicht mehr zum würdigen Leben. DIE LINKE fordert seine Ersetzung durch eine sanktionsfreie Grundsicherung von 1200 Euro  – diese müsste an die Inflation angepasst werden. Der Mindestlohn ist immer noch unter der Armutsgrenze, seine Erhöhungen seit 2015 sind insgesamt unter der Inflationsentwicklung geblieben. Ein Mindestlohn von 15 Euro würde 1,4 Millionen Menschen – davon zwei Drittel Frauen – helfen, über die Runden zu kommen. Damit die Inflation den Mindestlohn nicht auffrisst, muss seine Höhe an die Inflationsrate gekoppelt werden. Das gleiche gilt für Sozialleistungen wie BAföG, Kindergeld und Wohngeld.

Keine Tariflaufzeit länger als 12 Monate

In den letzten Jahren hat sich die Unsitte etabliert, bei Tarifverhandlungen Niederlagen als Siege zu verkaufen, indem eine Prozentzahl nahe am Ziel gefeiert wird, die mit langen Laufzeiten von teilweise über zwei Jahren erkauft wird. Die Kombination von im besten Fall mittelmäßigen Abschlüssen mit zu langer Laufzeit hat zu Reallohnverlusten und Schrumpfung der Gewerkschaften geführt, zum Beispiel im öffentlichen Dienst: Der aktuelle Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) hat eine Laufzeit von 28 Monaten bei 4,8 % Gehaltssteigerung, das sind magere 2% im Jahr. Der Tarifvertrag läuft im Dezember aus, ver.di muss für die Beschäftigten einen deutlichen Inflationsausgleich – auch nachträglich – rausholen. Für 2023 bedeutet das, dass – aus heutiger Sicht – 7% durchgesetzt werden müssten. Um die Verluste in 2022 rückwirkend auszugleichen, sind weitere 5% nötig. Wenn ver.di mit einer Forderung von 12% in die Tarifrunde ginge, gäbe es kaum noch Verhandlungsspielraum. Entweder die Forderung wird erhöht oder ver.di macht von Beginn an deutlich, dass es um die volle Durchsetzung der 12% geht.

Gleitende Lohnskala

In Belgien und Luxemburg gilt schon lange (in Luxemburg seit 1921) eine „gleitende Lohnskala“, auch „Indexlohn“ genannt: Löhne und Gehälter steigen mit der Inflationsrate, wenn diese 2% übertrifft – Verhandlungen und Streiks gibt es für Erhöhungen darüber hinaus. Auch in skandinavischen Ländern gab es eine solche automatische Lohnerhöhung früher, bis sich die Arbeitgeber*innen mit ihrer Forderung nach „flexiblen“ (also niedrigeren) Löhnen durchgesetzt haben. Die gleitende Lohnskala ist heute wieder brandaktuell. Die Gewerkschaften in Deutschland sollten für eine solche Kopplung an die Inflation in den Tarifverträgen kämpfen.

Steuersystem umbauen: Runter mit den indirekten Steuern

Ein Drittel des gesamten Steueraufkommens wird durch die Mehrwertsteuer eingenommen. Dazu kommen Energiesteuer, Tabaksteuer, Kfz-Steuer und weitere indirekte Steuern, die Menschen mit niedrigerem Einkommen anteilig deutlich stärker belasten als Reiche. Diese Massenverbrauchssteuern müssen gesenkt werden: Als erster Schritt zum Umbau des Steuersystems sollte die Mehrwertsteuer für alle Lebensmittel, Hygiene- und Gesundheitsprodukte auf 7% gesenkt werden. Stattdessen muss das Geld von den Reichen kommen: Ein System der direkten Besteuerung von Einkommen ist nötig. Die Progression muss stärker werden, die Unternehmenssteuern müssen erhöht und neue Steuern auf Vermögen, große Erbschaften und Finanzgeschäfte eingeführt werden. 

Preiskontrollen einführen & Spekulant*innen enteignen

Konzerne nutzen die Preissteigerungen, um zusätzliche Profite einzufahren. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs haben Mineralölkonzerne jeden Tag über 100 Millionen Euro zusätzlichen „Krisenprofit“ gemacht. Banken und Aktienhändler*innen nutzen die steigenden Getreidepreise zur Spekulation mit „Futures“ (ein Handel mit Kaufverträgen, deren Liefertermin in der Zukunft liegt; es geht dabei nicht um um die tatsächliche Lieferung des Getreides, sondern um eine Wette, wie sich der Preis entwickelt),  wodurch die Preise hoch und Menschen in den Hunger getrieben werden. Statt die Preise dem Markt zu überlassen, ist eine Preiskontrollkommission aus Vertreter*innen des Bundes, der Gewerkschaften, Mieter*innen- und Verbraucher*innenverbänden nötig, die bei übermäßigen Preiserhöhungen einschreiten kann. Wer seine Preise erhöht und nicht nachweisen kann, dass die Kosten im gleichen Maße gestiegen sind, sollte als Spekulant*in enteignet werden. Die Preise für lebensnotwendige Güter müssen festgesetzt werden. Wenn private Unternehmen die Produktion wegen mangelnder Profitabilität einstellen, sollte die Produktion verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden. 

Demokratische Planwirtschaft statt Diktatur des Marktes

Der Kapitalismus, der auf Profit und Konkurrenz basiert, wird immer wieder in Krisen geraten. Der Profit der Kapitalbesitzer*innen ist nichts anderes ist als unbezahlte Arbeit der Lohnabhängigen.  Sowohl Überproduktion und Überkapazitäten als auch die aktuellen Verknappungen und die daraus resultierende Inflation sind Ergebnisse des chaotischen Systems der Konkurrenz. Statt die Produktion der Konkurrenz auf dem Markt und dem Profitinteresse einiger weniger Besitzer*innen von Produktionsmitteln zu überlassen, schlagen wir eine demokratisch geplante Wirtschaft vor, in der nach den Bedürfnissen der Menschen und unter Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen produziert wird.