London, England, November 1974: Delegierte der Arbeiter*innen von Lucas Aerospace treffen sich mit dem britischen Industrieminister Tony Benn (Labour) um über die Sorgen von ca. 18.000 Arbeiter*innen aus 17 Werken zu sprechen.
Von Budi Budzynski, Bremen
Eine Wirtschaftskrise, strukturelle Änderungen in der industriellen Produktionsweise, Optimierung von Prozessen, die Auslagerung der Produktion in andere Länder und computergestützte Automatisierung führten im gesamten Land zu Entlassungen und dem Wegfall von Arbeitsplätzen. Um ihre Arbeitsplätze zu retten, forderten die Delegierten Lucas Aerospace zu verstaatlichen. Dadurch, dass jeder zweite Auftrag des Luft- und Raumfahrt-Unternehmens vom britischen (Kriegs-)Verteidigungsministerium kam, war das Unternehmen im Prinzip bereits stark subventioniert. Die Vergesellschaftung wäre nur ein kleiner Schritt gewesen.
Doch Tony Benn, lehnte ab, obwohl Labour noch im Wahlkampf gefordert hatte, die Luft- und Raumfahrt-Industrie zu verstaatlichen. Es würden sich keine Mehrheiten finden lassen, politisch seien ihm die Hände gebunden. Stattdessen schlug er vor, dass die Angestellten selbst einen Plan aufsetzen sollten. Das taten sie.
Die Erarbeitung des Plans
180 Personen an dutzenden Universitäten wurden mit der Frage angeschrieben, was getan werden kann. Was könnte produziert werden, um nicht nur zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch der Gesellschaft einen Mehrwert zu generieren? Lediglich drei Antworten trafen ein und die Arbeiter*innen beschlossen ihren Kampf selbst in die Hand zu nehmen.
Das Komitee sendete einen Fragebogen an alle Mitarbeiter*innen. Nicht nur sollte überlegt werden, welche Produkte die Werke, mit den vorhandenen Fähigkeiten und Maschinen herstellen könnten, sondern auch wie diese produziert werden sollen, um der vorherrschenden tayloristischen Produktionsweise etwas entgegenzusetzen, die die Arbeitenden lediglich als weitere Zahnräder der Maschinerie sah – nicht als Individuen.
Mike Cooley, ehemaliger Entwicklungsingenieur und Arbeitnehmer*innenvertreter erinnert sich: „Wir hatten sogar Klimakammern, in denen die Bedingungen des Weltraums simuliert werden konnten – und draußen, vor den Werkstoren, starben jeden Winter Tausende von alten Leuten an Unterkühlung, weil sie sich keine Heizung leisten konnten.“
Zivile Alternativen zu Raumfahrt und Rüstung
Innerhalb eines Jahres entwarfen sie einen alternativen Geschäftsplan mit einem Katalog von 150 Produktideen, aufgeteilt in Kategorien: Medizinische Ausrüstung, Transportfahrzeuge, verbesserte Bremssysteme, Energieeinsparung, Tiefseeforschung und Bergung und von Menschen ferngesteuerte (um keine Arbeitsplätze zu gefährden) spezialisierte Greifarme für z.B. Gefahrgutentsorgung. Im medizinischen Sektor wären es vor allem Dialysemaschinen gewesen, die bereits in einem der Lucas-Werke hergestellt wurden. Deren Produktion hätte nach dem Plan des Komitees um 40% erhöht werden können. In der Energiebranche: Windturbinen, Solarzellen, Wasserstoffzellen und Wärmepumpen. Produktideen für den Verkehr beinhalteten unter anderem Elektro-Hybridmotoren. Alles Produkte auf die die bisherige Produktion von Zubehör für Kriegswaffen ohne viel Aufwand hätte umgestellt werden können. Zeitgleich haben sie einen so hohen sozialen und ökologischen Nutzen, dass wir uns heute nur wünschen können, bereits vor 50 Jahren mit der Produktion begonnen zu haben.
Da es sich zwar um einen alternativen aber funktionierenden Unternehmensplan handelte, wurden im Vorfeld Marktanalysen der Produkte durchgeführt, um neben für die Gesellschaft wichtigen, aber wenig profitablen, Produkten, wie Dialysemaschinen, ebenfalls Produkte mit hoher Marge vorzulegen. So z.B. erschwingliche Wärmepumpen, welche nicht nur Menschen vor dem Erfrierungstod bewahrt hätten, sondern über einen geschätzten Marktwert von einer Milliarde Pfund im Jahr 1975 verfügten.
Auf diesen im Januar 1976 veröffentlichten Plan antwortete das Management, dass es die Zukunft weiter in der Luft- und Raumfahrt, sowie der Belieferung des britischen (Kriegs-)Verteidigungsministeriums sähe, obwohl sich die Branche im Niedergang befand und bereits tausende Jobs gekürzt wurden waren. In der Forschung und Produktion von Hybridmotoren als Alternative zum Verbrenner sehe das Unternehmen keine Zukunft.
Diese wirtschaftlichen Widersprüche lassen sich damit erklären, dass es nicht um die Produktpalette des alternativen Geschäftsplanes ging, sondern darum wer ihn vorstellte.
Ganz nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf – und ein Ding, das nicht sein darf, ist, dass Arbeiter*innen selbst bestimmen welche Produkte, in welchen Fabriken zu welchen Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Aus kapitalistischer Sicht konnte und durfte nicht der Präzedenzfall geschaffen werden, dass Arbeiter*innen über die Produktionsmittel bestimmen und über tatsächliche demokratische Teilhabe im Betrieb verfügen. Egal ob dies wirtschaftlich machbar wäre, das Klima schonen und Menschen direkt vor dem Tod bewahren würden.
Lehren aus dem Plan
Auch wenn der Plan der Beschäftigten am Ende nicht umgesetzt und die Betriebe geschlossen wurden, so zeigt der Lucas-Plan trotzdem ganz klar: Es ist möglich Rüstungsindustrie umzustellen. Auf eine klimafreundliche Produktion, auf eine nachhaltige und eine sozial sinnvolle Produktion. Und das ist durch die Beschäftigten zu machen.
In Britannien brachten Gewerkschafter*innen, Umweltaktivist*innen und Wissenschaftler*innen der Campaign Against Climate Change Trade Union Group (CACCTU, dt. Gewerkschaftsgruppe der Kampagne gegen Klimawandel) erst kürzlich eine umfangreiche Publikation mit dem Titel „Climate Jobs: Building a Workforce for the Climate Emergency“ heraus. Bereits beruhend auf vorherigen Broschüren (von 2009 und 2014) mit einem Plan für „eine Million Klimajobs“ legen sie dar, wie in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft, wie Energie, Verkehr, Hausbau, Industrie, Landnutzung und Recycling, nachhaltig und klimaverträglich gearbeitet und produziert werden könnte, wenn die Produktion umgestellt, Ressourcen anders gebraucht, Arbeiter*innen ggf. umgeschult und rational geplant würde.
Dabei gilt es in Britannien ebenso wie in Deutschland, und weltweit, solche Erkenntnisse mit der klaren Forderung nach Enteignung und Vergesellschaftung der Großkonzerne zu verbinden. Es gilt, in den Betrieben und in den Gewerkschaften diese Forderungen stark zu machen und im Austausch mit den Kolleg*innen selbst die Möglichkeiten für eine Transformation der Produktion auszuloten. Schließlichen wissen sie am besten, wie ihre Arbeitskraft und ihre Produkte sinnvoll und nachhaltig produziert und genutzt werden können. Und nur so ließe sich eine Umstellung der Produktion durchsetzen, die der Klimakrise wirklich etwas entgegensetzen kann und die dafür sorgt, dass Jobs erhalten bleiben, der ökologische Wandel auch ein sozialer Wandel wird und die Klimabewegung durch eine Verankerung in der Arbeiter*innenklasse gestärkt weiter wird.
Titelbild: http://lucasplan.org.uk/arms-conversion/ Zugriff: 13.4.2022, Arms Conversion, plane to turbine (Flugzeug zu Windrad)