Angriff auf demokratische Rechte
Putin ist spätestens mit dem Krieg von einem autoritären Regime zu einer offenen Diktatur übergegangen. Kriege begünstigen diktatorische Maßnahmen. Die Regierung Selenskyj hat alle Parteien verboten, denen vorgeworfen wird, „pro-russisch“ zu sein. Oppositionelle wurden inhaftiert. Soweit ist Deutschland nicht. Doch die ersten Politiker*innen geben uns einen Vorgeschmack, wie eine Kriegsmentalität geschaffen wird.
Von Claus Ludwig, Köln
Der FDP-Abgeordnete Alexander „Graf“ Lambsdorff bezeichnete die Teilnehmer*innen der diesjährigen Ostermärsche als „fünfte Kolonne Wladimir Putins, politisch und militärisch“. Der Begriff „Fünfte Kolonne“ bezeichnet die Truppen, die im Inland, für den Gegner arbeiten, der Begriff stammt aus dem Spanischen Bürgerkrieg 1936-39.
Das ging schnell. Gestern noch harmlose Träumer*innen, heute schon Wehrkraftzersetzer*innen und Putins Soldat*innen. Die „militärische“ Komponente der Ostermärsche ist auf den ersten Blick nicht erkennbar, was meint der werte Herr Graf damit? Und was schlägt er vor: Verhaften und als Kriegsgefangene behandeln? Wenn Eisenbahnarbeiter*innen oder Blockierer*innen Waffentransporte in die Ukraine behindern würden so wie Arbeiter*innen in Griechenland und Italien, was wäre Lambsdorffs Antwort – scharfe Munition statt Polizeiknüppel?
Wenn Frieren und Sich-Abfinden mit steigenden Preisen bald als nationale Tugenden im Kampf gegen Putin gelten – wie werden dann Gewerkschafter*innen bezeichnet, die Lohnerhöhungen erkämpfen? Die britische Premierministerin Thatcher definierte während des Falkland-Krieges 1982 die kämpferische Bergarbeiter-Gewerkschaft NUM als „the enemy within“ („der innere Feind“).
Lambsdorffs Äußerungen sind angesichts der Schwäche der Antikriegsbewegung lächerlich. Aber sie sind nicht ungefährlich. Bürgerliche Politiker*innen haben begonnen, „Feinde“ zu markieren. Das kann Rechtsextreme ermutigen, gewaltsam gegen Friedensdemonstrationen vorzugehen. Auch der Polizei wird so das Signal gegeben, gegen diese „Feinde“ ruppiger agieren zu können.
Lambsdorff geht es nicht um die Aufarbeitung der tatsächlichen Fehler von Teilen der Friedensbewegung, welche die Gewaltbereitschaft des russischen Imperialismus unterschätzt haben. Er nimmt alle ins Visier, die sich gegen die deutsche und die NATO-Aufrüstung stellen und die eigene herrschende Klasse und ihre geostrategischen Bestrebungen kritisieren. 1914 reloaded. Damals hieß es „vaterlandslose Gesellen“. Heute kann man Leute besser isolieren und ins Visier nehmen, wenn man sie mit Putin und dessen Angriffskrieg in Verbindung bringt.
Titelbild: Rufus46, Ostermarsch München 2006 2, CC BY-SA 3.0