Mehrere junge Frauen werfen der Partei DIE LINKE vor, diese habe nichts gegen übergriffige Funktionsträger*innen und chauvinistische Strukturen unternommen. Auch der Parteivorsitzenden Janine Wissler wird vorgeworfen, Kritik ignoriert zu haben. Die Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow ist inzwischen zurückgetreten.
Eine Partei, die den Anspruch hat, feministisch und sozialistisch zu sein, darf keinen Sexismus dulden, egal, ob durch Mitglieder an der Basis, Mitarbeiter*innen oder Funktionsträger*innen – sie würde damit nicht nur Frauen schaden und sich unglaubwürdig machen. Ihre interne Kultur wäre ein Hindernis für die Einbeziehung von Frauen und genderqueeren Personen und damit für einen gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus.
DIE LINKE existiert allerdings nicht im luftleeren Raum. Solange wir in einer Gesellschaft leben, deren Mitglieder von Patriarchat und Klassengesellschaft geprägt sind, wird es auch Fälle von Sexismus oder anderer Diskriminierungen innerhalb der Partei geben. Wichtig ist daher, wie DIE LINKE damit umgeht und ob es ihr gelingt, Sexismus zurück zu drängen und das Verständnis der Mitglieder weiter zu entwickeln, dass Sexismus spaltet und im Kampf für Verbesserungen und gegen den Kapitalismus schwächt.
Es ist gut, dass die bekannt gewordenen Fälle einen Aufschrei in der Partei ausgelöst haben. Das zeugt davon, dass die Mitgliedschaft, die jünger und weiblicher geworden ist, Fehlverhalten nicht duldet. Es wäre aber besser gewesen, wenn es schon vorher allen Mitgliedern bekannte Strukturen und Beratungshilfen gegeben hätte, an die Genoss*innen sich hätten wenden können.
Die unzureichenden innerparteilichen Mechanismen haben dazu geführt, dass die Vorwürfe über die Medien verbreitet wurden. Sowohl der SPIEGEL als auch parteiinterne Gegner*innen von Janine Wissler haben dies genutzt, um die zum linken Flügel gehörende Vorsitzende in den Mittelpunkt zu rücken, obwohl die mutmaßlichen Täter Männer sind.
Neue Strukturen
Der Parteivorstand hat als Reaktion einen Text beschlossen, der Änderungen verspricht. Die Satzung soll angepasst werden, um auch Disziplinierungen unterhalb eines Ausschlusses vornehmen zu können. Es sollen “Vertrauensgruppen” geschaffen werden, an die sich Betroffene wenden können. Diese Vertrauensgruppen sollen Beschwerden aufnehmen und gegebenenfalls an die Schiedskommission weiterleiten, im Falle von schwerwiegenden Fällen auch an die Strafverfolgungsbehörden. Diese sollen allerdings nicht von der Mitgliedschaft gewählt und ihr gegenüber rechenschaftspflichtig sein, sondern von den Vorständen ernannt werden.
Besser wären eine vom Vorstand unabhängige und gewählte Kontrollkommission bzw. mehrere Kommissionen auf regionaler oder lokaler Ebene, die Beschwerden der Mitglieder entgegennehmen, Fälle untersuchen und bewerten, wozu auch gehört, allen Betroffenen und Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern. Taten wie verbale oder körperliche sexistische Angriffe können häufig nicht “bewiesen” werden. Daher würden die Aufgaben einer Kontrollkommission über einen bürgerlichen Gerichtsprozess hinausgehen, bei dem die “Schuld” oder “Unschuld” festgestellt wird.
Es geht auch darum, über den konkreten Fall hinaus Diskriminierungsmuster und -Strukturen innerhalb der Partei zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, die einem feministischen Anspruch gerecht werden. Dazu gehören Schulungen und Schlichtungen, sowie Maßnahmen, die zum Ziel haben, übergriffiges oder diskriminierendes Verhalten durch bewusste Auseinandersetzung und Selbstreflexion zu überwinden. Solche Kommissionen müssten auch Suspendierungen vornehmen und Ausschlüsse empfehlen können.
Geld, Einfluss, Seilschaften
Die Unabhängigkeit der Kontrollkommission von den Vorständen ist auch wichtig, weil in Hessen männliche Mitglieder mutmaßlich Machtpositionen ausgenutzt haben. Genoss*innen, die Funktionen innehaben oder von der Partei bezahlt werden, müssen sich besonders über gesellschaftliche Machtverhältnisse bewusst sein, die mit Altersunterschieden, politischer Erfahrung oder Position einhergehen. Und wenn sie es nicht sind, braucht die Partei Mechanismen, um diese Männer von ihren Positionen schnell zu entfernen.
Eine Partei mit gut bezahlten und prestigeträchtigen Jobs läuft Gefahr, die falschen Charaktere anzuziehen. Die etablierten bürgerlichen Parteien sind voll von karrieristischen Sexisten. DIE LINKE hat einen anderen Anspruch. Um den Karrierismus in der LINKEN zu bekämpfen, schlagen wir eine jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionär*innen vor, eine jederzeitige Rechenschaftspflicht und die Begrenzung der Bezahlung auf ein durchschnittliches Arbeitnehmer*innen-Gehalt vor (Industrie-Facharbeiter*in bzw. TVÖD).
Der Kampf gegen Diskriminierungsmuster in den Köpfen, gegen Rollenbilder, gegen erlerntes sexistisches Verhalten, muss ein bewusster, politischer Prozess sein. Dabei geht es nicht darum, die politische Utopie eines komplett von Unterdrückung freien Raumes im Kapitalismus zu schaffen, sondern die Partei zu einem Werkzeug zu machen, die Gesellschaft zu verändern und alle Formen von Unterdrückung zu bekämpfen.