Hetze gegen Russ*innen wird offen rassistisch – Linke und Gewerkschaften müssen handeln!
„Wir dürfen nicht vergessen, auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne, dass sie einen anderen Bezug zu Gewalt haben, einen anderen Bezug zu Tod haben.“ verkündete die Politikwissenschaftlerin Florence Gaub vom EU-Institut für Sicherheitsstudien unwidersprochen zur Prime Time bei „Markus Lanz“.
Von Claus Ludwig, Köln
BILD kommentierte die Bilder aus Butscha mit „ELENDE BARBAREN“. Bei diesen Äußerungen geht es nicht um das Regime, die Militärführung oder diejenigen, welche die Kriegsverbrechen konkret durchführen. Es geht um „die Russen“, oder wie es in Deutschland lange hieß, „den Russen“. Die Bevölkerung Russlands und Menschen russischer Herkunft werden verbal aus der „Zivilisation“ ausgegrenzt.
Es ist gut, dass es viel Empathie und Hilfe für die Menschen in der Ukraine und die Geflüchteten gibt, auch seitens der Gewerkschaften. Linke und Arbeiter*innenbewegung dürfen jedoch nicht die Augen vor der offenen und unterschwelligen Ausgrenzung von Russ*innen verschließen. Diese Ausgrenzung führt zur Spaltung vor Ort, kann zu Problemen in Betrieben und Stadtteilen führen.
Noch gefährlicher ist die außenpolitische Wirkung: Die verbale Entmenschlichung von Russ*innen ist nichts anderes als Kriegsvorbereitung. Wenn der Gegner so „barbarisch“ ist, erscheinen eigene Brutalitäten oder die der Verbündeten als legitim. Die bereits stattgefundenen Verbrechen ukrainischer Einheiten – Folter oder Mord an russischen Kriegsgefangenen oder vermeintlichen Kollaborateur*innen – waren nur kurz in den Medien. Sollten ukrainische Truppen oder gar NATO-Einheiten offensive Aktionen durchführen, wird es weitere Verbrechen geben, auch an der Zivilbevölkerung.
Cancel Culture im Krieg
Die Ausgrenzung begann direkt nach Kriegsbeginn. Supermärkte nahmen russische Produkte aus dem Sortiment, zum Teil wurden auch Produkte entfernt, die nur dem Namen nach russisch waren. Absurde Höhepunkte dieses Tilgens des „Russischen“ waren Absagen von Konzerten oder Lesungen klassischer Werke, geschaffen von Menschen, die bei Putins Geburt nicht mehr lebten.
Projekte an Unis wurden beendet, teilweise mussten Studierende gehen, weil es ihnen nicht mehr möglich war, Geld aus ihrem Heimatland zu bekommen. Henriette Reker, Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, pausierte die Städtepartnerschaft mit Wolgograd per Verfügung. Russische Sportler*innen – darunter auch Gegner*innen des Krieges – dürfen nicht mehr unter der Flagge ihres Landes auftreten. Diese Maßnahmen treffen nicht das Regime, aber sie transportieren eine Botschaft: Es ist nicht nur das Regime. „Die Russen“ sind das Problem. Es lohnt sich nicht, mit ihnen zu reden. Die Wirkung entfaltet sich in zwei Richtungen: Russ*innen oder Menschen russischer Herkunft geraten unter Druck, sich mit dem eigenen Land und damit dem Regime zu solidarisieren. Für deutsche Nationalist*innen oder Rassist*innen wirkt das als Signal, dass es in Ordnung ist, tatsächliche oder vermeintliche Russ*innen zu diskriminieren oder gar anzugreifen. Bis Anfang April verzeichnete das Innenministerium über 300 antirussische Straftaten.
Angriff auf sowjetisches Ehrenmal
Im öffentlichen Diskurs der Nachkriegszeit wurden die ungeheuren Verbrechen der Wehrmacht relativiert, welche zu über 27 Millionen Toten in der Sowjetunion geführt hatten. Die Übergriffe der Roten Armee bei ihrem Vormarsch nach Deutschland wurden hingegen massiv aufgeblasen. Vor allem die CDU rettete das Nazi-Bild des „düsteren“, „verschlagenen“ Russen hinüber in die Bundesrepublik.
Antirussische, antislawische und antisowjetische Hetze werden auf zum Teil absurde Weise vermischt. Anfang April wurde das Treptower Ehrenmal für die bei der Befreiung Berlins gefallenen Rotarmist*innen unter anderem mit der Parole „Tod allen Russen“ beschmiert. Doch jede*r fünfte Angehörige der Roten Armee war ukrainisch. Die Ukraine trug ein Großteil der Last des Krieges gegen Nazi-Deutschland, Ukrainer*innen spielten eine große Rolle im Widerstand. Wer das Ehrenmal beschmiert, schändet auch sie.
Der Druck gegen alles „Russische“ ist nicht einfach nur übertriebene Putin-Kritik. Der Kern ist rassistisch und brandgefährlich, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Die Linke und die Arbeiter*innenbewegung, konkret die Gewerkschaften, müssen sich an die Seite der Kolleg*innen russischer Herkunft stellen und eine Aufklärungskampagne starten, für die Verteidigung demokratischer Rechte, auch das Recht, eine „falsche“ Meinung äußern zu dürfen, gegen die Spaltung, für die gemeinsamen sozialen Interessen. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen unten und oben.