In den letzten Jahrzehnten sei die Bundeswehr kaputtgespart worden und es sei ein Segen, dass nun endlich ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro locker gemacht und das 2-Prozent-Ziel jährlicher Rüstungsausgaben künftig erfüllt werde. Aber ist das so? Liegt der angebliche oder tatsächliche desolate Zustand unserer „Verteidigungstruppe“ in fehlenden Finanzen begründet?
Von Christian Kubitza, Köln
Die Bundeswehr wurde am 12. November 1955 gegründet, und zwar laut Artikel 87a Grundgesetz zur Verteidigung des Landes. Der Verteidigungsfall tritt laut Artikel 115a ein, wenn das „Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“. Seither hat sich die Bundeswehr tiefgreifend verändert. Mit der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Ende des Kalten Krieges, waren die Grundlagen weggefallen, denen die Bundeswehr ihre Entstehung verdankte. Es fand eine Metamorphose von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee statt. Nach Abschluss ihrer Aufbauphase und Erreichung ihres vorgesehenen Umfangs Anfang der 1980er Jahre zählte die Bundeswehr rund 495.000 Dienende. Heute verfügen die Streitkräfte über insgesamt ca. 265.000 Beschäftigte, davon rund 184.000 Soldat*innen (13% weiblich) und 81.000 Zivilbeschäftigte (38% weiblich).
Von der Verteidigungs- zur Interventionsarmee
Die Regierenden nutzten fortan jede Möglichkeit, die Bundeswehr Schritt für Schritt zu einer Interventionsarmee umzubauen, beginnend mit „humanitären“ Rettungseinsätzen im Golfkrieg 1991. Helmut Kohl erklärte dazu bereits bei seiner Regierungserklärung im ersten gesamtdeutschen Bundestag am 4. Oktober 1990, dass das vereinte Deutschland seiner „internationalen Verantwortung“ gerecht werden wird. Über die humanitäre Hilfe in Kambodscha und die Unterstützungsoperation in Somalia, über die Einsätze in Kroatien, Bosnien und die Beteiligung am NATO-geführten Luftkrieg gegen das damalige Jugoslawien 1991 zeigte Deutschland eine immer stärker werdende Teilnahme an militärischen Operationen innerhalb wie außerhalb der NATO.
Zwischen 1992 und 2001 wurden Strukturreformen beschlossen, die den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr um die Aufgabe sogenannter „friedenserhaltender“ und „friedenschaffender“ Einsätze erweiterten. Der ehemalige Verteidigungsminister Struck erließ 2003 neue Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) und die darauf basierende „Bundeswehrstruktur 2010“. Damit nahm er den Streitkräften den Verteidigungsauftrag als zentralen offiziellen Daseinszweck und bediente die Interessen deutscher Konzerne in Zeiten der Globalisierung: Sicherung der Investitionen, Handelsrouten und Rohstoffversorgung. Die neuen VPR besagen, dass an die Stelle der Landesverteidigung ein neues, ein „weites Verständnis von Verteidigung“ getreten ist und dass „Verteidigung … heute … die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge“ einschließt, weshalb sie auch nicht mehr geographisch eingegrenzt werden könne.
Die Auslandseinsätze waren und sind nicht durch das Grundgesetz, sondern ausschließlich durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 legitimiert. In diesem wurde festgestellt, dass „Out of area“-Einsätze der Bundeswehr, die sich auf Entschließungen der Vereinten Nationen stützen oder direkt auf Ersuchen der Vereinten Nationen stattfinden, verfassungskonform sind, wenn der Bundestag vorher zugestimmt hat. Die Definition von Verteidigung wurde somit schon früh höchstrichterlich verunstaltet und legitimierte so den von Struck geprägten Ausspruch: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“, mit dem der Kampfeinsatz in Afghanistan gerechtfertigt wurde.
Die Bundeswehr weist 29 abgeschlossene Auslandseinsätze aus. Aktuell ist sie an 12 Einsätzen auf drei Kontinenten (Kosovo, Jordanien, Irak, Mittelmeer, Mali, Libanon, Horn von Afrika, Südsudan, Westsahara) beteiligt und führt zusätzlich neun sogenannte „Anerkannte Missionen“ im Ausland (Litauen, Slowakei, Ägäis, Nordatlantik, Mittelmeer, Baltikum, Rumänien) durch.
Folge dem Geld!
Betrachten wir die jährlichen Militärausgaben Deutschlands seit 2014 (Krim-Annexion), so stellen wir fest, dass sich diese bis 2020 um 12,8 Milliarden US-Dollar auf 52,8 Milliarden US-Dollar erhöht haben, also um satte 32%. Spätestens seit 2015 stiegen die Jahresausgaben kontinuierlich an, den größten Sprung gab es von 2018 zu 2019 (von 44,7 auf 49 Milliarden). Im Jahr 2021 gab Deutschland laut aktuellem Bericht des Stockholm International Peace Research Institute (sipri) 51,8 Milliarden Euro für sein Militär aus, was 1,3% des BIP entspricht. Damit liegt die Bundesrepublik auf Platz drei im Ranking der Staaten Mittel- und Westeuropas. Das klingt nicht danach, als wären fehlende Gelder das Problem. Doch wo sind diese Milliarden versandet, wenn man immer wieder lesen muss, dass deutsche Streitkräfte weder über fliegende Hubschrauber noch über fahrende Panzer oder Schiffe verfügen?
Erst einmal werden die Berichte von interessierten Kreisen aufgebauscht, um die Bereitstellung von noch mehr Geld für das Militär zu rechtfertigen. Die Bundeswehr ist nicht kaputt, wie uns immer erzählt wird. Allerdings ist sie angesichts der riesigen Summen, die ihr zur Verfügung stehen, vergleichsweise schlecht aufgestellt. Hier kann man zwei Punkte in den Vordergrund stellen: Aufgeblasene Verwaltung und der Einsatz externer Berater*innen. Insbesondere unter der ehemaligen Verteidigungsministerin von der Leyen explodierten die Kosten für Beratungsverträge, die größtenteils zumindest zweifelhaft waren. In ihrer Amtszeit wurden Consultants für jeden Kleinkram beauftragt – zum Beispiel für die Frage, wie die Kasernen möbliert werden sollen. Ein Fest für McKinsey, EY, KPMG und andere, die die Bundeswehr wie eine Weihnachtsgans ausnehmen konnten.
Im Herbst 2018 brachten mehrere Gutachten der Rechnungsprüfer*innen Missstände ans Licht: Jahrelang waren Aufträge in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro vergeben worden, ohne dass zuvor die Wirtschaftlichkeit geprüft worden war – teilweise ohne Ausschreibung oder mithilfe anderer Tricks, um das Vergaberecht auszuhebeln. Das führte zu einem Untersuchungsausschuss des Bundestags sowie zu Voruntersuchungen durch die Berliner Staatsanwaltschaft – und zu einem dicken Karrieresprung von der Leyens zur Präsidentin der Europäischen Kommission in Brüssel.
Natürlich erklären sich die horrenden Militärkosten nicht nur durch unnötige Beratungsverträge. Es wird aber deutlich, dass es Strukturprobleme und Korruption sind, die das Geld haben versanden lassen. Zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie – sagen Expert*innen. 42 Sonderorganisationen innerhalb der Bundeswehr, von Koordinierungsgruppen bis zu Lenkungsausschüssen, ein Bürokratiemonster. Ein weiteres Problem ist das Beschaffungsmanagement. Fast alles, was die Bundeswehr bestellt, erreicht sie später und ist teurer als geplant. Das liegt vor allem daran, dass man nicht „von der Stange“ kaufen will, sondern hier und dort Sonderwünsche hat. Das kostet naturgemäß viel Zeit und Geld.
Fazit
Fehlendes Geld war nie das Problem. Die Bundeswehr ist bereits in den letzten Jahren massiv aufgerüstet worden. Ein Teil der Milliarden ist durch Ineffizienz und Korruption versickert. Zudem wurden bei den Auslandseinsätzen, die vor allem den Wunsch des deutschen Kapitals symbolisierten, auf Weltebene mitmischen zu wollen, große Summen verschlungen. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und die jährliche Bereitstellung von 2% des BIP für das Militär bedeuten, dass Deutschland eine führende Rolle im weltweiten Rüstungswettlauf einnimmt. In der jetzigen Lage wird auch durch die deutsche Rüstung die Kriegsgefahr erhöht. Gleichzeitig werden die Milliarden die Korruption auf eine neue Stufe heben, im Bermuda-Dreieck zwischen Bundeswehr-Bürokrat*innen und Lobbyist*innen der Rüstungsindustrie wird noch mehr Geld versickern. Daher fordern wir, das Geld stattdessen in Klima, Pflege, Wohnen, Bildung und Soziales zu investieren – dort wird es dringender denn je benötigt.
Foto: Bundeswehr-Fotos, CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0, via Wikimedia Commons