Gas durch erneurbare Energien ersetzen: Null-Emission und Null-Abhängigkeit sind möglich

Die Gasimporte aus Russland sollen durch Flüssiggas aus Katar und den USA ersetzt werden. Laut dem Auswärtigen Amt ist Katar „eine Erbmonarchie. (…) Parteien existieren nicht, gewerkschaftliche Aktivitäten unterliegen strengen Reglementierungen. Meinungs- und Pressefreiheit werden in der Verfassung garantiert, katarische Medien üben jedoch Selbstzensur.“ Das Gas aus den USA würde hauptsächlich durch das umweltschädliche Fracking gewonnen, wobei Verflüssigung und Transport des Gases noch zusätzliche CO2-Emissionen verursachen.

Von Georg Kümmel, Köln

Der Leopoldina zufolge importierte Deutschland im Jahr 2019 882 Terrawattstunden (TWh), davon etwas mehr als die Hälfte (450 TWh) aus Russland. Wäre es möglich, die Gasimporte aus Russland durch Investitionen in erneuerbare Energien zu ersetzen? Wieviel würde das kosten? Das Fraunhofer-Institut hat in einer Studie aus dem Jahr 2018 die Investitionskosten und Erträge für verschiedene Formen erneuerbarer Energien berechnet. Die Studie liefert u.a. Zahlen für Windenergie an Land und im Meer. Da nicht das ganze Land mit Windrädern vollgestellt werden sollte, werden hier beide Fälle berechnet.

Geld ist nicht das Problem

Laut dieser Studie würde die jährliche Erzeugung einer Kilowattstunde (kWh) Windstrom an Land 0,7 Euro kosten und durch Windkraftanlagen im Meer 1 Euro. Um 450 TWh (= 450 Milliarden kWh) Gas durch Strom zu ersetzen, müssten 315 bis 450 Milliarden Euro investiert werden. Die Vorteile wären: Null CO2-Emissionen, Null Umweltschäden durch Fracking-Gas, Null Abhängigkeit von Diktaturen. Die Verbraucher*innen in Deutschland würden zudem Jahr für Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag Geld sparen.

Sind so hohe Milliardenbeträge an Investitionen realistisch? Obwohl der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit darstellt, sind plötzlich 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr möglich – aber nicht für den Klimaschutz. Zusätzlich soll der Militäretat auf jährlich mindestens 2% der Wirtschaftsleistung steigen. Aktuell entspräche das mindestens 71 Milliarden Euro pro Jahr. 

Die 315 bis 450 Milliarden Euro beschreiben eine Obergrenze. Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien im großen Stil und Energiesparmaßnahmen würde die Kosten deutlich sinken. Die Kosten für Strom aus Photovoltaik liegen in ähnlicher Höhe oder niedriger als Strom aus Windkraft. Bei seinen Berechnungen hat das Fraunhofer Institut den Profit privater Kapitalinvestoren schon eingepreist. Es ginge also auch günstiger.

Eine Regierung, die sich nicht am Prinzip von Konkurrenzkampf und Profitmaximierung orientieren würde, würde sofort in die Einsparung von Energie investieren. Hier liegen große Möglichkeiten, um mit einem investierten Euro maximal CO2 einzusparen. Außerdem würden kostenlose Maßnahmen ergriffen, um Energie zu sparen, zum Beispiel, indem die Produktion von Wegwerf-Artikeln beendet würde. Die eigentliche Herausforderung wäre es, schnell die Produktionskapazitäten zu schaffen, um Windräder und Photovoltaik-Anlagen in großer Zahl herzustellen. Neue Fabriken müssten gebaut oder bestehende umgestellt werden. Wir können uns keine weiteren Verzögerungen leisten, dieser Prozess muss sofort gestartet werden, um so schnell wie möglich saubere Energie zu produzieren und den Ausstieg zu schaffen. Je schneller der Umbau beginnt, desto weniger Restmengen an fossiler Energie werden noch benötigt.

Einsparungen sind machbar

Deutschland bräuchte durch realistisch machbare Investitionen in Energieeinsparung und erneuerbare Energien zukünftig kein Gas aus Russland, Katar oder den USA. Das gilt entsprechend für Energie aus Öl und Kohle und unabhängig von der Herkunft der fossilen Energieträger. Eine Tonne CO2 in der Atmosphäre ist immer gleich schädlich, egal, ob dieses aus einer Diktatur oder parlamentarischen Demokratie stammt.

Russisches Erdgas wurde wegen der aktuellen Debatte hier als Beispiel für eine Kostenabschätzung genommen. Grundsätzlich muss eine „Zeitenwende“ in Sachen Klimaschutz für alle fossilen Energieträger stattfinden. Sie ist nicht nur nötig, sondern auch möglich. 

Eine Regierung, die ihr Handeln nicht von den Profitinteressen der Energiekonzerne, der Autoindustrie und ganz allgemein von kapitalistischen „Sachzwängen“ leiten und beschränken ließe, könnte effektive Maßnahmen ergreifen. Die Bundesregierung spricht von einer „Zeitenwende“, aber sie ist nicht einmal bereit, Tempo 100 auf Autobahnen einzuführen. Das wäre eine Maßnahme, die nichts kosten, aber laut Umweltbundesamt jährlich über 5 Millionen Tonnen CO2 einsparen würde und weniger Verkehrsopfer zur Folge hätte.

Ein anderes Beispiel: Täglich werden Energie und Ressourcen verbraucht, um uns mit Werbung zu fluten. Das könnte sofort gestoppt werden. Die Beschäftigten in diesem Bereich könnten bis zu einer Umschulung für sinnvolle Tätigkeiten bei vollen Bezügen von der Arbeit freigestellt werden Die Gesellschaft wäre insgesamt dennoch reicher. Werbung stört und schadet nur.  

Natürlich würden diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die Energieversorgung klimaneutral zu machen. Aber diese Beispiele zeigen, dass nicht einmal das Einfache, Naheliegende, das kostenlos und unmittelbar Umsetzbare gemacht wird. Für das Ziel Klimaneutralität müssten sehr große Milliardensummen investiert werden. Bei der Entscheidung, wohin Milliardeninvestitionen fließen, regiert nicht die Vernunft, sondern wirtschafts- und machtpolitische Interessen. 

Eine Gesellschaft, in der Betriebe und Länder international miteinander kooperieren, statt gegeneinander um Ressourcen und Profite zu konkurrieren, würde alle Möglichkeiten zum Energiesparen und zur klimaneutralen Energieerzeugung aktivieren und darin investieren. Dazu muss allerdings der kapitalistische Konkurrenzkampf, gleichermaßen Ursache für Klimakatastrophe und für imperialistische Kriege, beseitigt werden.

Anhang: Beispielrechnung für Windräder

Ausbau Windenergie an Land:

Die durchschnittlichen Investitionskosten betragen 1750 Euro/kW.

Die durchschnittlichen Volllaststunden betragen 2500 h.

Ertrag pro Jahr für eine Investition von 1750 Euro = 2500 kWh

Dreisatz: x/450 TWh=1750 Euro/2500 kWh x= 1750 Euro x 450 TWh / 2500 kWh

= 1750 Euro x 450 x 109 kWh / 2500 kWh = 315 x 109 Euro = 315 Milliarden Euro                             (Hinweis: 1 TWh = 109 kWh )

Ausbau Windenergie im Meer:

Die durchschnittlichen Investitionskosten betragen 3900 Euro/kW.

Die durchschnittlichen Volllaststunden betragen 3850 h.

Ertrag pro Jahr für eine Investition von 3900 Euro = 3850 kWh.

Dreisatz: x/450 TWh= 3900 Euro/3850 kWh x= 3900 Euro x 450 TWh / 3850 kWh

= 3900 Euro x 450 x 109 kWh / 3850 kWh = 456 x 109 Euro = 456 Milliarden Euro. 

Bei der Berechnung der Kosten wurden nur die Investitionskosten betrachtet, jedoch nicht die Kosten für Abschreibung und Betrieb der Windräder. Die Kosten für Abschreibung betragen bei einer typischen Lebenserwartung der Windräder im Meer von 25 Jahren: 450 Mrd Euro/25 Jahre = 18 Milliarden Euro/Jahr. Rechnen wir großzügig 2 Milliarden Euro pro Jahr für Wartung hinzu, ergeben sich 20 Milliarden Euro pro Jahr. 

Als Ersparnis dagegen gerechnet werden muss aber der Einkaufspreis des Erdgases. Und der lag Anfang April an der Börse bei 112 Euro/MWh (Stand 3. April).

450 x 106 Mwh x 112 Euro/MWh = 50,4 Milliarden Euro.

Es bliebe eine jährliche Ersparnis bei der Gasrechnung von mindestens 30 Milliarden Euro.

Primärenergieverbrauch in Deutschland:

3387 TWH pro Jahr

(Ein Petajoule = 0,2778 TWh)

Cover Foto durch Melanie Maecker-Tursun, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons