Es hätte so schön sein können …
Endlich Nulltarif in allen öffentlichen Verkehrsmitteln! Ein Traum wird wahr, oder vielmehr eine Notwendigkeit, eine längst überfällige Maßnahme zum Klimaschutz. Und billiger leben können wir auch.
Von Conny Dahmen, Köln
Fast Nulltarif. 9 Euro im Monat müssen, fast schon symbolisch, bezahlt werden. Ob das die Verwaltungskosten für die Umstellung der Abos und Automaten abdeckt, ist fraglich. Einfach nicht mehr kontrollieren, die Automaten stilllegen, kein Geld mehr für Abos einziehen wäre sicherlich billiger gewesen. Aber wo kämen wir hin. Und 9 Euro sind ja in den meisten Orten gerade mal drei Einzelfahrten. Und: natürlich gilt das Ticket nicht wirklich im Fernverkehr, sondern nur in der Summe aller Nahverkehrsverbände.
Aber dennoch: es werden so viel mehr Leute endlich vom Auto auf die Bahn umsteigen! Also, zumindest diejenigen, die einen vernünftigen Bahnanschluss an Wohnort oder Arbeitsplatz haben. Oder zumindest einen Bus. Und die nicht zu viel mitschleppen müssen. Und die Zeit haben, auf verspätete, ausgefallene, stehenbleibende Bahnen zu warten. Und die nervenstark sind.
Mehr Menschen, aber nicht mehr Züge
„Wenn ich jemals wieder planen sollte, mit der Bahn fahren: schlag mich! Halt mich zurück! Ich will das NIE wieder machen!“ sagt ein Mann auf dem Sitz zwei Reihen hinter mir ins Telefon. Er erzählt, er habe – auf dem Weg von Saarbrücken bis Münster – drei Stunden Verspätung, zwei Stunden waren es auf der Hinfahrt. Heftig, aber nicht ungewöhnlich. Und im Sommer wird es nicht besser. Denn was nicht passiert: es wird nicht mehr Personal eingestellt, um die Züge zu fahren, um die Gleise zu warten, die Weichen zu stellen, umgefallene Bäume und andere Unwetterschäden zu beseitigen. Oder die krankgeschriebenen Leute zu vertreten, die all dies tun.
Es werden auch nicht mehr Züge und Busse eingesetzt, um all die Leute mitzunehmen, die entweder aus Vernunft oder aus Kostengründen auf die Öffis umsteigen. Wer mit dem RE1 zwischen Köln und dem Ruhrpott pendelt, wird von kaltem Grauen gepackt beim Gedanken daran, es könnten noch mehr Leute mitfahren. Irgendwie ist es einfach die einzige vernünftige Verbindung in der Stunde, selbst die ICE fahren alle mehr oder weniger gleichzeitig. Einziger Lichtblick am frühen Morgen: es werden gar nicht so viel mehr Pendler*innen sein, da zwischen Juni und August viele im Urlaub sind und das 9-Euro-Ticket dann eher für Freizeitfahrten nutzen. Und es gibt einfach so viele Strecken, auf denen die Öffentlichen keine Alternative bieten und selbst der teure Stau am Morgen noch eher zum Ziel führt – nicht nur auf dem Land. Wer Geld hat, kann ja auf den ICE ausweichen, wobei der natürlich richtig viel Verspätung hat. Oder halt im Auto bleiben.
Symbole reichen nicht
Die Deutsche Bahn und die lokalen Verkehrsbetriebe, sind in den vergangenen Jahrzehnten so heruntergerockt worden bzw. unzureichend ausgebaut worden, dass Nulltarif und eine wirklich Wende weg vom Individualverkehr kaum realistisch erscheinen. Städte haben noch einen und noch einen Autoring gebaut, die Stadtbahnen unter die Erde gelegt, um immer mehr Autos immer mehr Platz zu schaffen. Und die Fahrpreise steigen, jedes Jahr.
Anstatt kurzfristiger Alibi-Maßnahmen eines Autolobby-Ministers brauchen wir dauerhafte Niedrigpreise bei der Bahn, Nulltarif im ÖPNV und massive Investitionen in das gesamte öffentliche Verkehrsnetz und die öffentliche Infrastruktur. Mit den dafür vorgesehenen 2,2 Milliarden, so die Pläne von Verkehrsminister Wissing, wird das nichts – mit den 70 Milliarden Euro, die jedes Jahr in Subventionen für fossile Energien gesteckt werden, schon.
Foto Clic, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons