Der am 31.5., drei Wochen vor dem anstehenden Bundesparteitag der LINKEN veröffentlichte Aufruf „Für eine Populäre Linke“ von Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen in Partei und Bundestagsfraktion hat einige Aufmerksamkeit erweckt. Die Unterzeichner*innen schreiben, dass DIE LINKE sich verändern muss, wenn sie überleben will. Doch auch dieser Aufruf zeigt keinen Weg aus der Krise der Partei.
Von Thies Wilkening, Reinbek
An dem kurzen Text fällt auf, dass er vor allem innerhalb der Partei „populär“ sein soll. Er besteht überwiegend aus Selbstverständlichkeiten, zu denen sich die allermeisten Mitglieder der LINKEN bekennen könnten. Der Wagenknecht-Flügel verzichtet aus taktischen Erwägungen auf die Äußerung aller Positionen, die als in der Partei nicht mehrheitsfähig eingeschätzt werden. Zugeständnisse an rassistische Haltungen in der Migrationspolitik, queerfeindliche Attacken auf „skurrile Minderheiten“ und Relativierung der Bedeutung des Kampfs gegen den Klimawandel kommen nicht vor, anders als in fast allen Stellungnahmen und Texten von Sarah Wagenknecht in den letzten Jahren.
Wagenknecht getarnt
Stattdessen gibt es Aussagen zu Armut und Ungleichheit, denen kaum jemand in der LINKEN offen widersprechen würde. Scheinbar positioniert sich der Aufruf kämpferisch und links. Das Mitregieren bei Aufgabe linker Ziele wird kritisiert, die Autor*innen sprechen sich klar gegen Waffenlieferungen und Aufrüstung aus. Einige Sätze scheinen sogar an die von Wagenknecht eigentlich abgelehnte verbindende Klassenpolitik anzuknüpfen, wenn von „gemeinsamen Klasseninteressen“ gesprochen wird und sich die Linke bei Menschen „egal welchen Geschlechts, bei hier Geborenen wie Eingewanderten sowie Menschen mit Behinderungen“ verankern soll. Nur bei der Forderung, die Partei dürfe „die Menschen nicht moralisch von oben herab belehren“ scheint Wagenknechts Kritik an einer klaren Haltung gegen Diskriminierung durch.
Gleichzeitig wird vor „unrealistischen und überzogenen Forderungen“ gewarnt, indirekt auch vor einer Kritik an der Gewerkschaftsführung. Die Kritik, „opportunistisches Streben nach Mitregieren um den Preis der Aufgabe linker Ziele“ wäre für die Partei schädlich, ist schwammig formuliert. Auch Ministersozialist*innen aus Thüringen, Berlin oder Bremen könnten behaupten, sie hätten ihre linken Ziele ja im Grunde ihres Herzens nie aufgegeben, nur ließen die Sachzwänge leider kein entsprechendes Handeln in der Regierung zu. So kommt ein inhaltlich beliebiges Dokument heraus, faktisch nehmen die Aufrufer*innen in der Partei eine Mittelposition ein.
Mit ihrer Unterschrift kaufen sich die Unterschreibenden zudem ein Bekenntnis zu Sahra Wagenknecht ein. Diese wird zwar nicht namentlich genannt, aber der Satz „Wir dürfen […] nicht auf bekannte und anerkannte Persönlichkeiten verzichten“ ist für jede*n verständlich.
Wozu das Ganze?
Den Initiator*innen der „Populären Linken“ geht es offenbar nicht in erster Linie darum, die im Aufruf benannten inhaltlichen Punkte durchzusetzen. Sie wollen im Wahlkampf um den Parteivorstand und vor allem die Vorsitzendenposten ein medienwirksames Signal setzen und Unterstützer*innen hinter sich sammeln. Der Aufruf ist damit Teil des anhaltenden Machtkampfs zwischen der Mehrheit der Bundestagsfraktion, dem so genannten „Hufeisen“ aus Wagenknecht-Lager und der traditionellen Parteirechten um Dietmar Bartsch, und der Mehrheit des bisherigen Parteivorstands. Obwohl die beiden Kandidat*innen des „Hufeisens“ für den Parteivorsitz, Sören Pellmann und Heidi Reichinnek, selbst nicht zu den Erstunterzeichner*innen gehören, ist im Kontext der Debatten der letzten Monate und Jahre klar, dass eine Unterschrift Unterstützung für ihre Kandidatur bedeuten soll.
Mit dem Aufruf stellt sich das „Hufeisen“ als die Kraft für eine Erneuerung der Partei dar. Das wirkt erst einmal glaubwürdig, weil die anderen beiden aussichtsreichen Kandidat*innen für den Vorsitz, Janine Wissler und Martin Schirdewan, für eine Fortsetzung der von Widersprüchen und Streit geprägten Kooperation zwischen der Bewegungslinken und dem „linksliberalen“, Sahra Wagenknechts Positionen ablehnenden Teil des rechten Parteiflügels stehen.
Mit ihrer Wahl wäre wahrscheinlich ein gewisses „Weiter so“, eine Fortsetzung des bisherigen Kurses der wenig produktiven Formelkompromisse und des „Pluralismus“ von Gegensätzen verbunden. Auf der Grundlage dieser Art von Pluralismus dürfen zwar alle in der Partei bleiben und ihre Vorschläge einbringen, auch marxistische Minderheiten, doch gleichzeitig würden zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung Anpassung an SPD und Grüne und rein parlamentarische Orientierung, ergänzt durch dissonante Töne des Streits.
Das wahltaktische Bündnis großer Teile der Parteilinken mit den Wagenknecht-kritischen Rechten und der Verzicht auf klare Kritik an deren Anpassungskurs treibt somit Mitglieder, die zu Recht unzufrieden angesichts der Regierungsbeteiligungen und des Koalitionsangebots vor der letzten Bundestagswahl sind, in die Arme der „Populären Linken“.
Trojanisches Pferd
Wenn aber dem „Hufeisen“ bzw. den Unterstützer*innen des Aufrufs beim Parteitag ein Wahlsieg gelingt, stellt sich die Frage wie die angestrebte Erneuerung aussehen soll. Da der Aufruf dafür kaum eine programmatische Basis bietet, ist zu befürchten, dass sich die „Populäre Linke“ letztlich als Trojanisches Pferd erweist und die Partei auf Positionen festlegt, wie sie Sahra Wagenknecht in ihrem Buch „Die Selbstgerechten – mein Gegenprogramm“ formuliert.
Die „gemeinsamen Klasseninteressen“ wären dann nur ein Lippenbekenntnis, die Partei würde noch stärker Menschen, die gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit, für Klimagerechtigkeit und feministische Positionen kämpfen vor den Kopf stoßen und eben keine verbindende Klassenpolitik betreiben, sondern eine rückwärtsgewandte reformistische Politik mit der Illusion, einen national begrenzten Sozialstaat wie in den 1960ern zu erkämpfen.
Angesichts der Popularität von Sahra Wagenknecht wäre nicht auszuschließen, dass die LINKE in den Umfragen wieder zulegt. Aber innerparteilich und im Verhältnis zu den Aktiven in Bewegungen wäre das eine verheerende Entwicklung, es gäbe eine klare Verschiebung nach rechts. Viele junge Aktive würden die Partei verlassen. Wenn das „Hufeisen“ neben dem Apparat der Fraktion auch noch die Partei beherrschen würde, würde die Luft für kritische, revolutionäre Positionen dünn.
Kein zweites Hufeisen nötig
Der linke Flügel darf dem Hufeisen „Wagenknecht-Bartsch“ nicht das eigene „Hufeisen“ mit anderen Sozialdemokrat*innen innerhalb der Partei entgegen setzen. Die Parteilinke muss Position beziehen, für eine klar antikapitalistische Linke, basierend auf sozialen Kämpfen, mit dem klaren Ziel, sich in der Arbeiter*innenklasse zu verankern, die „soziale Frage“ so in den Vordergrund zu stellen, dass der Kampf gegen jede Form von Diskriminierung darin enthalten ist.
Die Mitglieder der SAV, die Delegierte beim Bundesparteitag sind, werden Janine Wissler wählen, aber wir unterstützen weder die Trojanische Linke noch Martin Schirdewan oder andere Kandidat*innen, die für Regierungsbeteiligung, eine Aufweichung der friedenspolitischen Positionen stehen oder sich gegen antirassistische und antisexistische Positionen stellen.