Knut Giesler, Bezirksvorsitzender der IG Metall NRW und Verhandlungsführer in der Stahlrunde, hatte schon zu Beginn der Tarifrunde erklärt, dass die Gewerkschaften die Preissteigerung nicht werde ausgleichen können – ein Affront gegenüber allen Kolleg*innen und ein Kniefall vor Politik und Konzernen. Erst wenige Tage zuvor hatte Jörg Hoffmann, 1. Vorsitzender der IG Metall, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Tarifforderung für Metall-Elektro bereits vorweggenommen, „mindestens sieben Prozent“ sollten es sein. Dabei hatte die große Tarifkommission noch gar keine Forderungsempfehlung verabschiedet. Somit fiel „Kollege Jörg“ den gewählten Mitgliedern der Kommission in den Rücken.
Von Anne Engelhardt, Kassel, und Marc Treude, Aachen
Die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Lage kann es angesichts des Krieges und der Inflation nicht vorhergesehen werden. Klar ist aber: die Kolleg*innen brauchen mehr Geld! Und sie brauchen soviel, wie sie kriegen können. Die Forderung muss zweistellig sein!
Scholz und Lindner – Regierende ihrer Klasse
Der SPD Kanzler Scholz geht sogar noch einen Schritt weiter. Er schlug Ende Juni ein sogenanntes „Entlastungspaket“ vor. Die Entlastung soll aber vor allem für Banken und Konzerne wirksam werden und nicht für die Kolleg*innen, die sich trotz Pandemie, Überlastung und Personalmangel überarbeitet haben. Der Staat würde den Unternehmen Geld geben, die sie als Einmalzahlung an Beschäftigte auszahlen. Im Gegenzug sollen die Gewerkschaften auf tabellenwirksame Forderungen für Inflationsausgleich verzichten. Es ist unfassbar, wie die Regierung in die Tarifkämpfe hinein regieren will, um ihre Freunde in den Unternehmen zu supporten. Auch Finanzminister Linder von der FDP macht, was ein Vertreter der herrschenden Klasse so macht: Er fordert, dass mehr Überstunden gemacht werden sollen, um angesichts von Krieg und Krise, der ‘bemitleidenswerten’ Wirtschaft zu helfen. In den letzten 20 Jahren wurden laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 1,7 Milliarden Überstunden in Deutschland angehäuft, über die Hälfte davon unbezahlt. Insbesondere während der letzten großen Weltwirtschaftskrise zwischen 2009 und 2010 wurden Überstunden überwiegend nicht bezahlt. Wie viele Arbeitsplätze wurden dadurch nicht geschaffen?
Kick it like Britain – für einen heißen Herbst!
In Großbritannien fanden am 18. Juni Demonstrationen gegen die Preissteigerungen und niedrige Löhne statt (#CostofLivingCrisis). Gleichzeitig haben DHL Kolleg*innen dort zum Teil zweistellige Lohnforderungen erkämpft. Die britischen Eisenbahner*innen lassen sich ebenfalls nicht die Butter vom Brot nehmen und organisieren momentan landesweite Streiks, die eine starke Strahlkraft auf die Bevölkerung haben – 70% stehen hinter dem Streik. Auch in Belgien kam es am 20. Juni bereits zu einem landesweiten Streik im öffentlichen Dienst gegen Inflation. Die Gewerkschaften in Deutschland müssen von der Bremse runter.
Die VKG (Vernetzung kämpferische Gewerkschaften), in der die SAV aktiv ist, fordert unter anderem keinen Tarifvertrag mehr unter Inflationsausgleich und keine Laufzeit länger als 12 Monate, damit die Löhne möglichst schnell nachverhandelt werden können. Außerdem schreiben sie:
„Wir brauchen gewerkschaftliche Aktionskonferenzen, Versammlungen in Betrieben und Dienststellen, um über die aktuelle Situation und mögliche Gegenwehr zu sprechen. Aufbauend darauf sollten DGB-weit koordinierte wirksame Mobilisierungen durchgeführt und eine kraftvolle Bewegung aufgebaut werden. Schließlich sind alle abhängig Beschäftigten von den massiven Reallohnverlusten betroffen. Hier besteht auch die Chance, die Gewerkschaften wieder zu machtvollen Organisationen aufzubauen. Tarifauseinandersetzungen sollten dabei zum Ausgangspunkt für breitere Mobilisierungen genommen werden, bei denen Beschäftigte unterschiedlicher Branchen gemeinsam auf die Straße gebracht werden können. Dies kann gesteigert werden bis hin zu gewerkschaftsübergreifenden Streiks.”
Vernetzung kämpferische Gewerkschaften
Anstehende Tarifrunden verbinden
Die Tarifrunde Metall- und Elektro beginnt im August, Ende Oktober endet die Friedenspflicht. Sie wird über vier Millionen Kolleg*innen betreffen. Hier geht es darum möglichst viele Betriebe zu erreichen, Betriebsversammlungen und Beratungen an der Basis durchzuführen und mit Kolleg*innen die Verhandlungen und Kampfschritte zu besprechen. Ziel muss sein, möglichst viele Betriebe gleichzeitig herauszuholen, um ein starkes Selbstbewusstsein aufzubauen. Es braucht sichtbar starke Demonstrationen, die den Kolleg*innen und Gewerkschaften den Rücken stärken, für eine zweistellige Forderung zu kämpfen. Der TvÖD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst – bundesweit) wird erst im Dezember 2022 und Januar 2023 verhandelt, ließe sich aber passend mit der Tarifrunde der Post/DHL zusammenbringen. Branchenübergreifende Streikaktivitäten stärken die Kolleg*innen und gewerkschaftlichen Strukturen und können das Kräfteverhältnis in beiden Bereichen verbessern.
UmFairteilung wieder auf die Tagesordnung
Während in den Tarifrunden der Privatwirtschaft die Unternehmen direkt zur Kasse gebeten werden, ist das im öffentlichen Dienst nicht so einfach. Scholz und Co werden im Winter bei der TvÖD Runde Lohnforderungen bremsen, mit der Begründung es sei nicht genug Geld da. Diese Story ist und bleibt ein Märchen, angesichts der 100 Milliarden für Aufrüstung. Wir müssen jetzt mit LINKE, Gewerkschaften und linken Bewegungen für eine radikale Umverteilung des Reichtums kämpfen. Schluss mit Riesen-Erbschaften, Steuerhinterziehung und Steuergeschenken, die Kohle haben wir erwirtschaftet: Amazon, Tesla, Aldi, Delivery Hero und Co. müssen endlich zahlen.
Foto: Niels Holger Schmidt, DIE LINKE.NRW, CC BY-SA 2.0