Die monatlichen Gas-Rechnungen für private Haushalte verdoppeln und verdreifachen sich. Auch die Strompreise steigen. Die Bundesregierung will die Kosten für die Stützung des Gasimporteurs Uniper auf die Verbraucher*innen abwälzen, diese Umlage kommt oben drauf auf die ohnehin steigenden Kosten. Anstatt die Energiekonzerne für die Krise zur Kasse zu bitten, sollen die arbeitenden Menschen noch mehr bezahlen. Der Kölner Energieversorger Rhein Energie erhöht ab 1. Oktober die Gaspreise um 133%.
Von Claus Ludwig, Köln
“Ich glaube, dass in der derzeitigen Kriegssituation der Bevölkerung in Deutschland klargemacht werden muss, dass jetzt Verzicht angesagt ist … das muss man klar politisch aussprechen.” So begründete LEG-Chef Lars von Lackum gegenüber dem Handelsblatt die Pläne seiner Wohnungsgesellschaft, die Heiztemperaturen abzusenken. Bis zu ihrer Privatisierung war die LEG eine Gesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Heute profitieren ihre Aktionär*innen und auch Von Lackum mit einem Jahresgehalt von 1,8 Millionen Euro. Er wird auf nichts verzichten.
Das täglich absurder werdende Gerede von “weniger duschen” oder “wir alle müssen sparen” soll eine einfache Tatsache verschleiern: Wenn viele mehr bezahlen müssen, gibt es am anderen Ende wenige, die viel mehr verdienen. Das ist nicht das Einzige, was verschleiert wird. Die Behauptung, der niedrige Stand der Gasspeicher wäre allein das Ergebnis der gedrosselten Lieferung aus Russland, ist schlicht falsch. Tatsächlich wurde in Deutschland 2022 laut Recherchen des ARD-Magazins Plusminus soviel Gas wie nie zur Stromerzeugung verwendet, unter anderem für den Export nach Frankreich, weil dort die Hälfte Atomkraftwerke wegen ihres schlechten technischen Zustandes abgeschaltet sind oder gewartet werden. Die Energiekonzerne exportieren Strom, sie “sparen” kein Gas, sie verballern es geradezu, daher sind die Gasspeicher leer – und der Strompreis steigt.
Notstand für viele, Extragewinne für wenige
Scholz und Habeck reden angesichts der möglichen weiteren Verknappung oder des vollständigen Lieferstopps russischer Gaslieferungen von “Notstand”. “Wir” müssten uns auf harte Zeiten einstellen, alte Gewohnheiten über Bord werfen, mit der Krise umgehen. Kalte Wohnungen, kalte Schulen, geschlossene Schwimmbäder. Und das alles zum dreifachen Preis.
Doch der “Notstand” reicht für sie nicht aus, um wirkliche Besitzstände und Privilegien zu überprüfen. Der Staat gibt – vorläufig – 8 bis 9 Milliarden Euro Steuergelder aus, um den von Pleite bedrohten Konzern Uniper zu retten und hat dafür Mitspracherecht. Das nutzt er, um die Lohnabhängigen zur Kasse zu bitten. Uniper soll ab Oktober bis zu 90% der gestiegenen Einkaufspreise über eine Umlage auf die Verbraucher*innen abwälzen können. Kein Mitspracherecht hat der Staat bei den Energiekonzernen wie RWE, Eon oder den Mineralölkonzernen, die weiter große Profite einfahren, oder sich sogar durch Aufschläge beim Tanken eine Extraportion Krisengewinne gegönnt haben. Allein RWE hat rund 1,5 Milliarden Euro mehr Gewinne gemacht als gedacht, bis zu 4,8 Milliarden. Der niederländisch-britische Konzern Shell hat seine Gewinne im ersten Quartal 2022 auf 11,2 Milliarden Euro gesteigert (2021: 4,5 Milliarden).
In der Pandemie sind die Reichen immer reicher geworden. Auch im Krieg gibt es Gewinner, der Blick auf die Kursentwicklung von Rheinmetall reicht, um das zu erkennen. Scholz sagt: “You’ll never walk alone.” Stimmt, es sind sehr viele, die den gleichen Weg gehen und immer weniger Geld zur Verfügung haben. Aber die Reichen und Konzerne gehen nicht mit. Notstand hin oder her – SPD und Grüne (FDP und Union sowieso nicht) wollen deren Profite nicht einmal ankratzen. Sie retten Konzerne und lassen uns dafür bezahlen.
Energiewende verschleppt
Die Regierenden aller Parteien haben die Abkehr von den fossilen Energien seit Jahren verschleppt. Der Ausbau der Windenergie kam zum Erliegen. Die Energiekonzerne hatten sichere Profite durch Kohle und Import von Gas und Öl. Im Wirtschaftskrieg gegen Russland, mit dem NATO und EU auf den russischen Angriff auf die Ukraine antworten, ist nicht Russland der erste Verlierer, sondern Deutschland. Jetzt rufen die deutschen Konzerne “Rette uns wer kann, lasst den Pöbel bezahlen”. Scholz, Habeck und Lindner folgen diesem Ruf.
Die Hilfsmaßnahmen der Regierung für die Bevölkerung werden verpuffen. Darlehen für Mieter*innen und Wohngeld-Erhöhung haben vor allem die Wirkung, Zahlungsausfälle auf Seiten der Vermieter*innen zu verhindern. Dies “hilft” zudem nur denen, welche die gestiegenen Preise ohnehin nicht bezahlen können. Völlig im Stich gelassen werden Millionen arbeitende Menschen, die es irgendwie schaffen, die Rechnungen zu begleichen, aber heftige Einschnitte in ihrem Lebensstandard hinnehmen müssen, Erspartes verlieren, länger arbeiten müssen. Die geplante Erhöhung des ALG2 gleicht bestenfalls die Preissteigerungen der letzten Jahre aus und nicht die diesjährige Preisexplosion.
Gaspreis deckeln – jetzt
Wir brauchen ganze andere Garantien als die für Uniper – der Gaspreis für die privaten Haushalte ist sofort einzufrieren, auf den Stand der Preise am 1. Januar 2022. Habecks Gas-Umlage muss verhindert werden. Die Verluste für die Stadtwerke in öffentlicher Hand sind über Bund und Länder aufzufangen. Private Energiekonzerne können ihre Geschäftsbücher offenlegen und Hilfen beantragen. Wohnungskonzernen und Vermieter*innen ist zu untersagen, die Heiztemperaturen abzusenken. Schulen und öffentliche Einrichtungen werden im notwendigen Rahmen beheizt. Öffentliche Schwimmbäder werden weiter betrieben, private Pools in den Villenvierteln, Yachten und private Flugzeuge – wie das des “Krisenexperten” Friedrich Merz – stillgelegt.
Eine Aufstockung der seriösen Beratung von Mieter*innen und Besitzer*innen von Eigentumswohnungen und Eigenheimen zu Energieeinsparung, Dämmung und Heizungssystemes sind sinnvoll, arrogante Tipps von gut situierten und abgesicherten bürgerlichen Politiker*innen – “weniger Duschen”, “dicken Pullover anziehen” – sind es nicht. Eingefroren werden müssen nicht unsere Wohnungen, sondern die Mieten. Mieterhöhungen müssen von den Kommunen genehmigt werden, nur auf Grundlage eines Nachweises gestiegener Kosten im Fall von privaten Kleinvermieter*innen.
Die staatlichen Ausgleichszahlungen können durch höhere Steuern auf Unternehmensgewinne und Vermögen finanziert werden. Die Gaspreise für die 40 Millionen privaten Haushalte könnten um 30 bis 60 Milliarden Euro jährlich steigen. Irgendjemand muss das bezahlen – entweder die Lohnabhängigen oder die Reichen. Allein die bescheidene “Übergewinnsteuer” des italienischen Staates auf Unternehmen, deren Gewinne über 10% des Vorjahres liegen, wird nach Schätzungen zu 6,5 Milliarden Euro Einnahmen führen. Allein das Abschöpfen der Extraprofite der Mineralöl- und Rüstungskonzerne würde für viele warme Wohnungen im Winter sorgen. Eine einmalige Abgabe auf Vermögen über 2 Millionen Euro würde die restlichen Finanzen erbringen, um die Gasversorgung zu stabilen Preisen für alle zu gewährleisten.
Energiekonzerne enteignen
Anstatt Steuergelder in einen Pleite-Konzern zu stecken, um etwas Mitspracherecht zu bekommen, sollte der Staat sich einen wirklichen Zugriff auf die Energiewirtschaft verschaffen. Sowohl zur Bewältigung der akuten Gas-Krise als auch für den dringenden kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien ist es nötig, dass die gesamte Energiewirtschaft vergesellschaftet und demokratisch gesteuert wird.
Die Vergesellschaftung von RWE und die sofortige Stilllegung der Braunkohle-Förderung sind überfällig. Der grüne Wirtschaftsminister will Flüssiggas aus Katar kaufen, einer Diktatur, die ebenso Blut an den Händen hat wie das Putin-Regime. Die FDP will Fracking und Gasförderung in der Nordsee durchsetzen. Die US-amerikanischen Konzerne wollen ihre Fracking-Produkte verkaufen und Russland langfristig aus dem EU-Markt verdrängen. Atomlobbyisten wollen ihre gefährliche Technologie länger nutzen, RWE will länger und mehr Kohle verfeuern und den Planeten zum Glühen bringen. Diese Zwischenlösungen sind weder moralisch sauberer als der Gas-Handel mit Russland noch sind sie Schritte zur Energiewende.
Der britische Gewerkschaftsdachverband TUC bringt es auf den Punkt: “Wir treten jetzt ein für die Vergesellschaftung der Energiekonzerne. Das wird Rechnungen günstiger machen, die Energieeffizienz in den Wohnungen beschleunigen, den CO2-Ausstoß schneller verringern.”
Wir brauchen große Investitionen in erneuerbare Energien. Wir brauchen bewusste, demokratische Entscheidungen, wie das Gas verteilt wird, wenn nicht genug da ist – welche Betriebe sind wichtig, welche Produktion kann zunächst unterbrochen werden, natürlich bei voller Lohnfortzahlung und Erhalt aller Arbeitsplätze? Wir brauchen einen landesweiten Plan zur Gas-Versorgung, diskutiert und entschieden von staatlichen Vertreter*innen, Beschäftigten, Gewerkschaften, Verbraucher*innen und Umweltverbänden.