Taiwan – Gefährliche Eskalation des Kampfes um die Welt

Während der Krieg in der Ukraine tobt, droht um Taiwan und die Kontrolle über den asiatischen Pazifikraum der nächste Krieg mit Potenzial zum Weltkrieg zwischen Atommächten. China unter Xi Jinping droht mit der Invasion. Der jüngste Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan goß Öl ins schwelende Feuer. Die US-Regierung sagt offen, dass sie im Falle eines chinesischen Angriffs auf die Insel, anders als im Fall Ukraine, direkt militärisch eingreifen wolle.

Von Marcus Hesse, Aachen

Nancy Pelosis Besuch in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh am 2. August erfolgte in einer Zeit wachsender Spannungen zwischen Beijing und Taipeh. Im vollen Bewusstsein darüber, dass der Besuch vom chinesischen Regime als Provokation aufgefasst werden würde, reiste die Politikerin der Demokratischen Partei und offiziell dritte Person des US-Staates auf die Insel, um die Bereitschaft der USA, Taiwan militärisch beizustehen, zu bekunden.

Pelosi verstieg sich dabei, in einer Rede vom „Kampf gegen den Kommunismus“ und vom „globalen Wettstreit zwischen Demokratien und autoritären Regimen“ zu sprechen, wobei sie die USA als die Speerspitze Ersterer sieht. Diese Rhetorik scheint in ihrer ideologischen Aufladung aus der Zeit gefallen und erinnert an die vergangenen Zeiten des Kalten Krieges. Sie drückt eine Verschärfung des imperialistischen Konkurrenzkampfes zwischen dem aufstrebenden China und der kriselnden Supermacht USA aus. Dass Pelosis säbelrasselnde Rhetorik überaus heuchlerisch und verlogen ist, steht dabei außer Frage, zählen die USA doch Regime wie Saudi-Arabien, Katar, die Türkei, Ägypten und die Philippinen zu ihren Verbündeten und haben in ihrer Geschichte immer autoritäre rechte Regime und Militärdiktaturen von Chile bis zum Iran unterstützt, insofern diese nur stramm antikommunistisch waren. Das galt auch für Taiwan, das in den ersten Jahrzehnten seiner Existenz eine repressive Diktatur unter permanentem Kriegsrecht war.

Brennpunkt Pazifik

Der Konflikt um Taiwan ist nicht neu und er besteht seit 1949, als sich in Taiwan die „Republik China“ konstituierte, deren Herrschaftselite aus 1,2 Millionen chinesischen Nationalist*innen gebildet wurde, die aufgrund des Sieges der revolutionären Bewegung unter Mao Zedong flohen. Seitdem hat Taiwan beansprucht, das „wahre China“ zu repräsentieren, während die auf dem Festland herrschende „Kommunistische“ Partei die Insel als „abtrünnige Provinz“ betrachtet. Beide Staaten vertreten traditionell eine „Ein-China“-Linie, wobei diese sich auf taiwanesischer Seite nach der Wahl der einst oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DDP) in Richtung der Doktrin der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit für Taiwan geändert hat, während die KP Chinas weiterhin an der Zielsetzung der „Einheit Chinas“ festhält. Unter Präsident Xi Jinping setzt die „Kommunistische“ Partei, die über eine von zunehmender sozialer Ungleichheit geprägte Gesellschaft herrscht, verstärkt auf Nationalismus und einen härteren Kurs gegen nationale Minderheiten und „Separatismus“. 

Im asiatischen Pazifikraum haben seit dem letzten Jahrzehnt die Konflikte Chinas mit seinen Nachbarstaaten um Inseln im Chinesischen Meer und die Kontrolle über Seegebiete zugenommen. Japan, Südkorea und die Philippinen sowie Australien setzen dabei auf Bündnisse und Allianzen mit den USA. China sieht sich dabei von US-amerikanischen Militärbasen umringt, die eine Barriere zwischen dem asiatischen Festland und dem offenen Ozean bilden. Die USA verfügen zwar seit den 1970ern über keine militärischen Stützpunkte mehr auf Taiwan selbst, haben ihre Truppenstützpunkte und ihre mit Atomwaffen ausgerüsteten Marinebasen aber breit im Chinesischen Meer und dem asiatischen Pazifikraum verteilt, was der chinesischen Marine (die inzwischen die größte der Welt ist), den ungehinderten Zugang zum Pazifischen Ozean versperrt. Die USA fungieren als Schutzmacht Taiwans, auch wenn die beiden Länder seit Ende der 1970er über keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr verfügen.

Der Besuch Pelosis in Taipeh gestalte sich dann auch als Großaufmarsch des Militärs beider Supermächte: China zog seine Flotte zusammen und umringte in einer als „Manöver“ bezeichneten Aktion die Insel Taiwan, während US-Jets zu Pelosis Schutz aufzogen. Die US Navy schickte  Flugzeugträger mit dem treffenden, an die finstersten Zeiten des Kalten Krieges erinnernden Namen „Ronald Reagan“ gen Taiwan. In diesem waffenstarrenden Aufmarsch der Armeen beider Mächte drückt sich die Verschärfung der politischen, geostrategischen und wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen China und den USA aus – ein Konflikt, den auf US-Seite Republikaner und Demokraten gleichsam verbissen führen und der sich auf „friedlicher“ ökonomischer Ebene in einem Handelskrieg unter anderem in gegenseitigen Erhöhungen von Zöllen und im Huawei-Streit 2020/21 äußerte.

Kapitalistische Konkurrenz

Die Ökonomien der USA, Chinas und Taiwans sind eng miteinander verknüpft, aber eben doch erbitterte Konkurrenten. Die Volksrepublik China ist Standort auch für US-Firmen, die dort produzieren lassen und von der Ausbeutung von Wanderarbeiter*innen profitieren. Auch Taiwans Kapitalist*innen lassen dort produzieren: Bekannt ist das Beispiel Foxconn, in dessen Fabriken auf dem chinesischen Festland in den 2010er Jahren immer wieder Streiks und Proteste gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen ausbrachen. Im Konflikt um den Pazifikraum findet der kapitalistische Konkurrenzkampf zwischen China und den anderen Staaten seine politische und geostrategische Entsprechung. Die USA befinden sich seit Jahren in der Krise, während China enorme Wachstumsraten verzeichnet. Mit der Zero-Covid-Politik und der daraus resultierenden Abschottung von Städten und Fabriken hat sich auch in China das Wachstum verlangsamt, das enorme Krisenpotenzial der chinesischen Wirtschaft ist deutlich geworden. Diese globale ökonomische Krise wirkt als verschärfender Faktor im Kampf der rivalisierenden Großmächte und Blöcke um die Welt. 

Trotz Pelosis aus der Zeit gefallener Rhetorik vom „Kampf gegen den Kommunismus“ geht es hier nicht mehr um einen Systemgegensatz, wie das in den ersten Jahrzehnten des Taiwan-Konfliktes und des Konfliktes zwischen den USA und der Volksrepublik China noch der Fall war. Vielmehr geht es um imperialistische Konkurrenz um Märkte und Einflusszonen. Doch dies wird von beiden Seiten ideologisch verschleiert. So spricht die US-Regierung Joe Bidens vom „Kampf für Demokratie“ und „für die nationale Selbstbestimmung“ Taiwans. Xi Jinping und die KP wollen China vereinen und bedienen sich einer „antiimperialistischen“ und scheinbar antirassistischen Rhetorik. Sie erinnern an die lange Zeit der Demütigung, Unterwerfung und Ausbeutung der Chines*innen durch imperialistische Mächte des Westens und Japans im 19. und 20. Jahrhundert. 

Geschichte des Taiwan-Konflikts

Zentral für das Narrativ des chinesischen Regimes bezüglich Taiwans ist die These, dass der Inselstaat eine „abtrünnige chinesische Provinz“ sei – wie laut chinesischer Diktion auch Tibet und die von muslimischen Uigur*innen bewohnte Provinz Xinjiang  im Westen – und dass Taiwan immer schon zu China gehört habe. Diese Argumentation ist historisch falsch, auch wenn seit dem 19. Jahrhundert die Mehrheit der Taiwanes*innen aus ethnischen Han-Chines*innen bestehen, neben zahlreichen dort lebenden indigenen Gruppen.

Tatsächlich wurde Taiwan erst im 13. Jahrhundert  von Han-Chines*innen besiedelt, worauf in späteren Jahrhunderten Phasen von portugiesischer und niederländischer Kolonisation erfolgten. Im 17. Jahrhundert  flohen Anhänger*innen der gestürzten Ming-Dynastie vom Festland und bildeten auf Taiwan Kolonien. Bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es ethnische Konflikte mit den vielen indigenen Völkern Taiwans, die von chinesischen wie europäischen und japanischen Kolonialherren unterdrückt wurden. Besonders die 50-jährige japanische Herrschaft war brutal. Aber auch Ende der 1940er Jahre kam es noch zu Massakern an Indigenen durch das Regime der Kuomintang.

Die Kuomintang gründete 1949 den modernen Staat Taiwan als „Republik China“. Nachdem im Chinesischen Bürgerkrieg 1949 Maos KP siegte, hatten sich 1,2 Millionen Anhänger*innen der nationalistischen Kuomintang-Partei (KMT) unter dem Schlächter der Arbeiter*innen von Shanghai, Chiang Kai-Check, nach Taiwan geflüchtet, wo sie ihre antikommunistische Diktatur mit Unterstützung der USA errichteten. Bis 1971 war diese „Republik China“ das von den Vereinten Nationen offiziell anerkannte China. Kurz darauf knüpften die USA Beziehungen zur Volksrepublik China, um die UdSSR zu schwächen. Seitdem ging die US-Militärpräsenz auf Taiwan, bis zum endgültigen Abzug 1979, zurück und es gibt bis heute keine offiziellen diplomatischen Beziehungen der USA zu Taiwan. Aber die USA liefern weiter Militärhilfe, sind dort inoffiziell vertreten und treten als militärische Schutzmacht Taiwans auf. Trotz seiner internationalen Nicht-Anerkennung ist Taiwan mit seinen 23 Millionen Einwohner*innen seit den 1970ern und 1980ern zu einer Wirtschaftsgröße geworden und ist weltweit bedeutend in der Halbleiter- und Chipproduktion. 

Die KMT herrschte mit eiserner Hand und übte ihre Parteidiktatur aus. Durch das 1949 eingeführte und erst 1987 nach Massenprotesten abgeschaffte permanente Kriegsrecht, wurden Oppositionelle, Gewerkschafter*innen und Indigene in Taiwan unterdrückt. Die Herrschaft der KMT wurde durch die 1986 gegründete Demokratische Fortschrittspartei (DDP) in Frage gestellt. Diese war anfangs eine Stimme der von Arbeiter*innen und Studierenden getragenen demokratischen Protestbewegung, mit durchaus linker Rhetorik. Im Laufe der Jahre ging diese Partei aber nach rechts und tritt heute als Stimme des taiwanesischen Nationalismus auf. Sie setzt auf das Bündnis mit den USA, während die KMT heute für eine engere Zusammenarbeit mit Beijing eintritt und sogar für eine Wiedervereinigung Chinas offen ist. So war es die DDP-Regierung, die Pelosi am 2. August herzlich empfing.

Nationale Frage in Taiwan

In der seit mehreren Jahrzehnten existierenden parlamentarischen Demokratie in Taiwan wechseln sich beide Parteien beim Regieren ab. Dabei setzt die Kuomintang auf großchinesichen Nationalismus und Verständigung mit Beijing, während die DDP zunehmend eine eigene taiwanesische Identität betont. Die überwiegend von Studierenden getragene „Sonnenblumenbewegung“ 2014 richtete sich gegen intransparente Wirtschaftsverträge Taiwans mit China unter der damaligen KMT-Regierung. 

Umfragen machen deutlich, dass die große Mehrheit der Taiwanes*innen eine eigene nationale Identität entwickelt hat und nicht Teil der Volksrepublik Chinas sein will. Das liegt einerseits daran, dass nicht alle Taiwanes*innen Han-Chines*innen sind, aber vor allem daran, dass sie nicht ihre mühsam erkämpften demokratischen Rechte verlieren wollen. Das Beispiel Hongkongs, in dem das chinesische Regime und seine Verbündeten nach und nach demokratische Rechte beseitigt haben, dient den taiwanesischen Arbeiter*innen und Jugendlichen als Warnung. 

Die taiwanesischen Massen wären sicherlich bereit, ihre Souveränität gegen eine Invasion des chinesischen Militärs zu verteidigen. Politisch fatal ist aber, dass mangels einer starken unabhängigen Arbeiter*innenbewegung diese Verteidigung in den Händen der bürgerlichen DDP liegt, die auf den militärischen Schutz durch den US-Imperialismus setzt. So würde ein militärischer Konflikt schnell zu einem Krieg zwischen USA und China ausarten, mit Taiwan mittendrin. Darum ist es treffend, Taiwan als aktuell „gefährlichsten Ort der Welt“ zu bezeichnen.  

Eine Betrachtung der Geschichte Taiwans und eine ehrliche Analyse der Nationalen Frage im Land widerlegt gleichzeitig eindrucksvoll die Narrative sowohl Beijings als auch Washingtons: So ist die Masse der Taiwanes*innen keinesfalls an einer Wiedervereinigung Chinas unter der Kontrolle des chinesischen Regimes interessiert. Zugleich ist das Gerede Pelosis, Trumps und Bidens vom Kampf für Demokratie und Selbstbestimmung der Nationen absolut verlogen, denn das Beispiel Taiwans zeigt eindrucksvoll die reaktionäre Rolle des US-Imperialismus als Stütze autoritärer rechter Regime.

Perspektiven

Die geäußerte Bereitschaft der USA, zum Schutz Taiwans eine direkte militärische Konfrontation mit China in Kauf zu nehmen und damit einen Dritten Weltkrieg zwischen Atommächten zu riskieren, ist beängstigend. Dass bürgerliche Politiker*innen, Journalist*innen und Analyst*innen inzwischen so offen und nüchtern von dieser Option reden, ist eine ernste Warnung. Da ein Krieg für alle Beteiligten einen zu hohen Preis hätte, ist eine solche Eskalation sicher nicht die wahrscheinlichste Option. Doch angesichts der sich zuspitzenden globalen Krisentendenzen ist nicht auszuschließen, dass eine Seite die Nerven verliert. Die Lage ist ernst und es zeigt sich hier – ähnlich wie im Konflikt des Westens mit Russland – wie instabil und krisenhaft die Welt unter den Bedingungen der Krise des Kapitalismus geworden ist. Die Konflikte zwischen Staaten und Blöcken nehmen weltweit scharfe Formen an. Bedrohliche Zuspitzungen sind dabei längst zur Normalität geworden.

Bild von Office of U.S. House Speaker, Public domain, via Wikimedia Commons