„Doppel-Wumms“? Preise runter, Löhne rauf!

Die Regierung hat die Notbremse gezogen. Ohne den am 29. September verkündeten Gaspreisdeckel wäre eine beispiellose Pleitewelle durchs Land gefegt. Dennoch gibt es keinen Grund zur Beruhigung. Den ersten Mieter*innen sind bereits die neuen monatlichen Abschlagszahlungen ab Oktober mitgeteilt worden, die, je nach Haushaltsgröße, teils mehrere Hundert Euro betragen. Innerhalb weniger Monate wären viele Haushalte zahlungsunfähig gewesen. 

Von Claus Ludwig, Köln

Die Auswirkungen bei Kleinbetrieben und Selbstständigen wären ähnlich verheerend gewesen. Mit dem “Doppel-Wumms” (Scholz) von bis zu 200 Milliarden Euro verzichtet die Regierung darauf, das Experiment einer Massenverarmung im Rekordtempo durchzuziehen. Trotzdem ist sie weiterhin entschlossen, die hohen Energiekosten auf die Masse der Bevölkerung abzuwälzen. Die Details werden erst von einer Expert*innen-Kommission ausgearbeitet, aber eine diskutierte Variante scheint zu sein, dass der Grundbedarf gedeckelt wird und bei Überschreiten dieser Grenze “Marktpreise” bezahlt werden, ähnlich wie bei den Plänen zur Deckelung der Strompreise. Je nachdem, wie der Grundbedarf definiert wird, kann man schnell in den Bereich der “Marktpreise” rutschen. Aus Sicht der Regierung wäre ein Vorteil dieses Modells, dass das Problem individualisiert wird.

Energieversorgung vergesellschaften

Anlass für die Preisexplosion ist Russlands Angriff auf die Ukraine, der von EU und NATO mit einem beispiellosen Wirtschaftskrieg beantwortet wurde – und von Russland wiederum mit der Drosselung der Gaslieferungen. Heute kommen weit über 90% der nach Deutschland importierten Primärenergie von westlichen “Partner*innen”. Diese nutzen die Energiekrise, um Extra-Profite zu erzielen und treiben die Preise in die Höhe. Die Lieferungen aus den blutigen Ölmonarchien Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate und das schmutzige US-Fracking-Gas lassen sich die Konzerne teuer bezahlen.

Die Preiskrise ist nicht allein das Ergebnis des Krieges oder der Sanktionen, sondern Produkt des kapitalistisch organisierten Energiemarktes, in dem die Konzerne Staaten und Verbraucher*innen bei Knappheit die Preise diktieren können. An den Energiebörsen ist der Gaspreis seit Anfang des Jahres um 1000% gestiegen, obwohl Produktion und Transport nur unwesentlich teurer geworden  sind.

Wenn die Regierung Preisexplosion und Energiemangel ernsthaft unter Kontrolle bekommen wollte, müsste sie sämtliche Energiekonzerne in öffentliches Eigentum überführen und die Energieversorgung demokratisch zusammen mit Konsument*innen und Gewerkschaften planen. So wäre auch eine rasche Umstellung auf erneuerbare Energien möglich. Stattdessen werden lediglich von der Pleite bedrohte Konzerne wie Uniper verstaatlicht. Die profitablen Konzerne bleiben in privater Hand, verbunden mit dem vagen Versprechen, auf dem Strommarkt “Zufallsgewinne” abzuschöpfen. 

Bewegung weiter aufbauen

Die 200 Milliarden Euro werden als neue Schulden aufgenommen, die  die Steuerzahlenden und damit überwiegend die Lohnabhängigen später begleichen müssen. Die Reichen werden nicht zur Kasse gebeten. Dafür bleibt die “normale” Inflation. Lebensmittel werden teurer, bei den Dienstleistungen kommen die Preissteigerungen noch. Je nach Höhe der Energie-Subvention mag die Inflation von 10% im September zunächst leicht fallen, könnte aber bald wieder ein ähnliches Niveau erreichen. Sie speist sich aus der anhaltenden Staatsverschuldung, ist durch Lieferprobleme in der Pandemie eskaliert und wird zunehmend durch die Folgen der Klimakatastrophe befeuert. Der Ukraine-Krieg und die Gaskrise sind nur die extremen Erscheinungsformen dieser Krise.

Angesichts der Erleichterung, dass es nicht schlagartig zur Verarmung von Millionen kommt, könnten so manche, vor allem aus den Führungsetagen der DGB-Gewerkschaften, in Versuchung geraten, die geplanten Proteste für weniger wichtig zu halten. Doch es kann ein böses Erwachen geben, wenn die konkreten Pläne zum Gasdeckel vorgelegt werden und viel zu kurz greifen. Viele können sich überhaupt keine Erhöhungen leisten. Die Energiepreise müssen auf den Stand von Anfang 2022 eingefroren werden. Um mit der allgemeinen Preissteigerung mithalten zu können, sind deutlich höhere Löhne nötig. Die Regierung hat die Maßnahmen auch ergriffen, weil sie fürchtet, dass die Proteste gegen die Preisexplosion mit den Tarifrunden in der Metallindustrie und später bei Länder und Kommunen sowie der Post zusammenfallen. Aber genau das brauchen wir : Proteste auf der Straße für Preisdeckel verbinden mit den Kämpfen für höhere Löhne.