Die “Brüder Italiens” (Fratelli d’Italia, FdI) unter Giorgia Meloni sind mit rund 26% stärkste Kraft im italienischen Parlament geworden und führen ein Bündnis mit anderen Rechtsparteien, das zusammen 44% erreichte. Meloni wird in den Medien als “Postfaschistin” bezeichnet. So ganz “post-” ist sie nicht, denn die FdI bezieht sich positiv auf faschistische Traditionen. Meloni will “Gott, die Familie und das Vaterland verteidigen” und macht Stimmung gegen das Recht auf Abtreibung, LGBTQ+-Menschen und Geflüchtete. Das wird die rechteste Regierung seit dem Ende Mussolinis. Wie weit geht die reaktionäre Entwicklung in Italien? Wie konnte es dazu kommen?
Von Claus Ludwig, Köln
Die Wahlen am 26. September wurden vorgezogen, weil die Koalition unter Ministerpräsident Draghi im Juli kollabierte. Draghis Regierung hatte die Angriffe auf die lohnabhängig Beschäftigten verschärft, im Gesundheitswesen gekürzt und das Bildungswesen profitorientiert umgebaut. Die großen Konzerne bekamen Steuergeschenke. Die Italiener*innen erleben einen dauerhaften sozialen Niedergang. Die Zahl der Menschen in absoluter Armut ist von 2005 bis 2021 von 1,9 auf 5,6 Millionen gestiegen.
Seit dem Niedergang der PRC (Rifondazione Communista, Kommunistische Neugründung) seit Mitte der 2000er-Jahre liegt die italienische Linke am Boden. Die Unzufriedenheit wurde von rechtspopulistischen Parteien wie der Lega Nord oder der noch weiter rechts stehenden FdI aufgegriffen. Ein spezielles Phänomen ist die 5-Sterne-Bewegung, die zwischen Linksliberalismus und rechtem Populismus schwankt und zwischendurch die stärkste Partei war.
Melonis Partei konnte zulegen, weil sie als einzige in den letzten Jahren nicht in der Regierung vertreten war. Nach Umfragen haben 65% der Italiener*innen nur geringes oder gar kein Vertrauen in die “politische Klasse”. Meloni verdankt ihren Sieg auch der hohen Wahlenthaltung, die mit 36% einen Rekord erreicht hat. Vor allem die linken Wähler*innen blieben zuhause. Die sozialliberale PD (Demokratische Partei) war an allen Maßnahmen des Sozialabbaus beteiligt und erreichte nur 19% der Stimmen, die eher sozialdemokratische “Allianz der Linken und Grünen” nur 3%, die “Volksunion”, die ein radikales Programm vertritt, erzielte 1,4%.
Anders als bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich gab es keinen Last-Minute-Effekt, um die Rechte am Sieg zu hindern. Das liberale Establishment hatte in den letzten Jahren so viel Schaden angerichtet, dass eine rechte Regierung weniger schrecklich erschien.
Wie weit geht Meloni?
Es gibt keine faschistische Machtergreifung, Meloni wird nicht zum 100. Jahrestag Mussolinis “Marsch auf Rom” wiederholen. Sie ist angewiesen auf ihre Bündnispartner*innen, das Kapital, die Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen und der Bürokratie. Bis zu einem gewissen Grad werden sich die “Brüder” auch entzaubern, wenn sie zeigen, dass sie nichts tun, um den sozialen Niedergang zu stoppen.
Das heißt jedoch nicht, dass die Gefahr unterschätzt werden sollte. Die Präsidentschaft Trumps zeigt, wie die Rechte an der Macht die Polarisierung vorantreibt und Rassismus, Nationalismus und Frauenhass tiefer verankert. Schon jetzt ist es der FdI gelungen, die Unzufriedenheit gegen Geflüchtete zu lenken. Die Angriffe auf die Gewerkschaften und das Gesundheitswesen werden weitergehen und ergänzt werden von Wellen von Rassismus, Sexismus und Homophobie. Insbesondere für Frauenrechte sind die “Brüder” eine Gefahr. Meloni wird sich die reaktionäre Wende in den USA sowie Polen und Ungarn zum Vorbild nehmen und versuchen, das Recht auf Abtreibung auszuhebeln.
Die Regierung wird an der brutalen Politik des früheren Innenministers Salvini von der Lega Nord anknüpfen und gewaltsam gegen Geflüchtete vorgehen, die versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen. Die rechte Politik wird nicht auf die Ebene von Institutionen und Bürokratie beschränkt bleiben, sondern auch an der Basis ankommen: Faschistische Schläger und Mörder werden ermutigt, auf die Straße zu gehen.
Die Linksliberalen sind nicht in der Lage, die Rechte zu stoppen. Die EU wird es nicht tun. Wenn Meloni die neoliberale Wirtschaftspolitik fortsetzt und weiter die Ukraine unterstützt, wird die EU zu Angriffen auf demokratische Rechte, Frauen und LGBTQ+-Menschen schweigen. Im Unterschied zur Lega Nord vertreten die “Brüder” einen klaren Pro-NATO- und Pro-US-Kurs. Die CDU/CSU ist über ihre Schwesterpartei, Berlusconis Forza Italia, ohnehin mit der Regierung verbunden.
Der Widerstand muss von der Arbeiter*innenklasse kommen. Auf der parteipolitischen Ebene bleibt es kompliziert. Die besten Ansätze finden sich in den Betrieben, in denen aktive Gewerkschaften immer wieder kämpfen, zuletzt vor allem in der Logistikbranche. Auch die Jugend und die feministische Bewegung werden ihre Errungenschaften in harten Kämpfen verteidigen müssen.
Foto: Jose Antonio at Italian Wikipedia (CC-BY 4.0)