Jina Mahsa Amini muss das Symbol einer erfolgreichen Revolution der Arbeiter*innen werden!

Die Ermordung einer jungen Kurdin im Iran hat eine massive Welle des Aufruhrs, der Proteste und Streiks ausgelöst, die das gesamte Regime bedroht.

Nina Mo, ISA in Österreich

Die Ermordung einer jungen Kurdin im Iran hat eine massive Welle des Aufruhrs, der Proteste und Streiks ausgelöst, die das gesamte Regime bedroht. Mit der wachsenden weltweiten Instabilität für die herrschenden Klassen könnte die gesamte Region erneut zum Epizentrum von Revolution und Konterrevolution werden.

„Alles oder nichts“ drückt die Stimmung der Massen im Iran, in Kurdistan und darüber hinaus aus. Trotz brutaler Unterdrückung, Tötungen und Verhaftungen sind sie weiterhin auf den Straßen. Kürzlich versammelten sich Frauen in Afghanistan, um ihre Solidarität mit einer Kundgebung zu zeigen, die dann von den Taliban aufgelöst wurde. Die Taliban, wie auch andere islamistische Kräfte in der Region, fürchten ein Ausbreiten der Protestwelle. Die tödlichen Angriffe des irakischen Regimes gegen kurdische Gruppen zeigen, dass sie befürchten, die Bewegung könnte sich auf die gesamte kurdische Region ausweiten. Die Proteste haben bereits gezeigt, dass sie das Potenzial haben, ethnische, nationale und geschlechtsspezifische Spaltungen zu überwinden, was ein Schlüsselelement ist, um das islamistische Regime im Innersten zu treffen. Das Regime muss von der Arbeiter*innenklasse gestürzt werden, die eine sozialistische Alternative anstrebt, um die Befreiung der Frauen, körperliche Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit zu erreichen.

Das Regime reagiert verzweifelt auf die anhaltenden Proteste

Das islamische Regime hat fast alles, was es hat, ins Feld geführt. Es hat Streitkräfte in die protestierenden Städte geschickt und Kinder, die für die Basidsch, eine repressive militärische Einheit, rekrutiert wurden, mit Waffen, einschließlich Maschinengewehren, ausgestattet. Die Sicherheitskräfte wurden ausdrücklich angewiesen, „gnadenlos gegen die Protestierenden vorzugehen“. Während das Regime die tatsächliche Zahl der Todesopfer verschweigt, gehen einige Schätzungen davon aus, dass sie bereits bei über 200 liegt. Die Verhaftung von Personengruppen nimmt kein Ende, und das Internet ist weiterhin blockiert.

Doch die „Unruhen“, wie sie genannt werden, gehen nun in die zwölfte Nacht (Artikel auf English am 2.10. veröffentlicht und entsprechend vorher geschrieben, Anm.) und breiten sich weiter im ganzen Land und darüber hinaus aus. Frauen, Jugendliche und Arbeiter*innen haben ihre Angst vollständig verloren und nicht nur ihre Hijabs verbrannt, sondern auch die Büros der Basidsch in Brand gesteckt.

Weitreichende Streiks haben die Universitäten lahmgelegt, in einigen Städten sind in Klassen, die normalerweise etwa zweihundert Schüler*innen haben sollten, nicht mehr als fünf anwesend, wobei sich Professor*innen und Lehrer*innen den Studierenden anschließen. Die Lehrkräfte rufen zu weiteren Streiks auf, und vor kurzem haben die Vertragsarbeiter*innen in der Ölindustrie mit Streiks gedroht, falls die Regierung die Repression fortsetzt. Dies wäre ein gewaltiger Schlag.

Aus Ashnoye in der Provinz West-Aserbaidschan/nördlichesOst-Kurdistan wird berichtet, dass kleine Geschäfte und Märkte nun schon den zehnten Tag in Folge bestreikt werden. Die Sicherheitskräfte sind weiterhin in den Straßen und Stadtvierteln unterwegs, aber nachts gehen die Menschen in kleinen Gruppen auf die Straße, trennen sich, versammeln sich wieder an einem anderen Ort und skandieren von den Dächern und Fenstern aus Slogans wie „Frauen, Leben, Freiheit“, „Tod dem Diktator“ und „Dies ist die letzte Botschaft – unser Ziel ist das ganze System“.

Die Drohnenangriffe des Irans gegen kurdische Gruppen im irakischen Südkurdistan stellen eine neue Eskalation dar und zeigen die Bereitschaft des Regimes, gezielt gegen die militante kurdische Bewegung vorzugehen. Zugleich ist das Regime eindeutig gespalten. Präsident Raisi pendelt zwischen „weichen Worten“ und einer harten Linie. Die Stimmen der Kleriker, die zumindest mit einigen Zugeständnissen reagieren wollen, werden immer lauter. Ein einflussreicher Kleriker aus der „Heiligen Stadt“ Qom erklärte jüngst, es sei „ein strategischer Fehler, religiöse und kulturelle Fragen mit Sicherheits- und Polizeimaßnahmen zu behandeln“. Auch einige konservative Politiker*innen und prominente religiöse Anführer*innen haben sich kritisch über das Vorgehen der Sittenpolizei geäußert, weil diese ihrer Meinung nach Frauen von der Religion abschreckt.

Die Verhaftung von Faeseh Haschemi, der Tochter des ehemaligen Präsidenten Rafsandschani, trägt zur Entwicklung der wachsenden Spaltung bei. Es ist nicht das erste Mal, dass gemäßigte, „Reform“-Kräfte versuchen, in solchen Situationen Einfluss zu gewinnen. Aber wir befinden uns jetzt in einer anderen Zeit als 2009. Das gesamte Regime, das gesamte Establishment, befindet sich in einer tiefen Legitimationskrise, und es wird nahezu unmöglich sein, eine neue Stufe der Stabilität zu erreichen, indem man Raisi und seinen Flügel nur durch andere Vertreter*innen des islamischen Regimes ersetzt.

Außerdem scheinen die Sicherheitskräfte des Regimes in einer tiefen Krise zu stecken und erschöpft zu sein. Sie verlieren Leute, es gibt sogar Berichte über Soldat*innen, die auf die Seite der Bewegungen überlaufen. Das Regime muss sich außerhalb des Landes nach neuen Kräften umsehen, denn in einigen Städten fehlt es buchstäblich an Basidsch/Polizei/Militär vor Ort, um gegen die Proteste und Versammlungen vorgehen zu können.

Studierenden-Bewegung am Vormarsch

Eines der wichtigsten Merkmale der Bewegung in dieser Phase ist die führende Rolle der Jugend, die spontan auf den Straßen randaliert, aber auch koordiniert protestiert. Trotz zahlreicher Verhaftungen von Studierenden gehen die Proteste in Form von Streiks, Versammlungen und Demonstrationen an den Universitäten des Landes weiter. An Dutzenden von Universitäten im Land wird gestreikt, und die Studierenden haben angekündigt, dass sie nicht an virtuellen oder Präsenzveranstaltungen teilnehmen werden. Eine Reihe von Dozierenden an verschiedenen Universitäten haben sich geweigert, Vorlesungen abzuhalten, und sich mit den Studierenden solidarisch erklärt, um gegen die Unterdrückung und das Morden im Iran zu protestieren.

An der Medizinischen Hochschule in Shiraz protestierten die Student*innen mit den Slogans „Wir werden kämpfen, wir werden sterben, wir werden den Iran zurückerobern“ und „Ich werde den töten, der meine Schwester getötet hat“. Auch die Lernenden der Sepehr-Universität von Isfahan schlossen sich dem landesweiten Studenten*innenstreik an und hielten eine Kundgebung ab. Sie marschierten mit Slogans wie „Die inhaftierten Student*innen müssen freigelassen werden“ über den Universitätscampus. Die aktuelle Liste der Universitäten, an denen Unterricht boykottiert wurde, wurde am Mittwoch veröffentlicht. Laut dieser Liste haben Student*innen an mehr als achtzig Universitäten im ganzen Land den Unterricht boykottiert. (Seither ist es zu massiver Repression und Gewalt des Regimes insbesondere gegen die Studierenden der Sharif Universität gekommen, Anm.)

Die radikale Stimmung unter den Jugendlichen ist eindeutig ein Element, das auch breitere Schichten der Arbeiter*innenklasse inspiriert. Es handelt sich um eine Generation, die unter der neuen Regierung Raisi noch stärker unter Repression, Gewalt und Ungleichheit zu leiden hat. Sie leidet unter der anhaltenden Wirtschaftskrise, Armut, Hunger und Verzweiflung. Es ist nicht das erste Mal, dass die Inflation explodiert, letztes Jahr lag sie bei 45 %. Die Jugend ist mit einer düsteren Gegenwart und Zukunft konfrontiert, die in dieser explosiven Stimmung und Wut zum Ausdruck kommt.

Neue Streikwellen in Sicht – Arbeiter*innen müssen die Führung übernehmen

Der Hashtag, der einen Generalstreik fordert, überschwemmt derzeit die sozialen Medien. Vor allem junge Menschen sehen die Notwendigkeit, die Bewegung zu verbreitern, und dass die nächsten Schritte breitere Streikaktionen sein sollten. Die Streikankündigung der Vertragsarbeiter*innen der Ölindustrie ist eine Warnung an das Regime. Sie ist ein wichtiger Schritt, der zu einem tatsächlichen Generalstreik führen könnte. Gleichzeitig scheinen einige Verbände von Beschäftigten recht zögerlich zu sein, sich der Bewegung anzuschließen. Viele von ihnen – Busfahrer*innen, Ölarbeiter*innen, die Arbeiter*innen der Zuckerfabrik Haft Tappeh usw. – haben erklärt, dass sie die Bewegung unterstützen und bereit sind, sich ihr auf der Straße anzuschließen, aber es ist klar, dass dies nicht ausreicht.

Es ist kein Zufall, dass die Lehrer*innen die ersten Beschäftigten außerhalb der kurdischen Regionen waren, die einen Streik organisiert haben. Die meisten Lehrer*innen im Iran sind Frauen, und sie standen in den letzten Jahren an der Spitze einer Reihe von militanten Streikaktionen. In ihren Kämpfen gegen Unterdrückung, unbezahlte Löhne, bessere Arbeitsbedingungen usw. standen in den letzten Jahren immer Forderungen im Mittelpunkt, die speziell die Unterdrückung der Frauen betrafen. Ihre Aktionen sollte auch für breitere Arbeiter*innen und unabhängige Vereinigungen als Beispiel dienen. Die Arbeiter*innenbewegung muss sich mit den Student*innen und Frauen verbinden, um die Führung im Aufstand zu übernehmen und sicherzustellen, dass die notwendigen nächsten Schritte unternommen werden, um die Herrschaft der Mullahs zu brechen. Dazu gehört die Bildung von Selbstverteidigungskomitees in den Nachbarschaften und an den Arbeitsplätzen, um der massiven Repression widerstehen zu können. Das wäre ein erster Schritt zur Bildung demokratisch organisierter Räte, die die Großindustrie, die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft übernehmen.

Frauenunterdrückung als Schlüsselelement

Die Ermordung von Jina war ein Akt staatlicher Gewalt gegen Frauen und LGBTQI+ Menschen. Seitdem sind andere Frauen, die während des Aufstandes getötet wurden, zu neuen Symbolen der Bewegung geworden. Es ist offensichtlich, dass die Tatsache, dass die Bewegung mit einer Rebellion gegen die Hijab-Pflicht begann und sich von Anfang an zu einer Rebellion gegen das gesamte Regime und System entwickelte, das liegt daran, dass die Unterdrückung der Frauen eine der wichtigsten Säulen des Regimes ist.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich diese massive Unterdrückung in allen Institutionen des Systems sowie in der gesamten Gesellschaft, der Kultur, den Familien und den Köpfen fest verankert. Die islamische Republik ist auf der Notwendigkeit aufgebaut, Frauen und Männer zu trennen, Frauen in die Haushalte zu drängen, um sie noch mehr auszubeuten. Jedes Jahr werden über 2.000 Frauen ermordet. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher. Dies geschieht nicht nur durch ihre Männer und andere Familienmitglieder, sondern auch durch Polizisten, Basidsch und andere Sicherheitskräfte. Todesurteile sind die extremste Form dieser staatlichen Gewalt, aber sie ist etwas, das Frauen täglich in verschiedenen Formen erleben.

In den letzten Jahren hat sich online und offline eine iranische #metoo-Bewegung entwickelt, die mit allen gefährlichen Tabus über die andauernden Vergewaltigungen, die Gewalt und den Missbrauch bricht. Dies war eine entscheidende Bewusstseinsentwicklung, die zu der Tatsache hinzukommt, dass Frauen in der gesamten Region in der letzten Zeit an vorderster Front der revolutionären Bewegungen standen – vom Sudan bis zum Libanon. Dieses wachsende feministische Bewusstsein steht in scharfem Kontrast zu den Versuchen des Regimes, seit Präsident Raisi 2021 an die Macht kam, die Rechte der Frauen weiter einzuschränken und eine drakonischere Vorgehensweise bei der Kleiderordnung für Frauen und den Hijab-Richtlinien durch die Sittenpolizei durchzusetzen.

Es gibt auch ein wachsendes Selbstbewusstsein unter Arbeiter*innen und jungen Frauen, das durch die fortschreitende Urbanisierung und die Tatsache, dass die Mehrheit der Studierenden im Iran inzwischen weiblich ist, verstärkt wird. Diese Veränderungen in den Strukturen der weiblichen Bevölkerung kollidieren ständig mit der Realität, in die Häuser zurückgedrängt zu werden und mit eingeschränkten Rechten, Gewalt und Frauenfeindlichkeit konfrontiert zu sein.

Wenn sich die Frauen erheben, ist das islamische Regime sofort bedroht, denn seine Ideologie beruht auf Frauenfeindlichkeit, Unterdrückung und der Ausbeutung von Frauen im Besonderen. Die Kontrolle über den Körper und die Kleidung der Frauen war vom ersten Moment nach der gestohlenen und verratenen Revolution von 1979 an eine der Stützen des Regimes. Dies geschah auch in dem Versuch, einen großen Teil der ehemaligen Aktivist*innen zu kriminalisieren und sie buchstäblich von der Straße zu holen, um die starren Geschlechterrollen aufrechtzuerhalten, und das revolutionäre Potenzial der Frauen zu brechen, die immer an der Spitze des Kampfes standen. Sie brauchten diese Ideologie, die auf der Aufrechterhaltung starrer Geschlechterrollen beruht, um das revolutionäre Potenzial der Frauen zu brechen, die immer an vorderster Front des Kampfes standen, und um ihre Basis jenseits der Revolutionsgarde, des Militärs, der Kleriker usw. aufzubauen, indem sie die Taktik des Teilens und Herrschens unter der Arbeiter*innenklasse nutzten. Die religiöse Diktatur hat zur Folge, dass diese tief sitzende Frauenfeindlichkeit in allen Lebensbereichen und insbesondere in den Köpfen der Männer reproduziert werden muss.

Es ist nicht zu unterschätzen, wie wichtig es ist, dass Männer und Frauen im ganzen Land, über die kurdischen Gebiete hinaus, zusammenkommen, um „Frauen, Leben, Freiheit“ zu skandieren, um die Forderungen nach Frauenbefreiung bewusst in den Mittelpunkt der Bewegung zu stellen. Es wurde ein Video in Umlauf gebracht, das zeigt, wie ein Mann eine Frau auf der Straße schlägt und in den folgenden Sekunden von einer Gruppe von Menschen, hauptsächlich Männern, dafür angegriffen wird. Dies ist nicht nur eine außergewöhnliche Szene, sondern ein Spiegelbild dessen, was in vielen, vielen Nachbarschaften, an Arbeitsplätzen und im Bewusstsein vor sich geht.

Frauen akzeptieren nicht länger die brutale Frauenfeindlichkeit, Belästigung und Gewalt, die sie täglich erleben. Sie leisten Widerstand und inspirieren oft andere mit ihren individuellen Aktionen, sei es, dass sie ihren Hidschab ablegen oder sich körperlich wehren. 2017, 2019 und in anderen Zeiten des Aufbruchs spielten Frauen, die ihren Hidschab abnahmen, eine Rolle in der Bewegung, aber dies ist nun eine neue Qualität der weit verbreiteten Bereitschaft, damit das eigene Leben zu riskieren.

Wie auch immer die aktuelle Bewegung ausgehen mag, sie hat der Autorität und den ideologischen Grundlagen des Regimes einen historischen Schlag versetzt, und die Situation wird nie wieder dieselbe sein. Das ist der Grund, warum diese Bewegung so brisant ist: Die Forderung nach einem Ende der Hijab-Pflicht und aller religiösen und reaktionären Gesetze und Einschränkungen ist eine direkte Forderung nach dem Ende der gesamten islamischen Republik. Schon in den letzten Jahren haben wir gesehen, wie die Unterstützung für die religiösen Institutionen und den Islam selbst im Iran immer weiter abgenommen hat, vor allem unter jungen Menschen. Die Tatsache, dass diese religiösen Anführer*innen auch die Superreichen sind, die mit den Revolutionsgarden die größten und wichtigsten Teile der Wirtschaft kontrollieren und von der Ausbeutung der gesamten Arbeiter*innenklasse profitieren, ist eindeutig ein Grund, warum die Kombination von politischen und wirtschaftlichen Forderungen Hand in Hand geht.

Die kurdische Frage und die Lehren aus der revolutionären Geschichte

Diese Erhebung, die das eindeutige Potential hat, sich zu einer revolutionären Massenbewegung zu entwickeln, ist nicht vom Himmel gefallen. In den letzten Jahren wurde das Regime immer wieder erschüttert, von den größten Streikwellen seit 40 Jahren bis hin zu den heftigen Aufständen der Arbeiter*innen, der Jugend und der Armen gegen Wasserknappheit, explodierende Lebensmittel- und Energiepreise, und ähnlichem. Seit der Pandemie hat diese Generation eine Krise nach der anderen erlebt und wurde noch stärker radikalisiert. Schon 2019 hat sie die Angst vor der Konfrontation mit den Sicherheitskräften verloren, dies hat sich nun weiter entwickelt. Es gibt einen breiten Rückgang der Unterstützung für das Regime und alles, was es repräsentiert. In all diesen Bewegungen stehen Frauen und die am meisten unterdrückten Schichten der Arbeiter*innen an vorderster Front.

Kurd*innen, aber auch viele, viele andere Gruppen und ethnische, religiöse und andere Minderheiten im ganzen Land, erleben brutale Unterdrückung wie Jina, die ihren richtigen Namen nicht benutzen durfte. Das Regime bedient sich stets des Chauvinismus, des Rassismus und des Nationalismus, um all diese Gruppen als Bürger*innen „zweiter Klasse“ darzustellen, ihnen alle möglichen Rechte zu verweigern und sie auf verschiedene Weise zu diskriminieren.

Der Mord an Jina war zweifellos ein Auslöser für einen Aufstand gegen diese Form der Unterdrückung. Indem der berühmte Slogan des revolutionären Kampfes in Rojava „Frauen, Leben, Freiheit“ aufgegriffen und ins Farsi übersetzt wurde, hat die Bewegung bereits ihr Potenzial gezeigt, einen gemeinsamen Kampf gegen diese Spaltungen aufzubauen. So ist es beispielsweise von entscheidender Bedeutung, dass in Tabris, der Hauptstadt von Ost-Aserbaidschan, die Menschen diesen Slogan auf Kurdisch rufen! Dies ist ein klares Statement in einer Region, in der die kurdische Minderheit unter tiefsitzendem Hass leidet.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bewegung eine klare Haltung und Herangehensweise an die Frage der nationalen und ethnischen Minderheiten entwickelt und die Forderung nach Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt. Es ist sehr gefährlich, dass nationalistische, monarchistische und liberale Kräfte, vor allem innerhalb der internationalen Solidaritätsbewegung, versuchen diese Themen zu ignorieren oder sogar zu unterschlagen, ebenso wie Forderungen, die speziell die Rechte von Frauen und LGBTQI+ betreffen.

Monarchistische Kräfte haben zuletzt versucht, dem Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ den Slogan „Männer, Heimat, Wohlstand“ hinzuzufügen, der in einigen Studierenden-Versammlungen aufgegriffen wurde. Dies ist ein gefährlicher Versuch, nationalistische Ideen zu verbreiten und Schlüsselelemente der Bewegung zu untergraben. Um eine Einheit unter den arbeitenden Massen in der gesamten Region zu schaffen, muss der Kampf gegen nationale und ethnische Unterdrückung und jede Form von chauvinistischen, rassistischen Haltungen, Gesetzen und Politik mit einem breiten Programm für Arbeiter*innenrechte, demokratische Rechte, Frauenrechte und wirtschaftliche Forderungen nach menschenwürdigen Arbeitsplätzen, Löhnen, gegen Armut, Hunger und Sparmaßnahmen verbunden werden.

Diese Art des vereinten Kampfes, in dessen Mittelpunkt die Forderung nach Beendigung der Unterdrückung stehen muss, ist notwendig, um der Spaltung zu widerstehen, die das Regime für seine Herrschaft benötigt. In gewisser Weise ist dies auch eine der wichtigsten Lehren aus der Revolutionsgeschichte im Iran. Die Fehler der Linken im Iran, die zur Konterrevolution in der Zeit nach 1979, der Revolution, die den Schah stürzte, führten, sind eng mit dieser Frage verbunden.

Innerhalb weniger Monate nach der Gründung der Islamischen Republik wurden Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten und Arbeiter*innen brutal angegriffen. Arbeiterinnen wurden gezwungen, sich an die islamische Kleiderordnung zu halten, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. Frauen durften keine Richter*innen werden. Strände und Sportplätze waren nach Geschlechtern getrennt. Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen wurde auf 9 Jahre herabgesetzt, und verheiratete Frauen durften keine regulären Schulen besuchen.

Der Schah hatte diese Rechte, die nun in Frage gestellt wurden, nicht gewährt, sondern sie waren in den Jahren zuvor in einem erbitterten Kampf errungen worden. Die Rückgängigmachung dieser Errungenschaften gehörte nicht zu den Zielen der Revolution der Arbeiter*innen und der Armen. Frauen, vor allem arme Frauen und Frauen aus der Arbeiter*innenklasse, standen an der Spitze der Bewegung gegen den Schah, einschließlich des Verbots des Hidschabs schon in den Jahren vor 1979.

Der Schah repräsentierte eine enorme, unglaubliche Konzentration von Reichtum in den Händen der herrschenden Elite, während die Arbeitslosigkeit in dieser Zeit explodierte, riesige Slums in Teheran entstanden, sich Krankheiten ausbreiteten usw. Dies war der soziale Hintergrund für die Opposition gegen den Schah und die revolutionären Aufstände, bei denen die Frauen ihre Forderungen nach Autonomie und Freiheit in den Mittelpunkt stellten.

Den Mullahs, Khomeini und seinen Anhänger*innen gelang es, das Rad der Zeit zurückzudrehen und die Führung der Bewegung zwischen 1979 und 1981 zu übernehmen, trotz der enormen Arbeiter*innenbewegung, Arbeiter*innenräte usw. Das lag vor allem an massiven Fehlern der (stalinistischen und maoistischen) Linken und der großen Arbeiter*innenorganisationen. Sie ordneten sich den islamistischen Kräften unter und akzeptierten die Angriffe auf Frauen und Minderheiten, um sich mit den Mullahs gegen den Schah zu verbünden. Sie akzeptierten den Hidschab als verpflichtend und andere Maßnahmen, die zu den ersten Schritten der Konterrevolution gehörten. Dies hängt mit einem blinden Fleck in Bezug auf Fragen der Unterdrückung und dem Verständnis dafür zusammen, dass diese untrennbar mit einer revolutionären Bewegung verbunden sind.

Die Vorstellung, dass sich „alle Kräfte vereinigen“ müssen, um einen bestimmten Feind zu bekämpfen, und die so genannte „Etappentheorie“, die sich diese Kräfte zu eigen gemacht hatten, sind auch heute noch eine Bedrohung für die Bewegung. Während 1979 die „Einheit“ mit den Mullahs gegen den Schah zu einer brutalen Konterrevolution führte, mit Massenhinrichtungen, Verhaftungen und einem harten Vorgehen gegen die gesamte sozialistische und Arbeiter*innenbewegung. Diesmal droht die Idee der Einheit „aller politischer Kräfte“ gegen die Mullahs. Es ist äußerst gefährlich, dass die Familie des ehemaligen Schahs, angeführt von seinem Sohn Reza Pahlavi, versucht, die Bewegung zu beeinflussen und Unterstützung zurückzugewinnen. Das sind Kräfte, die ihre Herrschaft wieder errichten wollen, was nicht zu einer wirklichen Befreiung der Frauen, des kurdischen Volkes, der Unterdrückten, der Arbeiter*innen und der Armen führen kann.

Imperialistische Interessen und internationale Auswirkungen

Auch wenn dieses Szenario nicht das wahrscheinlichste ist, zeigen die Verbindungen zwischen der Schah-Familie und dem westlichen Imperialismus, dass dieses Szenario eine Möglichkeit darstellt. Der westliche Imperialismus ist in seinen Reaktionen zurückhaltender als in der Vergangenheit, da er nach Alternativen zu russischem Öl und Gas sucht. Der Iran verfügt über die zweitgrößten Gasreserven und die fünftgrößten Ölreserven der Welt. Sie fürchten sich auch vor der wachsenden Bewegung, denn anders als zum Beispiel 2009 scheint sie in den Westen derzeit keine wirklichen Illusionen zu haben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf die einfache Bevölkerung und die Armen haben sich in den letzten Jahren nur noch verschlimmert. Das ist auch der Grund, warum die Propaganda des Regimes, dass die Bewegung eine Verschwörung des Westens sei, immer weniger wirksam ist.

Während das iranische Regime versucht, sich im Kontext des neuen Kalten Krieges zu positionieren, bemüht sich der westliche Imperialismus, insbesondere die USA, um eine Normalisierung der Beziehungen zum Regime und arbeitet auf ein Atomabkommen hin. Auf der anderen Seite zeigen die Versuche, den Iran und Argentinien in das BRICS-Bündnis (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) einzubeziehen, wie die verschiedenen Blöcke im Kontext neuer imperialistischer Spannungen und der zunehmenden Kriegsgefahr ihre Bemühungen verstärken, ihre Bündnisse zu festigen und neue zu schließen.

Gleichzeitig ist klar, dass keine dieser Kräfte ein wirkliches Interesse an einer massiven Destabilisierung im Iran hat, schon gar nicht durch diese Art von potentieller revolutionärer Bewegung. Ein möglicher feministischer Wutausbruch der Frauen in Saudi-Arabien beispielsweise wäre auch ein Schlag gegen die Interessen des westlichen Imperialismus. Dies ist kein unwahrscheinliches Szenario, denn wir haben bereits bedeutende Auswirkungen in der gesamten Region gesehen. Die Frauen in Afghanistan, die mit brutaler Unterdrückung konfrontiert sind, haben sich kürzlich mit der Bewegung im Iran solidarisiert und wurden daraufhin von den Taliban angegriffen. Frauen in Kurdistan, Syrien, Irak, Sudan und anderen Ländern haben in einigen Städten mit Kundgebungen und Demonstrationen ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht.

Große Solidaritätsproteste von London bis Paris, von den USA bis Schweden sind beeindruckend und zeigen eine Radikalisierung nicht nur innerhalb der kurdischen und iranischen Gemeinschaft, sondern darüber hinaus. Die Welle der Solidarität in den sozialen Medien (der persische Hashtag zur Unterstützung von Jina Amini hat über 100 Millionen erreicht!) ist ein klares Zeichen dafür, dass die allgemeine Radikalisierung von Frauen und Jugendlichen, die sich gegen jede Form von Frauenfeindlichkeit, Sexismus und Gewalt gegen Unterdrückte wehren, durch die Entwicklungen im Iran verstärkt wird.

Für viele ist die Bewegung im Iran und der Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ ein Beispiel dafür, dass wir radikale Maßnahmen gegen die Unterdrückung und Ausbeutung brauchen, der wir ausgesetzt sind – von Femizid bis zu Abtreibungsbeschränkungen, von unbezahlter Arbeit bis zu Belästigungen. Der heldenhafte Kampf kurdischer, iranischer, afghanischer und anderer Frauen in der Region gegen die Diktatur ist in den Augen vieler Menschen auf der ganzen Welt die Art von Widerstand, die sie sehen wollen vor dem Hintergrund eines allgemeinen Anstiegs rechtsextremer Kräfte und Angriffen auf Frauen und LGBTQI+-Rechte von den USA bis Italien.

Ein Programm und eine Führung, um voranzukommen

Während sich die Stimmung der Solidarität auf der ganzen Welt verbreitet, braucht die Bewegung vor Ort eine konkrete Perspektive und ein politisches Programm, um voranzukommen. Im Moment ist sie noch sehr spontan, explosiv, heterogen und verwirrt in Bezug auf konkrete Forderungen und Perspektiven. Die Drohnenangriffe des Regimes in Kurdistan zum Beispiel zeigen auch die Gefahr, dass das Regime mit dem Einsatz des Militärs reagieren könnte,und es eine Militarisierung der Bewegung geben könnte, wenn es keine klaren, koordinierten Aktionen gibt, um die Bewegung zu verbreitern und weiter voranzubringen. Trotz des heroischen Opfers des kurdischen Volkes ist klar, dass das Regime nicht durch militärischen Kampf, sondern durch Massenaktionen der Arbeiter*innen, die eine enorme wirtschaftliche Macht im Iran haben, bezwungen werden wird.

Frühere Protestwellen wie 2017 oder 2019 haben gezeigt, dass spontane Wutausbrüche schnell niedergeschlagen werden können, wenn es nicht zu einer weiteren Eskalation der Bewegung und einem Programm kommt, das die Arbeiter*in tatsächlich um zentrale Forderungen und Kampfmethoden vereinen kann. Instinktiv verknüpfen die Massen politische und wirtschaftliche Forderungen, die zu einem sozialistischen Programm als Alternative zum derzeitigen politischen und wirtschaftlichen System im Iran entwickelt werden müssen.

Während das Regime davon spricht, den Fall Jina zu untersuchen, ist es klar, dass man keiner seiner Institutionen vertrauen kann. Sie wurden geschaffen, um das System zu stabilisieren und um die Interessen der Kapitalist*innenklasse im Iran zu verteidigen, die tief in religiösem Fundamentalismus, Frauenfeindlichkeit und reaktionärer Ideologie verwurzelt ist. Eine wirkliche Untersuchung kann es nur geben, wenn sie von demokratischen Strukturen der Arbeiter*innen durchgeführt wird, die aus einer revolutionären Bewegung hervorgehen. Um diese Form der staatlichen Gewalt gegen Frauen und den Femizid zu beenden, muss das gesamte System der Frauenunterdrückung gestürzt werden. Frauen müssen die gleichen Rechte haben, die freie Entscheidung darüber, was sie anziehen, einschließlich des Rechts, einen Hidschab zu tragen, wenn sie es wünschen, und darüber, wo sie arbeiten und leben – aber nicht nur auf dem Papier. Während der Pandemie haben vor allem Frauen im Iran ihre Arbeit verloren. Vor dem Hintergrund der tiefen Wirtschaftskrise und der Armut haben viele Frauen keine Perspektive, ein unabhängiges Leben zu führen. Stattdessen werden sie in die Ehe und wirtschaftliche Abhängigkeit gezwungen, erleben täglich Gewalt und extrem niedrige Löhne.

Forderungen wie die Beendigung jeglicher Form von Diskriminierung ethnischer, nationaler oder religiöser Minderheiten, volle demokratische und Frauenrechte wie die Auflösung der Sittenpolizei, die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Versammlungsfreiheit usw. sind mit Forderungen verbunden, die die Frage nach der wirtschaftlichen Macht stellen. Die wirtschaftliche Macht der Mullahs und z.B. der Revolutionsgarden (IRGC) und die Tatsache, dass große Teile der Wirtschaft in Staatsbesitz oder in den Händen einzelner religiöser Institutionen oder Personen sind, macht sehr deutlich, dass es dieselben Personen sind, die für Morde wie den von Jina verantwortlich sind. Sie sind auch direkt für die verzweifelte Lage der Arbeiter*innen und Armen verantwortlich. Sie sind die ersten, die enteignet werden müssen, und ihr Reichtum muss für menschenwürdige Wohnungen, Arbeitsplätze zur Beseitigung von Hunger und Armut, zur Finanzierung von Sozialleistungen, Bildung usw. verwendet werden.

Das kapitalistische System dient nur den Interessen einer kleinen Minderheit der Superreichen im Iran. Sie haben weder unter den Auswirkungen der Pandemie noch unter der Wirtschaftskrise gelitten. Sie sind auch nicht von den religiösen Gesetzen und Regeln betroffen – sie feiern ihre privaten Partys in ihren riesigen Villen, innerhalb und außerhalb des Landes, ohne Angst haben zu müssen, von der Sittenpolizei verhaftet zu werden. Ihr System muss vollständig durch ein sozialistisches System ersetzt werden, das sich an den Bedürfnissen der Massen, der Arbeiter*in, der Bauern und Bäuerinnen und der Armen orientiert.

Die Versuche sowohl der ehemaligen Schah-Familie als auch liberaler Feministinnen wie Masih Alinejad und anderer, sich als „Anführer*innen“ der Bewegung darzustellen, waren offensichtlich nicht erfolgreich. Das Gegenteil ist der Fall, eine große Schicht der protestierenden Jugend ist äußerst skeptisch gegenüber jeder Art von „Führung“ der Bewegung. Darin spiegelt sich eine positive Ablehnung jener Kräfte wider, denen man nicht trauen und auf die man nicht bauen kann. Gleichzeitig ist eine Diskussion über die Art der revolutionären Führung nötig, die für die Weiterentwicklung der Bewegung notwendig ist.

Der große Wunsch in der Bewegung nach Selbstbestimmung und Befreiung ist untrennbar mit dem Bedarf an demokratischen Strukturen und Koordination verbunden. Eine wirkliche, revolutionäre Führung muss aus genau den Schichten von Frauen, Arbeiter*innen, Jugendlichen und Unterdrückten entwickelt werden, die revolutionäre Schlussfolgerungen gezogen haben und die Notwendigkeit sehen, mit dem Staatsapparat sowie mit dem gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der Islamischen Republik zu brechen.

Das Potenzial für eine solche Führung ist vorhanden, wenn wir uns zum Beispiel die kämpferische Gewerkschaft Haft Tappeh ansehen, wo die Arbeiter*innen nicht nur wichtige Streiks anführen konnten, sondern sogar einen großen Sieg errungen haben – die Renationalisierung einer großen Zuckerfabrik im letzten Jahr. Gleichzeitig zeigt das Beispiel der Arbeiter*innen von Haft Tappeh auch die Notwendigkeit, für eine echte Arbeiter*innenkontrolle über die Wirtschaft zu kämpfen. Ein notwendiger nächster Schritt dazu muss die Schaffung demokratisch organisierter, multiethnischer Selbstverteidigungskomitees sein, um die Bewegung und die Massen gegen staatliche Repression verteidigen zu können, aber auch um diese Komitees zu nutzen, um für diese Art der Kontrolle über die Wirtschaft zu kämpfen.

Wenn sich nicht rechtzeitig eine sozialistische, revolutionäre Führung bildet, droht die massive Gefahr einer Konterrevolution, in den kurdischen Gebieten vielleicht sogar die Gefahr eines Bürgerkrieges. Um eine Organisation, eine revolutionäre Partei aufzubauen, die ein solches sozialistisches Programm in der Bewegung vor Ort verankern, national und international koordinieren und zum politischen und organisatorischen Zentrum dieser Bewegung werden kann, ist es entscheidend, dass das Potential der sich entwickelnden internationalen Solidaritätsbewegung genutzt wird. Angesichts der Internetblockade hat diese Solidaritätsbewegung eine große Verantwortung: Sich nicht auf allgemeine Solidarität zu beschränken, sondern tatsächlich politische Klarheit, eine Perspektive und ein Programm zu diskutieren, zu entwickeln und zu verbreiten. Die Exil-Communitiy sowie die breitere internationale Arbeiter*innenbewegung können eine Rolle spielen, die einen echten Einfluss auf die Bewegung im Iran hat, indem sie die Rede- und Organisationsfreiheit nutzen, um für eine sozialistische Perspektive im Iran und in der ganzen Welt zu kämpfen.