Zwischen 49 und 69 Euro soll das Nachfolgeticket kosten; magere 1,5 Milliarden vom Bund stehen bereit (zur Erinnerung: Diesel-Subvention 8,5 Mrd., Dienstwagenprivileg 5 Mrd.). Und die Länder müssen mitziehen. Nichts Genaues weiß man nicht. Das ist wohl auch so gewollt – wie mit dem ganzen sogenannten Entlastungspaket – um die Luft aus Sozialprotesten im Herbst abzulassen.
Angela Bankert, Bündnis Verkehrswende Köln und Mitinitiatorin der bundesweiten Initiative „9-Euro-Ticket-weiterfahren“
Ein 49 bis 69 Euro-Angebot zielt auf halbwegs durchschnittlich Verdienende, auf gut situierte Senior*innen, die als dauerhafte ÖPNV-Kundschaft gewinnbar sind. Im Vergleich zu sagenhaften 92,90 Euro für das Seniorenticket im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr oder 109 Euro für das Monatsticket nur im Stadtgebiet Köln, selbst im Vergleich zu vielen Jobtickets, ist ein solches Angebot günstiger. An dieser Stelle ist ein Etappenerfolg erzielt worden. Als Fortschritt wäre es auch zu bewerten, wenn das Ticket tatsächlich bundesweit gälte und die absurde Kleinstaaterei von über 60 Verkehrsverbünden dauerhaft überwunden würde.
Das verkehrspolitische Ziel, Gelegenheitsfahrende in den ÖPNV zu locken, ist damit jedoch beerdigt. Nachweislich weniger Staus und weniger Autoverkehr in den Städten waren gerade auch auf diese Nutzer*innengruppe zurückzuführen.
Denn wer überlegt, ob man gelegentlich innerstädtisch mit Bus & Bahn fährt, ob man einen regionalen Familienausflug mit der Bahn statt mit dem Auto unternimmt, ob man zweimal die Woche mit dem ÖPNV statt für teures Benzin ins Büro fährt – für all diese rechnet sich ein 49-69 Euro Ticket nicht. Damit ist auch die Chance vertan, diese Menschen mit einem dauerhaft preiswerten Ticket ins Grübeln zu bringen, ob ein eigenes Auto wirklich nötig ist oder ob Car-Sharing nicht doch reicht, und sie nachhaltig für den ÖPNV zu gewinnen.
Einkommensarme abgehängt
Völlig auf der Strecke bleiben Menschen ohne oder mit geringem Einkommen. Hartz IV-Beziehende werden glatt abgehängt, sie sind nun wieder auf das lokal begrenzte Sozialticket zurückgeworfen. Viele werden sich in Anbetracht steigender Inflation auch dies nicht leisten können, denn Sozialtickets kosten zwischen 30 und 40 Euro. Anscheinend ist die Absicht, dass die Einkommensarmen nicht länger die Regionalzüge verstopfen, dass der große Andrang und Druck auf den raschen Ausbau des ÖPNV verringert werden soll.
Auch für Studierende verbilligt sich nichts, denn die meisten Semestertickets liegen in ähnlicher Preisklasse
Verkehrswende-Aktive sollten daher ihre Kampagne als Teil der Sozialproteste im Herbst fortsetzen, mit dem Ziel, dass das 9 Euro-Ticket zumindest für Einkommensarme, Studierende, Azubis und Schüler*innen weiterläuft.
Gesellschaftlicher Druck ausschlaggebend
Festzuhalten ist: Nicht geschicktes Verhandeln der Regierungsgrünen oder Überzeugungsarbeit bei Herrn Lindner, sondern der massive gesellschaftliche Druck aus allen möglichen Richtungen hat dafür gesorgt, dass diese versehentliche Vergünstigung der Ampel nicht sang- und klanglos untergeht, sondern immerhin ein Teilerfolg erzielt wurde.
Festzuhalten ist aber auch: Leider haben nicht wenige Akteure – von Greenpeace und VCD bis BUND und leider auch die Linksfraktion – von vornherein alle möglichen Preismodelle ins Spiel gebracht (1 Euro am Tag, 29, 39, 49, 69 Euro). Da verwundert es wenig, wenn die Ampel sich das Teuerste heraussucht. Hätten alle Organisationen, die über den Sommer eine ÖPNV-Kampagne am Start hatten, für das 9 Euro-Ticket gestritten, hätten die 50 Prominenten von Anke Engelke bis Eckart von Hirschhausen, die erst am Schluss einen Offenen Brief für 9 Euro platziert haben, mit einer breiten Medienkampagne von Anfang mitgemacht, wären wir jetzt vermutlich weiter.
Ich weiß: hätte, hätte, Fahrradkette. Aber für künftige Kampagnen sollte man sich vielleicht mal vornehmen, Möglichkeitsfenster zu erkennen, wenn massenhafte Erfahrungen gemacht werden, daran auch anzuknüpfen, und nicht mit der Schere im Kopf von vornherein vermeintlich „realistische“ Kompromisse auszuhecken. Vor einem Jahr wäre selbst ein bundesweites 69 Euro-Ticket von den meisten dieser Akteure als unrealistische Forderung gebrandmarkt worden.
„Realistisch“ ist, was durch gesellschaftlichen Druck erkämpft werden kann. Und wie viel das ist, hängt davon ab, wie viel politischer Druck organisiert und mobilisiert werden kann.
In diesem Zusammenhang haben auch die Gewerkschaften leider eine unrühmliche Rolle gespielt und das Entlastungspotenzial überhaupt nicht erkannt. Eine gewerkschaftliche Kampagne hätte nochmal deutlich mehr erreichen können.
Ja, es stimmt: der 9-Euro-Verkehr über den Sommer war eine starke Belastung für die Beschäftigten. Was natürlich auch daran lag, dass das Ticket zeitlich begrenzt war; ein Dauerticket entzerrt solche Freizeit- und Reiseverkehre. Aber was nicht erkannt wurde: Die massenhafte Nutzung der Regionalbahnen erhöht und erhält den Druck aufrecht auf den dringend notwendigen Ausbau von Bus und Bahn. Denn der umgekehrte Weg: „erst ausbauen, dann verbilligen“ funktioniert seit Jahrzehnten nicht: es wurde abgebaut, und es wurde immer teurer.
Insbesondere die beiden Eisenbahngewerkschaften EVG und GDL (mit Ausnahme der EVG-Jugend) haben sich mit ihren Querschüssen von der Seite mittelfristig keinen Gefallen getan.
Nicht der 9-Euro-Betrieb, sondern der Normalbetrieb im S-Bahn- und Regionalverkehr der DB ist das Problem.
Deshalb sollte Teil unserer Herbstkampagne auch sein, dass mehr Finanzmittel für den Ausbau von Bus und Bahn, für mehr Personal zu guten Bedingungen bereitgestellt werden. Das bedeutet: den Autobahnausbau sofort stoppen, klimaschädliche Subventionen zugunsten des öffentlichen Verkehrs umschichten, bei der bevorstehenden Tarifrunde Nahverkehr den Kampf um eine deutliche Aufwertung der Fahrdienstberufe zu unterstützen. Denn eins hat die Diskussion auch gebracht: Es ist viel mehr Menschen (und anscheinend auch Redaktionen) klar geworden, wie sehr das Auto subventioniert und der ÖPNV unterfinanziert wird.
An den Erkenntnisgewinn des 9-Euro-Sommers kann angeknüpft werden.