Inflation und steigende Energiepreise treiben Millionen Menschen in die Verzweiflung. Viele wissen nicht, wie sie in diesem Winter ihre Rechnungen bezahlen sollen. Es regt sich Unmut, Staat und Establishment haben Angst vor Radikalisierung und Massenprotesten. Doch aktuell sind es vor allem rechte Kräfte, die von der Stimmung profitieren, während linke Protestiniativen bisher nicht abheben. Woran liegt das?
Von Marcus Hesse, Aachen
Die AfD hat sich in der Corona-Krise weiter radikalisiert und sahnt bei Wahlen ab. Gerade in Ostdeutschland, wo der ultrarechte Höcke-Flügel dominiert, ist sie zur festen Größe und drittstärksten Kraft geworden. Auch in Westdeutschland zieht die Partei in die Parlamente ein. In Niedersachsen erreichte sie 10,9%. Bei den diesjährigen Protesten gegen die Teuerungen hat vielerorts DIE LINKE die richtige Initiative zu Protesten ergriffen, wie in Leipzig, Erfurt und in anderen Städten. In Hamburg, Köln und Kassel mobilisierten breite linke Bündnisse zu Protesten. Doch bisher waren alle diese Mobilisierungen eher klein. Dagegen dominieren in vielen Städten, gerade in Ostdeutschland, rechte Formationen, allen voran die AfD oder die „Freien Sachsen“.
In vielen ostdeutschen Städten gehen Handwerker*innen gegen Sanktionen und Energiepreise auf die Straße. Sie repräsentieren die Stimmung von Teilen des Kleinbürgertums, haben keine klaren politischen Forderungen und machen es nationalistischen Kräften daher leicht, an den Aktionen anzudocken. In Berlin brachte die AfD zu einer bundesweiten Demonstration unter dem Slogan „Unser Land zuerst!“ 10.000 Menschen auf die Straße. Das macht es den Bürgerlichen leicht, jede Form von Protest als „rechts“ zu diskreditieren.
AfD & Co. verstehen es, sich als zornige Stimme des Protests darzustellen. Sie präsentieren sich als Underdogs und Anti-Establishment-Kraft. Dass sie ein knallhart neoliberales Programm haben, gegen Mindestlohnerhöhungen, Mietpreisbremsen und höhere Steuern für Konzerne sind, verblasst dabei.
Versagen der Linken
Dagegen gibt die Partei DIE LINKE oft ein eher trauriges Bild ab: In Thüringen und Berlin sowie in vielen ostdeutschen Kommunen ist sie Regierungspartei. Sie tritt entsprechend staatstragend, bieder und zurückhaltend auf, organisiert Demos als Dampfablass-Aktionen für mehr Gerechtigkeit, meidet aber jede Zuspitzung, Zwar hat die Partei in einigen Orten die Initiative für Proteste gestartet, aber insgesamt gelang es ihr nicht, die Proteste zu verbreitern und auszuweiten, geschweige denn, Druck auf die Gewerkschaften auszuüben.
Vereinzelt liebäugeln auch prominente Politiker*innen der LINKEN, wie Andrej Hunko und Dieter Dehm mit Querdenker*innen, was für die meisten Arbeiter*innen und Jugendlichen und letztlich viele antifaschistisch denkenden Menschen ein Grund ist, sich von durch die Partei organisierten Protesten eher fernzuhalten. Von rechts nutzt man diese Verwirrung aus: So mobilisierte Jürgen Elsässers rechtes „Compact“-Magazin zur von der LINKEN organisierten Demo in Leipzig. AfD-Bundeschef Tino Chrupalla sprach davon, dass die alten „Links-Rechts-Schablonen“ nicht mehr funktionieren.
Die Schlussfolgerung anderer Linkspartei-Politiker*innen ist jedoch keineswegs besser. Sie kapitulieren de facto, geben die Straßen verloren und überlassen, aus lauter Angst vor rechter Vereinnahmung des Protests, den Rechtspopulist*innen und Faschist*innen das politische Feld. Manche Linke verkaufen das als „Antifaschismus“. In manchen Fällen entspringt das schierer Hilflosigkeit.
Andere Teile der Partei, die auf Regierungsbeteiligungen und Bündnisse mit SPD und Grünen setzen und sich denen gegenüber vor allem als „besonnen“ und „verantwortlich“ zeigen wollen, machen das sehr bewusst, denn sie sorgen sich mehr um die Stabilität dieses Staates, als darum, wie die Wut der arbeitenden und armen Bevölkerung eine Stimme bekommen kann. Die politische Polarisierung im Land findet also, aufgrund einer gespaltenen und handlungsunfähigen Linkspartei, keinen fortschrittlichen politischen Ausdruck. AfD und Konsorten werden weitgehend nicht herausgefordert.
Die Rechte setzt mit Propaganda gegen Umwelt- und Klimaschutz an. Bei den von AfD und anderen rechten Kräften organisierten Demos wird zentral die Öffnung von Nord Stream 2 gefordert und die AfD fordert „sicheren und billigen“ Strom aus Atomkraft und Braunkohle. Angeblich sei der „grüne Öko-Wahn“ Schuld an den hohen Energie- und Spritpreisen.
Klimafrage und Klassenkampf
Im Aufruf der AfD heißt es, dass die angeblichen „Weltverbesserungspläne der Grünen“ und der angeblich „linksgrüne Mainstream“ uns die hohen Preise eingebrockt hätten. Damit werden mal eben so die regierenden Grünen um Habeck & Co., die heuchlerische Politik im Interesse der Konzerne machen und alle Kosten auf die Masse der Bevölkerung abwälzen, in einem Wisch mit „Fridays For Future“ und allen anderen außerparlamentarischen Teilen der Klimabewegung, als Feindbild ausgemacht.
DIE LINKE hat auch hier effektiv nichts anzubieten: Sie hat einen für Umweltfragen blinden Klaus Ernst im Bundestag in den Klimaausschuss geschickt und Wagenknecht erklärt auch Engagement für Klimaschutz zum angeblichen Spleen einer urbanen „Lifestyle-Linken“. Dabei ist es richtig, die Grünen politisch zu attackieren. Es gilt, aufzuzeigen, dass diese weder für wirklichen Klimaschutz stehen, sondern für prokapitalistische Politik für Konzerne, für faule Deals mit der Braunkohle- und Atomindustrie, für Rüstungsgeschäfte und Kriegstreiberei und die Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitende und arme Bevölkerung.
Noch nicht entschieden!
Stattdessen braucht es eine Kampagne für die Vergesellschaftung der Konzerne, um Verbraucher*innenpreise zu deckeln und das Klima zu retten. Nur so können Linke für einen Bruch der Klimabewegung mit den Grünen sorgen und verhindern, dass Rechte einen Keil zwischen Klimabewegung und die sozialen Protesten gegen Inflation und Energiekrise treiben können.
Bislang konnten wir nur die ersten Ausläufer des Protestes sehen. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Monaten und im nächsten Jahr mehr Menschen auf die Straße gehen werden – vor allem dann, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen und im Zuge der nächsten Gas- oder Stromnachzahlung persönlich betroffen sein werden. Die Arbeiter*innenklasse wird scheibchenweise einzeln attackiert. Gleichzeitig wird die Preisentwicklung alle Lohnerhöhungen auffressen, was die Gewerkschaften unter Druck setzen wird.
Objektiv stehen alle Zeichen auf Klassenkampf und Massenprotest. Aber bislang fand dieser Trend kaum einen politischen Katalysator von links. Die Linke und die Arbeiter*innenbewegung stehen vor einer großen Herausforderung und komplizierten politischen Fragen, aber zugleich vor großen Chancen. Dem Vormarsch rechter Kräfte müssen wir uns konsequent entgegenstellen. Dabei wird mehr denn je abstrakter Antifaschismus nicht ausreichen.
AfD & Co. können wir nur bekämpfen, wenn wir uns ihnen massenhaft in den Weg stellen und dabei an vorderster Front gegen Preiserhöhungen, Armut, Mietenwahnsinn und die Profitgier der Konzerne kämpfen, für höhere Löhne, Klimaschutz und die Überführung der Wirtschaft Gemeineigentum bei demokratischer Planung.
Foto: Recherche Nord (CC-BY-NC 4.0)