Aufgrund schwerer Pannen vor anderthalb Jahren werden die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen am 12.02.2023 wiederholt. Obwohl sich die politische Lage mit dem Ukraine-Krieg, der von den Ampel-Parteien betriebenen Aufrüstung, der Inflation, der Nichtumsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co. enteignen und der Unterstützung der Grünen zum Abbaggern von Lützerath erheblich verändert hat, ist eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün wahrscheinlich.
von Lucy Redler, Berlin
Die erheblichen Belastungen durch die Preissteigerungen kommen für die lohnabhängige Bevölkerung zu bereits astronomisch hohen Mieten dazu. Wer 2022 in Berlin eine Wohnung anmieten wollte, musste dafür durchschnittlich 10,90 Euro pro Quadratmeter kalt bezahlen – fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Auch, weil der rot-rot-grüne Senat den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. enteignen nicht umgesetzt hat und die Mieten weiterhin vom Markt bestimmt werden. Dabei hat sogar die Expert*innenkommission bestätigt, dass eine Umsetzung auf Basis der Anwendung von Artikel 15 Grundgesetz möglich ist. Es ist wenig überraschend, dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nicht nur den Willen von einer Million Berliner*innen ignoriert, sondern auch die ihr nicht genehme Äußerung der Kommission. Dabei hat eine neue Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung gerade belegt, dass die Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne von mehr als 200.000 Haushalten die Mieten bei den sechs größten privaten Wohnungsunternehmen um 16 % senken könnte.
Umsetzung des Volksentscheids
Im Wahlkampf 2021 gab DIE LINKE als einzige der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien das klare Ziel aus, den Volksentscheid umzusetzen. Das ist auch die Botschaft bei dieser Wahl. Aber wer glaubt noch daran, dass das unter einer Neuauflage von Rot-Rot-Grün passieren wird, wenn es nicht zu massiven Bewegungen kommt? DIE LINKE plakatiert „Wohnen, Wärme, Widerstand“ – eigentlich ein klasse Slogan. Aber zu Recht meinte vor kurzem eine Kollegin zu mir, dass sie das ja gar nicht ernst nehmen könne angesichts der Tatsache, dass DIE LINKE dies als Teil der Regierung nicht umsetzen würde.
Gefangen in der Koalitionslogik
Vor der Wahl 2021 forderten LINKE-Mitglieder beim Landesparteitag die Durchsetzung des Volksentscheids als Bedingung zur Zustimmung zur Koalition, konnten sich aber leider nicht durchsetzen. Das Signal des Parteitags war damit: Der eigene Machterhalt in der Koalition ist wichtiger als die Umsetzung des Willens von einer Million Berliner*innen, die dem Volksentscheid zugestimmt haben. DIE LINKE ist eine Gefangene in dieser Koalition. Dabei wird im Wahlkampf deutlich: Wann, wenn nicht jetzt, wäre es an der Zeit, SPD und Grüne für ihre Politik im Bund und Berlin anzugreifen? Die Grünen im Bund haben mit der Zustimmung zum Abbaggern von Lützerath gerade viele Aktivist*innen, Mitglieder und Sympathisant*innen enttäuscht. Die SPD setzt im Zuge der rassistischen Debatte nach Silvester auf Law und Order. Wenn DIE LINKE in der Koalition verbleibt, wird sie zwar vielleicht einzelne positive Maßnahmen durchsetzen können, aber bei den großen Zukunftsfragen mitgehangen und mitgefangen sein in der unsozialen und undemokratischen Politik der Koalition.
Antikapitalistische Vibes in Neukölln
Positiv stimmt, dass der Bezirksverband in Neukölln sich wie einige andere Bezirksverbände von dieser zahmen Linie abhebt. Mit viel Elan, mit klassenkämpferischen Vibes und der Beteiligung und Organisierung von Protesten strahlt DIE LINKE hier eine eigenständige, antikapitalistische Politik aus. Am 14.01. organisierte der Bezirksverband innerhalb von nur einem Tag eine Solidaritätskundgebung zu den Protesten in Lützerath, an der sich 500 Menschen beteiligten. Und die Neuköllner Politik ist auch bei Wahlen erfolgreich. Zwei der vier besten Erststimmenergebnisse für DIE LINKE in Berlin wurden 2021 in Neukölln in den Wahlkreisen 1 und 2 erzielt. Bei den kommenden Wahlen ist von einer sinkenden Wahlbeteiligung auszugehen. DIE LINKE liegt bei Umfragen berlinweit zwei bis drei Prozentpunkte unter ihrem Ergebnis von 2021. Vor diesem Hintergrund ist es eine Herausforderung, die hervorragenden Ergebnisse in Neukölln zu verteidigen und vor allem neue Mitstreiter*innen für einen antikapitalistischen Kurs jenseits der Koalitionszwänge zu gewinnen.