Israel erlebt eine Zeit extremer politischer Instabilität mit fünf Wahlen in drei Jahren. Jetzt wurde eine Regierung gebildet: eine rechtsextreme Koalition von gefährlichen Parteien und Abgeordneten.
Von Ben Wallach, Hamburg / Tel Aviv
Schon im Koalitionsvertrag wurde festgeschrieben, dass Diskriminierungsgesetze gestrichen werden sollen. Geschäfte dürfen dann die Bedienung von Menschen aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht verweigern. Sogar Ärzt*innen dürfen aus diesen Gründen die Behandlung verweigern. Vermieter*innen dürfen offen potenzielle Mieter*innen benachteiligen, was die jetzige Wohnungskrise verschärfen wird, unter der jetzt schon palästinensische Mieter*innen, aber auch LGBTQ+ und andere Minderheiten leiden. Rechte haben schon beschlossen, Dörfer nur für Jüd*innen zu gründen.
Aber die Antwort auf diese Angriffe formiert sich. Bereits am Tag ihrer Ankündigung hat der Betriebsrat der Ärzt*innen und Pfleger*innen im Rambam Krankenhaus in Haifa eine gemeinsame Demonstration von jüdischem und palästinensischem medizinischen Personal organisiert. Am 14. Januar demonstrierten in verschiedenen Städten über 80.000 Menschen gegen die Politik der neuen Regierung.
Verschärfung des Besatzungsregimes
Neuer Minister für die Nationale Sicherheit Israels ist der rechtsextreme Itamar Ben-Gvir, Organisator des „Marsch der Biester“ gegen die Pride Parade. In seinem Wohnzimmer hing ein Foto von seinem Helden Baruch Goldstein, der 1994 durch einen Anschlag in Hebron 29 Palästinenser*innen ermordet und 125 verletzt hat. Ben-Gvir wird die Kolonisierung vertiefen und Palästinenser*innen noch stärker aus ihrem Land vertreiben, während es immer mehr Demonstrationen von palästinensischen Jugendlichen gegen Angriffe gegen das israelische Militär gibt.
Angriff auf die Gewaltenteilung
Der neue Justizminister plant eine „Reform“ des Justizsystems, mit der die Regierung größeren Einfluss auf die Auswahl von Richter*innen bekäme und Gesetze auch dann verabschieden könnte, wenn das Oberste Gericht sie als illegal verurteilt.
Aktuell beschränken die Gerichte die Regierung. Manchmal im Interesse des Kapitals, wie beim Kippen eines Gesetzes für die höhere Besteuerung von Vermögen. Es gab aber auch Urteile, die eine noch schnellere Besetzung von privatem palästinensischen Land durch jüdische Kolonisator*innen oder diskriminierende Gesetze gegen LGBTQ+ verhindert haben.
Bereits in den ersten Tagen nach der Bildung der Regierung waren Zehntausende Demonstrant*innen auf der Straße. Über 1300 Sozialarbeiter*innen haben einen Protestbrief unterzeichnet, der vor der „Verletzung von Menschenrechten, Minderheitenrechten und der Grundlage der Demokratie“ warnt. Umfragen zeigen, dass die Agenda der neuen Regierung wenig Unterstützung hat: 77 % der Befragten sind gegen die Streichung der Antidiskriminierungsgesetze und für die Gleichberechtigung von LGBTQ* Menschen.
Manche Demonstrationen erheben kämpferische Forderungen wie nach dem Ende der Besatzung und dem Sturz der Regierung. Andere werden durch liberale Kräfte dominiert, die auch rechte Politiker*innen einbeziehen wollen. Sie hoffen, zur Situation von vor Jahrzehnten zurückzukehren, als noch „alles gut war“. Menschen, die schon damals unter der Situation litten – wie Palästinenser*innen und ärmere jüdische Arbeiter*innen – werden davon nicht angesprochen. Die Großdemonstration von 80.000 Menschen hat sich auf die Angriffe auf das Justizsystem konzentriert. Die Tatsache, dass trotz der politischen Schwächen der Organisator*innen so viele Menschen auf der Straße waren, weist auf das Widerstandspotenzial gegen die Pläne der Regierung hin.
Die Notwendigkeit einer Alternative
Die Hoffnung, dass eine Bewegung ohne klare politische Ideen die Situation verbessert kann, wird aber immer wieder enttäuscht. Diese Regierung konnte formiert werden, weil es keine klare linke Alternative gab. Schon gegen Netanyahus letzte Legislatur gab es massive Proteste. Diese stellten aber keine Forderungen außer des Rücktritts Netanyahus. Aus der Bewegung ging keine nachhaltige Organisation hervor. Wir erleben, was wir schon in Ländern wie Frankreich und den USA gesehen haben: Die Politik des „geringeren Übels“, für das der Kampf um soziale Verbesserungen geopfert wird, führt letztlich zur Stärkung rechter Kräfte.
Die breiten Mobilisierungen der letzten Woche lassen hoffen. Die Abscheu vor der sexistischen, rassistischen, korrupten und LGBTQ+-feindlichen Politik der Regierung zeigt, dass es Möglichkeiten für eine linke Alternative gibt .