Hamburger Genderstreit

In Hamburg hat der „Verein Deutsche Sprache“ (VDS) die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ gestartet und führt einen Feldzug gegen eine gendergerechte Sprache. Bei dem Vorstoß geht es nicht um eine Debatte über Sprache, sondern um den Versuch, reaktionäre Ideologien durch die Hintertür zu stärken.

Von Linda Fischer, Hamburg

Bereits im Laufe des Februars soll mit dem Sammeln der Unterschriften für die Volksinitiative begonnen werden. Der Beschlusstext fordert den Hamburger Senat auf, den staatlichen Verwaltungen und Bildungseinrichtungen das generische Maskulinum (z.B. nur Lehrer statt Lehrer*in oder Lehrende) in ihrer Kommunikation vorzuschreiben

Wissenschaftsfremd

Es gibt keine allgemeine, für immer feststehende „richtige“ Sprache. Vielmehr bedingen sich gesellschaftliche und sprachliche Veränderungen. 1972 verschwand beispielsweise die Anrede „Fräulein“ für eine unverheiratete Frau aus dem offiziellen Amtsdeutsch.

Die psycholinguistische Forschung zeigt anhand vieler Studien, dass die Verwendung der männlichen Variante (generisches Maskulinum) dazu führt, dass sich die meisten Menschen vor allem Männer vorstellen. Männlich formulierte Stellenanzeigen beispielsweise führen sogar dazu, dass Frauen und queere Menschen den Job bei gleicher Qualifizierung seltener erhalten. Studien unter Schüler*innen zeigen umgekehrt: Werden Berufe in geschlechtergerechter Sprache aufgeführt, trauen sich Mädchen viel eher zu, stereotype „Männerberufe“ zu wählen, Jungen entscheiden sich häufiger für stereotype „Frauenberufe“.

Die Frage, wie und in welchen Situationen Sprache neutraler werden kann, ist daher berechtigt, ebenso wie das Ziel, möglichst verständlich zu formulieren. Entscheidend ist: Wie können wir eine Bewegung gegen Sexismus in all seinen Erscheinungsformen erfolgreich aufbauen, wie müssen wir uns organisieren, um die Aufwertung weiblich dominierter Berufe durchzusetzen und Stereotype zu bekämpfen?

Dem VDS geht es nicht um eine offene Debatte über Sprache, mehr Verständlichkeit oder um sachliche Argumente, geschweige denn um den Kampf für Gleichberechtigung. Er führt einen Kulturkampf gegen feministische Ideen und versucht, über die „Gender-Debatte“ reaktionäre Ideologie zu pushen. In vielen Ländern sehen wir, wie rechte Kräfte die sozialen Folgen der Krise und Verarmung gegen den Kampf für Frauen- und Queerrechte ausspielen wollen.

Der Kopf der Hamburger Initiative, Sabine Mertens, sieht Gendern als „Propagandasprache eines radikal queer-feministischen Weltbilds“ an. Man müsse sich die „Gendertyrannei“, die ein „Angriff auf Standards und Normalität“ sei, vom Hals schaffen. Mertens fürchtet gar eine „Destabilisierung des Systems“.

Reaktionärer Schulterschluss

Der Versuch, über „Gender-Verbote“ reaktionäre Ideen zu verbreiten, ermöglicht den Schulterschluss zwischen konservativem Establishment und offen rechten Kräften. Erst im November 2022 wurde ein Antrag der CDU-Fraktion mit Unterstützung der AfD-Abgeordneten im Thüringer Landtag angenommen, der die Regierung und Behörden auffordert, in ihrer öffentlichen Kommunikation nicht zu gendern.

Anders als platte rassistische oder sexistische Parolen treffen Anti-Gender-Kampagnen auf größere Zustimmung in der Bevölkerung. Die Motivation, gendergerechte Sprache abzulehnen, ist unterschiedlich (Pragmatismus, Angst vor Veränderung usw.) und bei vielen nicht Ausdruck einer bewussten sexistischen Strategie.

Was tun?

Ein erfolgreiches Verbot gendergerechter Sprache würde – unabhängig davon, welche Gründe einzelne Menschen haben, das Gendern abzulehnen – rechte Kräfte und Ideologien stärken. Es könnte ein Türöffner für weitere, teilweise tiefgreifendere Angriffe auf Queer- und Frauenrechte sein.

Daher ist es notwendig, dass Linke und Gewerkschaften aufklären und Gegenöffentlichkeit schaffen, auch gegen die Springer-Presse, die bereitwillig als Anti-Gender-Sprachrohr fungiert. Auch wenn sich der Hamburger Senat offiziell gegen die Initiative stellt: SPD und Grüne sind keine Bündnispartner im Kampf gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit. Sie geben sich nur dann fortschrittlich, wenn Maßnahmen nichts kosten, und sind gleichzeitig in Regierungen verantwortlich für sexistische Politik: von der Unterfinanzierung des Gesundheitswesen, des Sozial- und Erziehungsdienstes, über mangelnde Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und queere Personen bis zu fehlenden Kitaplätzen. Wir brauchen eine starke, sozialistisch-feministische Bewegung, die die Kämpfe gegen Verarmung, Gewalt und Sexismus zusammenführt und Angriffen entgegentritt.

Foto: Coyote III, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons