Polizei und Regierung verbreiten das Märchen von der Gewalt der Demonstrierenden. Aber jede*r kann es auf Youtube sehen: Die Gewalttäter*innen trugen Uniform. Staat und Parteien, auch die Grünen, setzten die Polizei ein, um die Profitinteressen von RWE durchzuprügeln. Doch das hielt die Menschen nicht auf. Die Demo am 14. Januar war ein Erfolg für die Klimabewegung. Sie ist lebendig und mobilisiert Massen. Was könnten die nächsten Schritte sein?
Von Conny Dahmen und Claus Ludwig, Köln
Regen, Wind, eine mühsame Anreise, mehrere Tausend Cops und gewaltige Mengen Matsch – all das hielt viele Menschen davon ab, am 14. Januar im rheinischen Kohlerevier zu demonstrieren. Trotzdem kamen mindestens 35.000 nach Lützerath. Ein unendlicher Strom von Menschen jeden Alters bewegte sich von Keyenberg zur Kundgebung, die viele wegen der Massen auf der Straße nur von Weitem mitbekamen. Viele kamen aus der Region, ganze Familien mit Kindern; auf dem Parkplatz Kfz-Kennzeichen aus dem ganzen Land.
Grünes Desaster
Fahnen der Grünen waren – anders als im Hambacher Forst oder bei den Klimastreiks – nicht zu sehen. Sicher waren viele Grünen-Wähler*innen dort, auch Mitglieder. Dass sie sich nicht trauten, offen aufzutreten, ist ein Einschnitt. Die offensichtliche Kumpanei mit RWE und Staatsgewalt hat viele geschockt. Ob die Grünen schon bei den nächsten Wahlen Stimmen verlieren, ist nicht sicher. Doch unter Aktivist*innen ist die Ablehnung groß. Peter Donatus, Umweltaktivist aus Köln mit nigerianischen Wurzeln, ging auf die Fluchtbewegungen im globalen Süden ein, die durch den Klimawandel verursacht werden. An die Adresse der Grünen sagte er unter großem Beifall: “Ihr habt uns verraten, und nun werden wir euch bekämpfen!“
Die Demo war unglaublich beeindruckend, man konnte die Motivation und den Willen der zehntausenden Menschen, die Klima zerstörende Politik von “RWE-Grüne und CO KG” zu stoppen, förmlich spüren. Der Tag war gelebte Solidarität. Um Konzerne wie RWE und den Staat mit seinen Knüppeln, Pferden und Wasserwerfern in die Knie zu zwingen, brauchen wir eine noch mächtigere Bewegung. Stellen wir uns nur vor was möglich wäre, wenn die zehn- und hunderttausenden Arbeiter*innen aus fossilen Sektoren und anderen Teilen der Wirtschaft für höhere Löhne und gegen die Zerstörung des Klimas streiken oder sich sogar der Demo als Streik Delegation anschließen würden? Jetzt gilt es die Energie der Proteste mitzunehmen und die Brücken zwischen Klima- und Arbeiter*innen-Bewegung weiter zu stärken.
Philipp Chmel, Brüssel, Mitbegründer von Workers for Future Österreich
Alle Gewalt geht vom Staat aus – oft direkt auf den Kopf
Der Kampf um die Deutungshoheit der “Ausschreitungen” tobt in den Medien. In der Talkshow Anne Will ahnte NRW-Innenminister Reul wohl schon, wie eindeutig die Videobeweise sind und agierte vergleichsweise vorsichtig. Zuvor erwähnte er ”Angriffe mit Steinen, Brandsätzen und Pyrotechnik auf Polizistinnen und Polizisten”, die “hart zu bestrafen” seien, wie fast immer sekundiert von der sogenannten “Gewerkschaft der Polizei” (GdP), die sich mehr für das Bejubeln von Repression interessiert als für die Durchsetzung von Tariferhöhungen für die Beschäftigten im Polizeidienst. Den Vogel der Satire schoss die GdP Sachsen-Anhalt ab, die das Umschubsen eines im Schlamm steckenden Polizisten durch einen Demonstranten mit “Wann hat die Menschlichkeit aufgehört zu existieren?” kommentierte anstatt zu kritisieren, wie die Beamt*innen als private Schutztruppe von RWE genutzt werden.
Die Faktenlage ist klar: Brandsätze sind nirgendwo dokumentiert. Steine gab es weit und breit nicht. Die Polizist*innen wurden mit Matschklumpen beworfen, unangenehm, aber von der Gewaltwirkung nahe an einer Schneeballschlacht. Einzelne Böller waren zu sehen. Dass sie direkt auf Polizist*innen geworfen wurde, ist nicht belegt. Belegt ist allerdings die massive Gewalt der Polizei. Beamt*innen rannten auf Menschenketten los, versprühten Pfefferspray und schlugen mit Schlagstöcken auf die Demonstrierenden ein. Demo-Sanitäter*innen berichteten von vielen Kopfverletzungen, es mussten mehrere Krankenwagen zum Abtransport der Verletzten gerufen werden.
Es herrschte eine Stimmung gewaltloser Militanz. Tausende marschierten über die Felder von Keyenberg nach Lützerath, um die Räumung zu behindern. Es gab keine Entsolidarisierung zwischen “friedlichen” und “militanten” Aktivist*innen, weil sich die meisten einig sind, dass ziviler Ungehorsam gegen die zerstörerische Politik und die Energiekonzerne nötig ist. Reul sagte, man würde prüfen, ob es polizeiliche Übergriffe gegeben habe. Doch die gesamte Räumung, der gesamte Einsatz am 14. Januar war ein einziger Übergriff, eine Polizeistaatsübung, mit mindestens vier Wasserwerfern, Hunde- und Reiterstaffeln. Die Gewalt war keine Überreaktion einzelner Polizist*innen, sondern von Einsatzleitung und politischer Führung gewollt.
‘’Ich bin schon einige Jahre politisch aktiv, aber Lützerath war bis jetzt eine der größten (und matschigsten) Demonstrationen, auf denen ich war. Mehr oder weniger durch Zufall bin ich der Polizei relativ nah gekommen und konnte die unerschütterliche Energie, die die Aktivist*innen für den Klimaschutz aufbringen, bei dem Durchbruch einer Polizeibarrikade miterleben. Sie waren unbewaffnet, ungeschützt und konnten lediglich durch ihre große Anzahl diese Kraft entfachen. Durchweg war die Stimmung entschlossen und im besten Sinne kämpferisch. Auf der anderen Seite ist die Gewalt, mit der der Staat Konzerninteressen durchsetzt, beängstigend. Ich habe selten ein derart ausladendes Polizeiaufgebot gesehen und dennoch schienen die Einsatzkräfte teilweise planlos und überfordert, keinesfalls aber deeskalierend. In unmittelbarer Nähe mussten Menschen von Sanitäter*innen versorgt werden, weil sie durch die Polizei stark verletzt wurden, die Polizei schlug wie blind auf friedliche Demonstrant*innen ein und hetzte ihre Hunde auf sie.’’
Elisa Mellin, Bremen
Next level
Je mehr unter Lützerath abgebaggert wird, desto weiter entfernen wir uns vom 1,5°-“Ziel“. Wie ernst es ist, zeigen die vielen Aktivist*innen, die jahrelang in Lützerath gekämpft haben, die bis zuletzt geblieben sind und alle, die am Samstag trotz Repression und Matsch das Dorf wieder besetzen wollten, in den Tagebau und auf die Bagger gestiegen sind, die von den Einsatzkräften verprügelt und teils schwer verletzt worden sind – weil sie gegen die Interessen eines Großkonzerns eine globale Katastrophe verhindern wollen.
Greta Thunberg hat in ihrer Rede auf der Kundgebung eine wichtige Frage angesprochen: So lang die Kohle noch in der Erde ist, ist der Kampf nicht vorbei. Mit dem Dorf Lützerath wird ein Symbol zerstört, aber entscheidend ist, ob sie die Kohle aus der Erde holen. Das Potenzial für weitere Aktionen ist vorhanden. Eine weitere große Demo wäre möglich, zum Beispiel in den Wochen, bevor der Tagebau ausgeweitet wird.
“Alle Dörfer bleiben, RWE enteignen!” war ein beliebter Slogan auf der Demonstration. Das sollte der strategische Ansatz für die gesamte Bewegung sein. Der “Kohle-Kompromiss” wird als Kompromiss bezeichnet, weil auf einer Seite die Profitinteressen von RWE und deren “Recht” auf das Baggern als gesetzt akzeptiert wird. Luisa Neubauer von Fridays for Future weist zurecht darauf hin, dass schon das Pariser Abkommen ein Kompromiss ist. Mit den Energiekonzernen gibt es daher nichts zu verhandeln. Ihre Enteignung und die Überführung in öffentliches Eigentum ist der Weg, nicht nur die Ortschaften zu retten, sondern auch den Klimawandel zu stoppen. Sonst werden möglicherweise neue Löcher in die Erde gegraben – nicht, um uns Wärme und Strom in Zeiten akuter Knappheit zu sichern, sondern einzig, um möglichst hohe Profite für RWE und andere zu sichern, bevor vielleicht wirklich 2030 der Kohle-Abbau endet.
Eine breite Kampagne für die Enteignung von RWE und anderen Energiekonzernen und deren Überführung in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle sollte jetzt starten. Neben der direkten Mobilisierung ins rheinische Revier sind Parteibüros und Veranstaltungen der Grünen sowie Niederlassungen von RWE die richtigen Ziele für Demonstrationen und Besetzungen.
Klima und Jobs
Dabei sollte die Klimabewegung eine klare Botschaft an die RWE-Belegschaft senden: Die Enteignung ist keine “Bestrafung” für die Beschäftigten von RWE und wird deren Arbeitsplätze nicht gefährden. Lediglich die Aktionär*innen und Vorstände würden Profite, Macht und Privilegien verlieren. In einem vergesellschafteten Betrieb werden alle Arbeiter*innen, Techniker*innen und Ingenieur*innen gebraucht, mindestens zu den jetzigen Löhnen und Konditionen. Ein öffentlicher, demokratischer kontrollierter Betrieb RWE würde zu einem Motor der Energiewende werden. Der ganze Wahnsinn des Kohlebaggerns könnte am morgigen Tag auf einen Schlag beendet werden. Die Kohlegruben könnten zum Beispiel als Pumpspeicherkraftwerke genutzt werden, bei denen mit erneuerbarer Energie Wasser hochgepumpt wird, das als Energiespeicher dient und bei höherem Energiebedarf Wasserturbinen antreiben kann.
Selbst wenn die Umstellung etwas dauern würde und die Kolleg*innen nicht sofort eine neue Tätigkeit antreten könnten, bräuchte niemand um sein Einkommen fürchten. Es wäre langfristig billiger für die gesamte Gesellschaft, die Kolleg*innen über Jahre dafür zu bezahlen, dass sie zuhause bleiben, anstatt sie für die RWE-Profite weiter baggern und verheizen zu lassen. Doch dazu wird es nicht kommen, sie werden schnell für den Aufbau einer auf Erneuerbaren basierenden Energiewirtschaft tätig werden können.
Die Klimabewegung sollte ihre Verbindung zur Arbeiter*innenklasse nicht nur dort thematisieren, wo die gemeinsamen Interessen auf der Hand liegen wie im öffentlichen Verkehr, sondern auch in den Bereichen, in denen Beschäftigte von einer Umstellung direkt betroffen sind. Die Kapitalist*innen und die ihnen ergebenen Parteien stellen es so dar, als stünden Arbeitsplätze und Klimaschutz im Widerspruch. Am Ende leiden unter den Profitinteressen sowohl das Klima als auch die abhängig Beschäftigten. Eine planvolle, demokratische Umgestaltung der Produktion, der privaten Verfügungsgewalt und dem Profitstreben entrissen, würde die Klimawende entscheidend beschleunigen und gleichzeitig qualizifierte, sichere Jobs schaffen.
“In Lützerath konnte man sehen, wie das läuft mit dem Kapitalismus und dem Staat: Die Polizei knüppelt dem Konzern die Kohle frei, damit die dann schön billig verbrannt werden kann. Und die Grünen finden das voll okay und nennen es ‘Rechtsstaat’, wenn RWE das Recht bekommt, an der Zerstörung des Klimas kräftig mitzuwirken. Die Zehntausenden in Lützerath und viele, die zuhause geblieben sind, haben einiges an diesem Tag gelernt.“
Sebastian Rave, Bremen