Die Welt ist für den Mann gemacht. Eine provokante Aussage, die mehr Wahrheit in sich birgt, als man heutzutage meinen sollte. Einige Menschen sind der Ansicht, es gebe für feministische Kämpfe in der modernen Welt (zumindest im fortschrittlichen Deutschland) keine guten Gründe mehr – aber die Realität sieht anders aus. Warum ist es immer noch wichtig, am 8. März, dem Internationalen Feministischen Kampftag, auf die Straße zu gehen?
Von Elisa Mellin, Bremen
Es fängt schon im Privaten an: Als Frau alleine im Dunkeln die Straße entlanglaufen ist ein angsteinflößender Gedanke. Jede von uns hat einen Plan, wie sie sich im Fall eines Angriffs verteidigen könnte.
Sexismus, Angst und Gewalt
Wir halten die Schlüssel zwischen den Fingern, bereit, sie als Waffe einzusetzen. Wir rufen unsere Freundinnen an, um zur Not eine Zeugin zu haben, denn schon seit 10 Minuten weicht uns ein Unbekannter nicht von der Seite. Ständig schauen wir uns um: Vor der Haustür, im Parkhaus, beim Spazierengehen. Ständig werden wir angequatscht – an der Ampel, an der Bushaltestelle, im Restaurant oder Café. Wer mit Ablehnung reagiert, wird weiter belabert und gilt obendrein als unhöflich, prüde, hysterisch, eingebildet. Und in einigen Fällen führt diese Ablehnung zu Gewalt. Spätestens #metoo war ein eindrucksvolles Zeugnis von der Häufigkeit, in der Frauen und junge Mädchen von sexuellen Übergriffen und Gewalt betroffen sind. Fragt in eurem Freundeskreis. Ihr werdet feststellen, dass so gut wie jede Frau in dieser Hinsicht schon mindestens eine Erfahrung gemacht hat und zwar nicht in irgendwelchen dunklen Gassen, sondern auf der Arbeit, in der Schule oder im Supermarkt.
Die Fälle von Femiziden und häuslicher Gewalt sind vor allem während der Pandemie enorm angestiegen, auch jetzt sterben in Deutschland statistisch gesehen jedes Jahr über 100 Frauen durch die Hand ihres Partners. Das geschieht oft aus einem Besitzanspruch heraus. Frauen werden auf mehreren Ebenen in einem Ausmaß objektifiziert, das viele Männer nicht nachfühlen können. Wir sehen es in der Werbung, in Filmen, in Pornos, in Bordellen – und eben auch zu Hause. Doch das ist weder Zufall noch hat es das schon immer gegeben. Diese tagtägliche Diskriminierung ist das Erbe jahrtausendealter Frauenunterdrückung durch das Patriarchat, und die Reproduktion der Klassenherrschaft im „Privaten“. Für den Kapitalismus ist Geschlechterungleichheit nichts anderes als ein zusätzliches Werkzeug der Spaltung. Und wie praktisch ist es, wenn man die Ware Mensch zu einem Spottpreis kaufen kann?!
Gender Pay Gap
Tatsächlich stellen manche Menschen noch in frage, ob es den Gender Pay Gap, also die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, überhaupt gibt. Aber: auch im Jahr 2022 haben Frauen durchschnittlich 18 % weniger verdient als ihre männlichen Kollegen, und das oft sogar bei denselben Qualifikationen. Frauen sind häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen, werden seltener in Führungspositionen gewählt und arbeiten überdurchschnittlich oft in Teilzeit. Da soziale Berufe und Jobs im öffentlichen Dienst vor allem von Frauen ausgeübt werden, passt es gut, dass Streiks im Öffentlichen Dienst dieses Jahr mit dem 8. März zusammenfallen, wie im letzten Jahr. Privatisierungen und Kürzungen im Gesundheitsbereich, in der Bildung und in Sozial- und Erziehungsdiensten führen außerdem dazu, dass Care-Arbeit immer häufiger von der Familie übernommen werden muss – und damit meist von Frauen. Daher dürfen wir Arbeitskämpfe und Kämpfe um ein gut ausgestattetes Gesundheits- und Sozialwesen nicht von feministischen Kämpfen trennen und müssen dafür Öffentlichkeit und Solidarität schaffen.
Raus auf die Straße
Es gibt mehr als genug Gründe, um wütend zu sein! Wir sollten uns nicht mit Blumen oder Schokolade zum 8. März begnügen, sondern unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen: Auf die Straße gehen, kämpfen und streiken. Gegen Gewalt, gegen Sexismus, gegen unfaire Löhne, zusammen mit unseren trans Schwestern, mit unseren Kolleg*innen, Freund*innen, Müttern und Omas – für eine Welt, die nicht nur für Männer gemacht ist. Für eine Welt, die allen gerecht wird!