Das Regime der Islamischen Republik ist 2022 durch Massenproteste in eine existenzielle Krise geraten, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Das Regime wurde 1979 durch eine Revolution an die Macht gespült. In dieser Revolution hatten sozialistische Ideen einen großen Einfluss. Doch die Machteroberung der Geistlichen um Khomeini hat Millionen Arbeiter*innen, Arme, Studierende, arme Bäuer*innen, Frauen und ethnische Minderheiten um die Früchte gebracht und ein neues System der Unterdrückung geschaffen. Für die historische Linke, die die Ereignisse noch erlebt hat und bald schon zwischen Gefängnis oder Exil “wählen” musste, ist diese Niederlage eine traumatische Erfahrung. Aktivist*innen der Gegenwart müssen die Ereignisse analysieren.
von Marcus Hesse, SAV
In den Revolutionsjahren 1978 und 1979 gingen im Iran bis zu sechs Millionen Menschen auf die Straße. Es gab politische Streiks und Generalstreiks, Revolutionär*innen lieferten sich bewaffnete Kämpfe mit dem MIlitär und der berüchtigten Geheimpolizei SAVAK. Nachdem der absolute Monarch, der Schah, fluchtartig das Land verlassen hatte, lag die Macht zeitweise auf der Straße. Arbeiter*innen organisierten sich in räteähnlichen Strukturen, den Shoras. Marxistische Ideen erreichten die Massen. 1979 wurden Millionen Bücher mit marxistischem Inhalt verkauft. Doch die eigentlichen Gewinner der Revolution waren die schiitischen Geistlichen um Ayatollah Ruhollah Khomeini, die Massenunterstützung erlangten und diese recht bald dazu nutzen, um sich der Linken auf brutale Weise zu entledigen. Eine falsche Politik der größten linken Parteien und Organisationen trug entscheidend dazu bei.
Imperialismus und Schah-Regime
Der Iran war formal ein souveräner Staat, aber seit dem 19. Jahrhundert stand er unter der Kontrolle der imperialistischen Mächte Russland und Großbritannien. Vor allem die Ölindustrie war lange in britischer Hand. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der US-Imperialismus zur bestimmenden Kraft. Der Schah, als Verbündeter westlicher Imperialisten, regierte mit eiserner Hand. Gerade die Linke und die kurdische Minderheit litt unter dieser Unterdrückung. In den 1970ern waren Zehntausende Aktivist*innen in den Foltergefängnissen des Regimes. Die kurdische und aserische Minderheit erwiesen sich als rebellisch. Im Agrarland Iran war schon früh eine kämpferische Arbeiter*innenbewegung entstanden, zunächst unter Ölarbeiter*innen und unter der aserischen ethnischen Minderheit. 1920-21 gab es im Nordiran, in der Provinz Gilan, eine kurzlebige Räterepublik. Nach dem 2. Weltkrieg war kurzzeitig eine unabhängige Kurd*innenrepublik in Mahabad entstanden, die von den Truppen des Schah zerschlagen wurde.
Unter der Regierung des Reformers Mossadegh wurde die Ölindustrie verstaatlicht. Das führte 1953 zu einem von der CIA gestützten Putsch. In der Folge wurde die Linke wieder unterdrückt und die Tudeh-Partei (“Massenpartei”), die sich politisch an der Sowjetunion orientierte, verboten. Die Arbeiter*innen reagierten Anfang der 1960er mit Widerstand und Generalstreik. Der Schah konterte gegen die revolutionären Bewegungen von unten mit Reformen von oben.
Die “Weiße Revolution” des Schah beseitigte feudale Strukturen, gab Frauen mehr Rechte und verbesserte das Bildungssystem. Dafür ließ der Schah sich als großer Modernisierer feiern. Doch die Großgrundbesitzer*innen wurden fürstlich entschädigt und konnten sich in Kapitalist*innen verwandeln. Viele nun freie Bäuer*innen verarmten und flohen in die Städte, wo sie katastrophale Armut und Ausbeutung erlebten. Die “Weiße Revolution” des Schah ähnelte in vielem der Aufhebung der Leibeigenschaft unter dem Zaren Alexander II. 1861, die letztlich kein Problem löste.
Beim Widerstand gegen diese Reformen profilierten sich die schiitischen Geistlichen. Sie attackierten die progressiven Elemente (Laizismus, Landreform und Frauenrechte) von einem konservativen Standpunkt aus und kritisierten zugleich auch soziale Ungerechtigkeiten, staatliche Repression und den US-Imperialismus, womit sie bei Teilen der Mittelschicht wie der wichtigen Sicht der Basar-Händler*innen(Basaris), Teilen der Arbeiter*innenklasse, Studierenden und sehr armen Menschen auf dem Land und in den städtischen Slums Sympathien gewannen.
Fortan konkurrierten Linke und Islamist*innen um die Unterstützung dieser Menschen. Der spätere Machthaber Khomeini wurde von dieser Zeit geprägt, machte sich als prominenter Gegner der “Weißen Revolution” einen Namen und wurde ins Exil gedrängt. In den 1960ern und 1970ern füllten Marxist*innen und oppositionelle Mullahs gleichzeitig die Gefängnisse, wobei die Linke am härtesten von der Repression betroffen war. Die Mullahs machten aber bei aller sozialen Demagogie und Rhetorik keinen Hehl aus ihrem Hass auf den Kommunismus. Das hielt die Propaganda des mit den USA verbündeten Schah-Regimes aber nicht davon ab, Khomeini und andere oppositionelle Geistliche als verdeckte “Kommunisten” zu bezeichnen,
Revolutionäre Linke
Die größte Arbeiter*innenpartei war die auf Moskau orientierte Tudeh-Partei. Sie verfügte über einen Massenanhang, gerade auch unter Ölarbeiter*innen. Leider setzte sie auf Bündnisse mit vermeintlich fortschrittlichen Bürgerlichen, später dann auf die angeblich progressiven und antiimperialistischen Geistlichen. In den 1970ern traten links von ihr die Volksfedayin auf, die eine Kombination aus Partei und (Stadt-)Guerilla waren. Linksradikale Organisationen wie sie waren stark unter Studierenden verankert, aber weniger in der industriellen Arbeiter*innenklasse.
Doch auch sie unterstützten im Verlauf der Revolution kritisch die “antiimperialistischen” Mullahs. Die Volksmujaheddin nutzen ähnliche Methoden, aber versuchten, Marxismus und schiitischen Islam ideologisch miteinander zu verbinden. In allen linken Bewegungen spielten Frauen eine bedeutende Rolle. In Iranisch-Kurdistan blieb die Tradition des Widerstands lebendig und es gab eigene Parteien und Guerillaorganisationen wie die 1967 gegründete Komalah.
Die schiitischen Geistlichen um Khomeini sprachen vom “Islam der Armen” und vom “Kampf gegen den Imperialismus”, zugleich aber machten sie keinen Hehl aus ihrer Feindschaft gegen den “gottlosen Kommunismus” und ihrer Ablehnung von Frauenemanzipation.
Das Pulverfass explodiert
Durch die Öleinnahmen konnte der Schah lange Zeit in Infrastruktur und Bildung investieren. Doch ab 1976 ging es mit der Wirtschaft bergab. Es gab eine Inflation von über 100% und Massenverarmung. Gegen Proteste und Streiks reagierte das Regime mit Repression und Gewalt. Im Jahre 1978 brachen überall im Land Massenproteste aus, die bis zum Dezember 1978 ihren Höhepunkt im “Aschura-Aufstand” fanden. In vielen Städten kam es zu bewaffneten Zusammenstößen von Arbeiter*innen und Student*innen mit Polizei und Armee. In Iranisch-Kurdistan wurde kurze Zeit eine bewaffnete Autonomie erreicht. Der Schah hatte schon im Sommer 1978 versucht, liberale Reformer*innen und gemäßigte Linke an die Regierung zu beteiligen, um dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen, doch das das half ihm nicht. Überall im Land hatten Arbeiter*innen Shoras gebildet, die allerdings nicht zentral und landesweit koordiniert waren. Linke und Islamist*innen formierten sich, der Staatsapparat löste sich auf. Am 12. Februar 1979 verließ der Schah fluchtartig das Land. Die Revolution hatte gesiegt. Es wäre nun die Aufgabe der Linken gewesen, zu einer Konstituierenden Versammlung auszurufen, um die Macht an die Massen zu übergeben und einen neuen Staat auf der Grundlage der Räte-Strukturen der Shoras zu erkämpfen.
Die Mullahs kommen an die Macht
Ayatollah Khomeini war am 1. Februar 1979 aus dem französischen Exil zurückgekehrt. Westliche Medien hatten ihn monatelang zur “Stimme der iranischen Revolution” aufgebaut. Als charismatischer Führer kehrte er in einem triumphalen Zug nach Teheran zurück. Formal war der bürgerliche Liberale Bazargan Regierungschef, aber als “geistlicher Führer” forderte Khomeini an der Spitze eines Komitees von Geistlichen die Errichtung einer Islamischen Republik und zog die politischen Fäden.
Khomeini organisierte seine bewaffneten Anhänger*innen, die “Hezbollahi”, an den Universitäten und in den Stadtteilen. Von da an begannen sie, die Linken gewaltsam zurückzudrängen und drangsalierten Frauen und LGBTIQ+-Personen. Seine Anhängerschaft betrachtete das als Kampf gegen “Dekadenz” und “Gottlosigkeit”. Khomeini selbst stellte unmissverständlich klar, dass er mit der Macht von Marxist*innen und Shoras, mit Streiks und Betriebsbesetzungen Schluss machen wollte. “Schluss mit der Anarchie!” war seine Losung. Die Linke, vor allem die Tudeh-Partei, reagierte darauf eher passiv. Sie verteidigte die Shoras, aber orientierte auf eine Koalition aller “fortschrittlichen Kräfte der Revolution”, von Kommunist*innen, Liberalen und Islamist*innen.
Die berüchtigten Revolutionswächter (Pasdaran), die aus der Hezbollani-Bewegung hervorgegangen waren und zur paramilitärischen Truppe wurden, nahmen hier ihren Anfang.
Khomeini und die Geistlichen waren sich ihrer Massenunterstützung bewusst und wollten das machtvoll demonstrieren. Sie mobilisierten zur einer Volksabstimmung für die Errichtung der Islamischen Republik am 1. April 1979. Der Begriff war für viele Menschen im Land synonym mit Antiimperialismus und sozialer Gerechtigkeit und mit der Revolution selbst identisch. Khomeini und andere Geistliche bezeichneten die Islamische Republik als “Republik der Armen”, die jedem Brot, Arbeit und Würde geben würde. Die Propaganda der Mullahs stempelte alle Gegner*innen als “konterrevolutionär” ab. Die politische Linke wusste dem politisch nichts entgegenzusetzen. Die Tudeh-Partei warb sogar offensiv in der Arbeiter*innenklasse für ein “Ja!” zum Referendum. Das Ergebnis war erwartungsgemäß ein erdrutschartiger Sieg für die neuen Machthaber.
Im März und April kam es in Teheran und anderen Städten zu Demonstrationen von Frauen, die sich gegen die Einschränkung ihrer Rechte und die repressiven Moralgesetze der Islamist*innen wehrten. Gegen drohende Angriffe militanter Regimeanhänger*innen wurden diese durch bewaffneteVolksfedayin verteidigt. Aserische und kurdische Frauen wehrten sich gegen Versuche, den Verschleierungszwang durchzusetzen. In Kurdistan fand die Volksabstimmung zur Einführung der “Islamischen Republik” faktisch nicht statt und wurde größtenteils bewusst boykottiert. Das neue Regime bewertete dieses als “nationalen Verrat” und schickte alsbald Truppen dorthin und übte blutige Repression.
Die Zerschlagung der Linken
Im Frühjahr 1979 schon hatte das neue Regime den Sieg erlangt. Doch noch gab es die Räte, die Shoras und immer wieder politische Streiks. An den Universitäten kämpften Linke mit den Anhänger*innen des neuen islamistischen Regimes. Ab 1980 begannen die Hezbollahi mit Unterstützung des Staates im Rahmen einer “Islamischen Kulturrevolution” die Universitäten von linken und säkularen Kräften zu “säubern”. In Iranisch-Kurdistan gingen Komalah und andere Gruppen zum Guerillakrieg über.
Die Tudeh-Partei versuchte sich weiterhin als legale und friedliche Opposition, doch nach und nach “verschwanden” ihre Mitglieder in den Gefängnissen, was 1982 seinen Höhepunkt in einer Massenverhaftung von 10.500 Mitgliedern fand. Viele wurden hingerichtet, wenn sie nicht öffentlich abschworen. Die Volksfedayin spalteten sich über die Debatte einer “kritischen Unterstützung” des Regimes, das sich im Zuge der ab 1980 zunehmend sich verschärfenden Auseinandersetzung mit den USA (Botschaftsbesetzung in Teheran) einen radikalen antiimperialistischen Anstrich gab. Doch beide Flügel der Volksfedayin teilten in den Folgejahren das gleiche Schicksal von Repression und Exil.
Aus der Illegalität heraus versuchte diese Organisation bzw. ihre diversen Ableger noch mit Methoden des individuellen Terrors, Khomeinis Regime zu bekämpfen, auch dieVolksmujaheddin setzten auf den bewaffneten Kampf. 1981 wurden sie verboten und ihre Führer gingen ins Exil. Ihre politische Führung diskreditierte sich in den Folgejahren politisch stark, weil sie eng mit dem US-Imperialismus und dem Regime Saddam Husseins zusammenarbeitete. Die politische Repression des Mullah-Regimes war brutal und stand dem des Schah-Regimes und seiner Geheimpolizei SAVAK in nichts nach. Vieles deutet sogar darauf hin, dass Khomeinis Folterer brutaler und fanatischer waren, weil sie ihr Tun als “Werk Gottes” sahen. 1988 kam es zu Massenhinrichtungen von linken Gefangenen. Einige tausend von ihnen würden ermordet. Zuvor unterzog man sie demütigenden Befragungen, zwang sie, ihren Überzeugungungen abzuschwören und Genoss*innen zu denunzieren. Dies wurde zur Abschreckung aller potenziell oppositionellen in den Iranischen Massenmedien gezeigt.
Dieses Ausmaß der Repression atomisierte die Bewegung der Linken, der Arbeiter*innen und kämpferischen Frauen für Jahre. Der schon 1980 begonnene Krieg des irakischen Regimes gegen den Iran, der schreckliche acht Jahre dauerte und 1 Million Opfer auf iranischer Seite zur Folge hatte, erleichterte es dem Regime, jede Opposition zu bekämpfen. Viele Iraner*innen akzeptierten das Prinzip innerer Geschlossenheit gegen den äußeren Feind.
Was bleibt von der gestohlenen Revolution?
Die geschlagene Linke ging ns Exil oder unterwarf sich. Erst die nächsten Generationen, die die schreckliche Niederlage nur durch Erzählungen der Eltern und Großeltern kennen und nichts anderes kennen als das Regime Islamischen Republik, traten wieder in den Widerstand und bilden heute die Speerspitze des Kampfes. Die Islamist*innen an der Macht haben sich schnell nicht nur als unterdrückerisch, frauenfeindlich und antkommunistisch erwiesen . Sie brauchten auch neue soziale Ungleichheit mit sich. Heute richtet sich die Wut nicht nur gegen die Frauenfeindlichkeit des Regimes oder gegen dieUnterdrückung von Opposition und nationale Selbstbestimmung von Minderheiten, sondern auch gegen Korruption, steigende Armut, Inflation und die Bereicherung der Eliten. Die “Islamischen Revolutionäre” von damals sind heute Bürokrat*innen und Geschäftsleute, die nichts mehr von einem “Staat der Armen” wissen wollen.
Das Beispiel der gestohlenen Revolution von 1978-79 ist nicht motivierend. Aber wie viele grausame Niederlagen ist es lehrreich. Es zeigt auf, wie wichtig es ist, in revolutionären Situationen als Linke unabhängig zu agieren und keine Zugeständnisse an vermeintlich fortschrittliche bürgerliche oder eben “antiimperialistische” religiös-konservative Kräfte mit ausgesprochener sozialer Demagogie zu machen. Aber zugleich zeigt die Revolution von 1978-79 auch das gewaltige Potential der Arbeiter*innenklasse und der Jugend des Iran, in wenigen Monaten millionenfach zu kämpfen und eine der repressivsten Diktaturen der Welt zu stürzen. Die Ideen des Sozialismus, wenn auch oft stalinistisch verzerrt, waren einst stark und einflussreich im Iran. Um in den Kämpfen von heute zu bestehen, müssen sich die iranischen Massen sie in unverfälschter Form wieder zu eigen machen, erweitert durch die Lehren und Erfahrungen der 44 Jahre nach der Revolution.