Der Kampf um die französischen Renten geht weiter
Heute wird in ganz Frankreich gestreikt, und es finden massive Demonstrationen statt. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT sind allein in Paris 700.000 Menschen auf der Straße. In Marseille sind es 300.000, in Nantes 80.000 und in Bordeaux 55.000. ISA-Unterstützer*innen waren aktiv beteiligt. Nachfolgend veröffentlichen wir eine übersetzte Version des Flugblatts, das sie verwenden. Ein ausführlicher Bericht folgt später.
Veröffentlicht auf internationalsocialist.net am 23. 03. 2023
Der Angriff auf die Renten wurde von Macron mithilfe von Artikel 49.3 der Verfassung unter Umgehung des parlamentarischen Verfahrens durchgesetzt. Doch die wichtigsten Gewerkschaften des Landes bleiben standhaft. Die zwei Monate des Kampfes haben ein Kräftegleichgewicht geschaffen, das für Macron und seine Verbündeten eine Abstimmung im Parlament zu riskant erscheinen und sie beinahe ein Misstrauensvotum verlieren ließ.
Macron und seine Regierung sind schwächer denn je. Deshalb wird die Brutalität der Polizei verschärft. Der Einsatz von Tränengas nimmt zu, ebenso wie Beschwerden über willkürliche Verhaftungen durch die Polizei. Frauen wurden von Polizisten meterweit an den Haaren gezogen. Einige wurden bei ihrer Verhaftung sogar sexuell missbraucht. Damit soll zum einen noch mehr Gewalt seitens der Protestierenden provoziert werden (vor allem Jugend), um unser Lager zu spalten. Andererseits soll der Zusammenhalt derjenigen sicherzustellen, welche die aktuelle Ordnung um die Regierung herum verteidigen werden – und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Mehrheit der Bevölkerung den Kampf unterstützt.
Die Angriffe auf die Renten und die gesamte Politik von Präsident Macron und Premierminister Borne werden nicht durch Misstrauensanträge oder Volksabstimmungen zurückgeschlagen, sondern durch Kampf! Es geht darum, die Gelegenheit zu ergreifen und eine entschlossene Offensive gegen Macron und das gesamte kapitalistische System zu starten.
Die Anwendung von Artikel 49.3, um die Angriffe ohne Abstimmung im Parlament durchzusetzen, hat die Bewegung auf ein neues Niveau gehoben. Die Wut und Motivation, den Angriff auf die Renten zu stoppen, sollten in einen Aufruf zu einem unbefristeten Generalstreik mit täglichen Abstimmungen verwandelt werden. Die Hochburgen der Arbeiter*innenbewegung können dabei eine führende Rolle spielen, aber es muss auch darauf geachtet werden, die weniger mobilisierten Sektoren und Schichten einzubeziehen.
Wir sind die Mehrheit. Wenn wir uns organisieren, ist die Macht in greifbarer Nähe. Die Unterstützung für einen unbefristeten Streik hat seit der Anwendung von Artikel 49.3 zugenommen.
Die Unterstützung für einen unbefristeten Streik hat seit der Anwendung von Artikel 49.3 zugenommen. Laut BFMTV [einem französischen 24-Stunden-Nachrichtensender] beträgt sie nun 58%. 68% sind weiterhin gegen die Rentenreform und fast genauso viele Menschen in Frankreich, nämlich 67%, wollen, dass die Mobilisierung fortgesetzt wird. Dies ist ein riesiges Potenzial an Mobilisierung, das nicht verloren gehen darf!
Eine Reihe von Branchen hat zu einem unbefristeten Streik aufgerufen: die Bahn (SNCF), der öffentliche Nahverkehr in Paris (RATP), der Energiekonzern EDF, einige Raffinerien, die Müllabfuhr in einigen Städten und einige Lehrkräfte. Die Frage ist, wie diese Dynamik aufrechterhalten, auf andere Sektoren ausgedehnt und vertieft werden kann, auch durch die Besetzung von Unternehmen. Wo könnte man den Kampf besser ansiedeln als im Herzen des Arbeitsplatzes?
Es ist absolut entscheidend einen Gang höher zu schalten, und über die bloße Abfolge einzelner Streik- und Mobilisierungstage hinauszugehen. Falls noch nicht geschehen, müssen dringend betriebliche Aktionstreffen organisiert werden, die allen Kolleg*innen offenstehen, unabhängig davon, ob sie Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht. Es müssen ähnliche Komitees an Gymnasien, Universitäten und in den Stadtvierteln eingerichtet werden, um einen unbefristeten Generalstreik aufzubauen und die verschiedenen Initiativen des Kampfes miteinander zu verbinden. Die Einrichtung demokratischer Anti-Macron-Streikkomitees auf lokaler Ebene und dann in größerem Maßstab würde es ermöglichen, die gesamte Bewegung in die Aktionen und die Entscheidungsfindung einzubeziehen und die vielen Initiativen zu bündeln.
Der Aufbau eines unbefristeten Streiks ist ein zentraler Schritt, aber er ist nur ein Teil des Kampfes gegen den kapitalistischen Staat. Die Aussicht auf einen „Millionenmarsch“ zum Elysée-Palast aus verschiedenen Regionen, unterstützt durch eine Zunahme von „Robin-Hood-Aktionen“, würde diesen Schritt stärken. Der Kampf geht weit über die Frage der Renten hinaus. Es geht um den Sturz von Macron-Borne und der gesamten Austeritätspolitik.
Für eine Gesellschaft, die von und für die Mehrheit geführt wird
Es gibt keine Ressourcenknappheit! TotalEnergies erzielte 2022 einen Nettogewinn von 19 Milliarden Euro, den höchsten in seiner Geschichte. Die börsennotierten Unternehmen des CAC 40 zahlten im Jahr 2022 80,1 Milliarden Euro an ihre Aktionär*innen aus! Gleichzeitig wurden sie von der Regierung mit 157 Milliarden Euro staatlicher Unterstützung pro Jahr am meisten gefördert!
Diese Klimakriminellen und Geier aller Art sollten enteignet und ihre Unternehmen unter der Kontrolle und Verwaltung der Arbeitnehmer*innen verstaatlicht werden. Auf diese Weise und durch die Verstaatlichung von Schlüsselsektoren der Wirtschaft (Finanzwesen, Großunternehmen…) wäre es möglich, dank einer rationalen und demokratischen Wirtschaftsplanung eine würdige Zukunft für alle mit Respekt für den Planeten zu sichern. Die organisierte Arbeiter*innenklasse könnte eine führende Rolle spielen und sich als herrschende Klasse in der Gesellschaft etablieren, indem sie die Klimabewegung, die feministischen Bewegung und andere soziale Bewegungen einbezieht. Dadurch würde der Grundstein für den Sturz des kapitalistischen Systems gelegt. Mit einem solchen Programm und Ansatz könnte La France Insoumise ihre Rolle als Impulsgeberin für den Widerstand und die Umgestaltung der gesamten Gesellschaft voll ausfüllen.
Durch „Robin Hood“-Aktionen ahben die streikenden Energiearbeiter*innen landesweit koordiniert kostenlos Gas und Strom für Schulen, Krankenhäuser, Sozialwohnungen, öffentliche Sportzentren und gemeinnützige Vereine zur Verfügung gestellt. Außerdem stellten sie die Versorgung von Verbraucher*innen wieder her, die aufgrund unbezahlter Rechnungen vom Netz getrennt worden waren, und haben Kleingewerbetreibenden, die von der Regierung keine ähnliche Hilfe bei steigenden Preisen erhalten hatten, einen reduzierten Tarif von bis zu 60 Prozent angeboten! Diese Aktionen sind Initiativen, die von Beschäftigten im ganzen Land an ihren Arbeitsplätzen ergriffen und koordiniert werden. Die Entscheidungen und Aktionen werden von der Basis demokratisch abgestimmt. Dadurch vermitteln sie eine Vorstellung davon, wie der von Arbeiter*innen produzierte Wohlstand in einer demokratischen, sozialistischen Gesellschaft verwaltet werden kann.
Außerdem hilft es den Kleinunternehmer*innen und sorgt dafür, dass sich diese Gesellschaftsschicht der Arbeiter*innenklasse zuwendet und eher bereit ist, Streikbewegungen zu unterstützen und sich ihnen im Kampf anzuschließen. Es ist ein Schritt zur Ausweitung und Vereinheitlichung des Kampfes und zur Überwindung der Spaltungen, die das Lieblingsterrain der extremen Rechten sind! Letztere wagen es nicht, sich der Bewegung frontal entgegenzustellen. Da sie sich auf den Klassenkampf stützt, ist diese Protestbewegung der schlimmste Albtraum von Le Pen & Co., denn sie entlarvt die Heuchelei der rechtsextremen Oppositionsparteien. Ihre Welt ist dieselbe wie die der Anhänger*innen Macrons nur, dass die extreme Rechte die soziale Bewegung auch physisch zerschlagen und Rassismus und andere Formen der Spaltung mit dem Stiefel durchsetzen will. Die Arbeiter*innenbewegung in Aktion ist das beste Mittel gegen die Spaltpilze, die innerhalb der Arbeiter*innenklasse gesät werden, denn nur durch Einigkeit können wir gewinnen.
Ein Zehn-Punkte-Programm für die Bewegung:
- Rente mit 60!
Wir fordern eine Mindestrente, mit einem Mindestlohn von 2.000 Euro netto. Außerdem fordern wir eine sofortige 10%ige Lohnerhöhung und die Wiedereinführung der gleitenden Lohnskala. Niedriglohnsektoren müssen unter staatliche Kontrolle gebracht werden, um echte Arbeitsbedingungen mit guten Löhnen und Arbeitsbedingungen zu garantieren. - Garantierte Arbeit und Zeit zum Leben!
Wir fordern eine kollektive Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnkürzungen, einen Personalausgleich und eine Reduktion des Arbeitstempos. Frauen müssen wirtschaftlich unabhängig werden und prekäre Arbeitsbedingungen müssen enden. - Massive öffentliche Investitionen in Pflege, Bildung, sozialen Wohnungsbau, nachhaltigen öffentlichen Verkehr und Klimaschutzmaßnahmen sind dringend notwendig. Öffentliche Dienstleistungen müssen den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werden und von hoher Qualität sein und innerhalb von 30 Minuten von jedem Wohnort erreichbar sein.
- Die Enteignung des Vermögens der Milliardär*innen sowie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sind unverzichtbar. Die Energie- und Bankensektoren müssen unter demokratischer Kontrolle und Management der Arbeiter*innenklasse in öffentlichen Hand überführt werden.
- Die 5. Republik hat sich als Republik erwiesen, die nur für die Reichen funktioniert. Wir fordern die Schaffung einer wahrhaft demokratischen revolutionären Verfassungsversammlung, die auf gewählten Vertretern von Kampfkomitees in den Stadtteilen, Betrieben, Universitäten und Schulen basiert. Dies ist ein notwendiger Schritt hin zu einer wahrhaft demokratischen Regierung der Arbeiter*innenklasse, die den Bedürfnissen aller und nicht den Gewinnen einiger weniger entspricht.
- Wir brauchen eine demokratisch kontrollierte und ökologisch geplante Wirtschaft mit einer echten demokratischen Kontrolle durch die Arbeiter*innen in Unternehmen und der Gesellschaft als Ganzes. Damit können Millionen von nachhaltigen und gut bezahlten Arbeitsplätzen geschaffen und eine neue grüne Wirtschaft aufgebaut werden.
- Für den Aufbau einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft, die auf den Bedürfnissen der Arbeiter*innenklasse, der Jugend, der Unterdrückten und des Planeten basiert.
Tritt der International Socialist Alternative bei
Der Kampf für den Sturz des Kapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Alternative muss auf der größtmöglichen Ebene geführt werden. Deshalb sind wir in mehr als 30 Ländern auf allen Kontinenten organisiert: natürlich in Europa, aber auch in Brasilien, Chile, Mexiko, den USA, Quebec, Nigeria, Südafrika, Tunesien, Israel/Palästina und China, wo wir gegen die mörderische kapitalistische Diktatur der KPCh kämpfen. Im Laufe mehrerer Jahrzehnte haben wir Erfahrungen im Kampf gegen autoritäre und unterdrückerische Regime gesammelt, wie zum Beispiel gegen das südafrikanische Apartheidregime und jetzt gegen das Putin-Regime in Russland. Unsere Weltpartei ist keine Summe nationaler Organisationen, die vage Beziehungen unterhalten. Unsere nationalen Sektionen treffen sich regelmäßig, diskutieren und erarbeiten gemeinsam Analysen und strategische Schlussfolgerungen, um das revolutionäre Instrument zu schaffen, das unter den gegenwärtigen Umständen benötigt wird.
Bild: Ben Siesta, CC BY 3.0