Kampf um die Neuaufteilung der Welt
Während ein heißer Krieg in der Ukraine tobt, wird der Ton im Neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China rauer. Die Krise verschärft die Konkurrenz zwischen den Supermächten, die um die Aufteilung der Welt streiten.
Von Budi Budzynski, Bremen
Anfang Februar schoss die US Luftwaffe einen Spionageballon der Volksrepublik China über der Küste von South Carolina ab, nachdem dieser mehrere Tage, für das bloße Auge sichtbar, über die USA flog. Nachdem sich Medienberichte über die Bösartigkeit der KPCh, solch eine Spionageaktion durchzuführen, überschlugen, erklärte der Geheimdienst, dass der Ballon vermutlich durch Winde vom Kurs abgekommen, aber definitiv für Spionageaktivitäten vorgesehen sei. Chinesische Diplomat*innen ließen verlautbaren, dass dass der Ballon mit einem Durchmesser von 60 Metern und einer Ausrüstung von fast einer Tonne ein ziviles Flugobjekt sei, das lediglich dem Sammeln von Wetterdaten diene. Als die USA drei weitere unbekannte Flugobjekte vom Himmel holte, reagierte China rechtschaffen erbost über die überzogene Reaktion. Bis heute weiß niemand, wem diese gehörten, Präsident Biden gab allerdings zu, dass es sich vermutlich um zivile, bzw. kommerzielle Objekte handelte. Kosten für die US-Steuerzahlenden: über 2 Millionen $ für die Raketen alleine, nicht eingerechnet die Kosten für die Notstarts der Kampfflugzeuge. Das Kapitel „Spionageballon“ scheint, mit der vom US Außenminister kurzfristig abgesagten Chinareise, vorerst abgeschlossen zu sein.
Rhetorik verschärft sich
Allerdings wird das weder das erste, noch das letzte Kapitel im Neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China gewesen sein.
Nicholas Burns, US-Botschafter in China, sprach vor der amerikanischen Handelskammer davon, dass die USA die Anführer im Indopazifik sind und in der Region bleiben werden. Biden hat mittlerweile vier Mal erklärt, Taiwan im Falle einer chinesischen Invasion militärisch beizustehen. Die geostrategisch wichtige Insel wird zum Fokuspunkt des Konfliktes. US-Militärs beschwören eine Invasion schon in diesem Jahr – eine unwahrscheinliche Perspektive angesichts der enormen Herausforderung einer amphibischen Invasion. Dennoch: Der chinesische Volkskongress hat die Zentralität der sogenannten „Wiedervereinigung“ mit Taiwan erneut unterstrichen.
Gleichzeitig verschärfen chinesische Diplomat*innen und Politiker*innen hoch bis Präsident Xi ihren Ton und kritisieren die Vereinigten Staaten offen. Das Außenministerium veröffentlichte einen Bericht mit dem Titel ‚Amerikanische Hegemonie und ihre Gefahren‘. Darin wird die weltweite US-Hegemonie in den Bereichen Kultur, Politik, Wirtschaft, Militär und Wissenschaft benannt und süffisant der ehemalige Präsident Jimmy Carter mit den Worten „Die Vereinigten Staaten sind zweifellos die kriegerischste Nation in der Geschichte der Welt“ zitiert.
Die USA verhängen derweil Wirtschaftssanktionen und verbieten dem niederländischen Unternehmen ASML, dem effektiv einzig relevanten Hersteller von Produktionsmaschinen für komplexe Computerchipsätze, ihre Produkte an China zu verkaufen. Am anderen Ende der Produktionskette liegt die Macht bei der chinesischen kommunistischen Partei, welche den weltweiten Markt seltener Erden mit einem Marktanteil über 60 % (vergl. USA 15%) dominieren und über die größten Reserven der Welt verfügen, gefolgt von Vietnam, Brasilien und Russland, die durch historische, wirtschaftliche Verbindungen im BRICS Block oder aktuelle Kriege alle eine nähere Verbindung zu China als zu den Vereinigten Staaten haben.
Kalter Krieg und Krise
Auch wenn wir vom Neuen Kalten Krieg reden, gibt es wichtige Unterschiede zum Kalten Krieg zwischen den USA und der stalinistischen Sowjetunion. Wir haben es nicht mit einem ideologischen Konflikt zwischen einem kommunistischen und einem kapitalistischen System zu tun. „Sozialismus nach chinesischer Charakteristik“ bedeutet, das Land mit den zweitmeisten Milliardären der Welt zu sein. Dazu kommt, dass es sich im Gegensatz zum Konflikt ab der Mitte des letzten Jahrhunderts nicht um zwei aufsteigende starke Wirtschaften handelt. Gerade bei strauchelnden Wirtschaften wächst die Gefahr für innerimperialistische Konflikte.
Präsident Biden sieht sich einer gespaltenen Gesellschaft gegenüber. Die auf Unternehmen und nicht Menschenleben fokussierte Politik in der Coronapandemie hat die Bevölkerung schwer getroffen, 64 % leben von Monatslohn zu Monatslohn und über 33 Millionen leiden unter Lebensmittelunsicherheit. Bei zunehmenden Gewerkschaftsgründungen, auch dank medial erfolgreicher Kämpfe, wie z.B. bei Starbucks oder Amazon, zeigt sich Biden fest an der Seite von Kapital und Bourgeoisie. Zuletzt, indem er den streikbereiten Bahnarbeiter*innen ihren angedrohten Streik für einen besseren Gesundheitsschutz verbot und ihnen das Angebot der Eisenbahnunternehmen aufzwang, welches nicht einmal bezahlte Krankheitstage enthält. Wie angeschlagen das System ist, zeigt die kürzliche Rettung der Vermögen von Multimillionär*innen und Milliardär*innen in Höhe mehrerer 100 Milliarden Dollar nach dem Bankrott u.a. der Silicon Valley Bank (s. Seite XX), während 43 Millionen Amerikaner*innen an Bildungskrediten förmlich ersticken, ohne auch nur eine ein Einfrieren der Zinseszinsen in Aussicht gestellt zu bekommen.
Aber auch auf der anderen Seite des Pazifiks herrscht Katzenjammer: In China ist das Baugewerbe, welches ein Viertel der Wirtschaft ausmacht, förmlich zusammengebrochen. Jedes dritte Unternehmen ist bankrott und über 13 Millionen Häuser sind Geisterbaustellen. Chinesische kleine Hausbesitzer*innen starteten einen massenhaften Boykott von Hypothekenzahlungen, der alleine im Immobiliengeschäft einen Schaden von 130 Milliarden Dollar verursachte. Die erst ewig gehaltene, aber dann aufgrund von Protesten überstürzt aufgegebene Zero-Covid-Strategie, hat das industrielle Wirtschaftswachstum so stark gehemmt, dass China die ohnehin schon niedrigen Wirtschaftsprognosen um mehrere Prozentpunkte verfehlte. Die Prognose von Xi Jinpings Partei für dieses Jahr fällt mit 5 % verhältnismäßig konservativ aus.
Auf dem Nationalen Volkskongress hat Xi seine Machtposition ausgebaut. Der Präsident beginnt nun seine, ursprünglich von der Verfassung nicht vorgesehene, dritte Amtszeit. Neuer Premierminister ist wie erwartet Li Qiang geworden. Der loyal zu Xi Jinping stehende ehemalige Parteisekretär von Shanghai ist vor allem durch seine drakonische Umsetzung der Corona Lockdowns bekannt geworden. Qin Gang, bisheriger Botschafter in Washington, wird mit seiner Erfahrung über die US-amerikanische Politik als neuer Außenminister Chinas die globale Positionierung maßgeblich mit beeinflussen. In seiner ersten Pressekonferenz sprach er davon, dass keine noch so hohe Anzahl an politischen Leitplanken einen Zusammenprall verhindern kann, sollten die USA, „weiter blind rasend einem hysterischen Neo-McCarthyismus“ folgend, nicht auf die Bremse steigen. Dies deckt sich mit Xis Rede, in der er das chinesische Militär, welches inzwischen über die größte Marine der Welt verfügt, als eine „Mauer aus Stahl“ bezeichnete.
Geopolitik und Blockbildung
China nutzt aber auch seine „weiche Macht“ – die des Geldes. Die Verschuldung von Ländern, die Ziel der chinesischen „Belt and Road Initiative“ (der sogenannten „Neuen Seidenstraße“) war, nutzt China für eine neokoloniale Abhängigkeitspolitik. Das ist nichts anderes als das Spiegelbild von dem, was IWF und Weltbank für Jahrzehnte im Interesse der USA gemacht haben. Es zeigt aber, dass der zwischenimperialistische Konflikt sich auf Länder in der ganzen Welt auswirkt.
Auch der Ukraine-Krieg ist ein Ausdruck des Neuen Kalten Krieges. Russland ist der Junior-Partner Chinas, und die Ukraine wird von der NATO als Vorposten genutzt. Die massiven Waffenlieferungen aus den NATO-Ländern und ihren Verbündeten an die Ukraine haben auch das Ziel, mit Russland einen militärisch starken Verbündeten Chinas zu schwächen. Dabei ist eine Folge der westlichen Wirtschaftssanktionen, dass China und Russland näher zusammengerückt sind. Die Handelsbeziehungen zwischen China und Russland haben sich seit dem Krieg ebenso intensiviert (+30 % im letzten Jahr) wie die militärische Zusammenarbeit. Die Blockbildung nimmt damit zu.
Die Behauptung, nach der es sich in dem globalen Konflikt um den Kampf zwischen „Demokratie“ und „Diktatur“ und um eine Systemkonkurrenz zwischen einem „freien Markt“ und einer „staatlich gelenkten Planwirtschaft“ handele, ist falsch. Es geht um imperialistische Kontrolle, nicht um verschiedene Systeme, auch wenn es stimmt, dass es in China größere Einschränkungen von Privatkapital und ein größeres Gewicht des Staatssektors gibt. Aber die Logik des Neuen Kalten Krieges weist bei allen Großmächten in Richtung verstärkter nationalistischer Industriepolitik in der Form von größerem Staatsinterventionismus.
Der Neue Kalte Krieg wird die Weltbeziehungen in der nächsten Periode bestimmen. Beide Blöcke werden langfristig unter der gegenseitigen wirtschaftlichen Abkopplung leiden. Die globale kapitalistische Krise zwingt die beiden rivalisierenden herrschenden Klassen aber dazu, ihre Interessen aggressiver zu verteidigen. Unsere Genoss*innen sowohl in den USA als auch in China kämpfen dagegen und betonen das gemeinsame Interesse der Arbeiter*innenklassen beider Länder an friedlicher Kooperation.
Bild: Chase Doak, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/