Schon wieder eine Finanzkrise
Ein Gespenst ist zurück: die Bankenkrise. Politiker*innen überschlagen sich in Versicherungen, dass dieses Mal wirklich alles in Ordnung ist – ein untrügliches Warnsignal, dass es ernst ist. Zwischen Inflation und wirtschaftlicher Stagnation kommt das bürgerliche Krisenmanagement an seine Grenzen.
Von Sebastian Rave, Bremen
Ausgerechnet Krypto-Währungen waren die ersten Dominosteine, die umfielen. Die privat erzeugten „Währungen“ waren mal der feuchte Traum von libertären Technologiejüngern: Dezentral, computergeneriert, angeblich krisensicher. Solange spekulationsfreudige Cryptobros Geld in die wundersam an Wert zunehmenden, aber außer für illegale Geschäfte weitgehend nutzlosen digitalen Münzen steckten, ging die moderne Form der Tulpenmanie weiter. Aber keine Party hält ewig, irgendwann kommt das verkaterte Erwachen. Die Blase platzte. Im November brach die Kryptobörse FTX zusammen, im Januar folgte der Marktplatz Genesis und schließlich musste die tief in Kryptowährungen engagierte Silvergate Bank im März ihre Pleite erklären.
War die Silvergate Bank noch ein vergleichsweise kleiner Fisch, folgte der größere Brocken wenige Tage später: Die Silicon Valley Bank. Die Bank, die das Kapital von risikofreudigen Start-Up-Unternehmen verwaltete, musste nach einem bank run am 10. März ihre Zahlungsunfähigkeit erklären und schließen. Mit einer Bilanzsumme von 200 Mrd. Dollar ist das die größte Bankenpleite seit der Insolvenz der Washington Mutual während der Bankenkrise 2008 und die zweitgrößte in der Geschichte der USA. Es folgte die Signature Bank, ein weiteres größeres Geldhaus (118 Mrd. Dollar Bilanzsumme), das nach Krypto-Turbulenzen von der New Yorker Bankenaufsichtsbehörde geschlossen wurde, nachdem es in Zahlungsschwierigkeiten geraten war.
Längst keine Krypto-Krise mehr
Dass dies aber keine reine Krypto-Krise ist, wurde spätestens deutlich als sich die Situation bei der renommierten schweizerischen Credit Suisse zuspitzte. Nachdem Kund*innen ihre Einlagen abzogen, stand die mit einer Bilanzsumme von 530 Mrd. Franken (=576 Mrd. Dollar) gigantische Großbank kurz vor der Pleite. Die Schweizer Regierung musste intervenieren und ordnete per Notrecht die Fusion mit der UBS an, einer der größten Banken der Welt. Das Ergebnis ist eine „Megabank“ (Süddeutsche am 23.3.) „von der noch größere Risiken ausgehen als von den beiden Großbanken zuvor“.
Aktuell wackelt die First Republic Bank (212 Mrd. Dollar) und am 24.3. stürzte der Aktienkurs der Deutschen Bank, mit 1.506 Mrd. Dollar die größte Bank in Deutschland, um fast 14,9 % ab, die Aktie der Commerzbank um 10%. Die Versicherungen der Politik, diese und jene Bank sei sicher und man habe aus der Bankenkrise gelernt, klingen wie Pfeifen im Walde.
Denn das Problem ist nicht das unseriöse Geschäftsgebaren dieser oder jener Bank, denen im Gegensatz zu früher nicht genug auf die Finger geschaut wurde. Das Problem liegt in der Krisenbekämpfung der kapitalistischen Staaten selbst. Im Zuge der Bankenkrise 2008 wurden die Leitzinsen auf 0 gesenkt, Banken konnten sich von der Zentralbank also Geld zum Nulltarif leihen. Damit sollte das System gestützt werden. Das billige Geld wurde zur Spekulation genutzt, egal ob mit Kryptos oder mit vermeintlich seriöseren Anleihen.
Von der Deflation zur Inflation
Zu einer Geldschwemme (und damit zu einer Inflation) kam es zunächst nicht, obwohl die Geldmenge (M3) in der Eurozone zwischen 2000 und 2020 um 196 % wuchs und damit mehr als dreimal stärker als die Wirtschaftsleistung (61 % in Deutschland). Der Grund: Das Geld vermehrte sich in den Spekulations- und Finanzmarktsphären, nur geringe Teile kamen weiter unten, in der Realwirtschaft, an. Investitionen in Industrieproduktion lohnten sich nicht, weil das Einkommen der Arbeiter*innenklasse ohnehin nicht für die Mengen von Konsumgütern gereicht hätte, die man hätte produzieren können. Dazu kam die „Sparsamkeit“ der Nationalstaaten, die im Neoliberalismus Ausgaben kürzten, wo sie konnten. Das alles führte zu einer Tendenz zur Deflation (also einem Preisverfall), die sich mit der erhöhten Geldmenge die Waage hielt und zu trügerischer Preisstabilität führte.
Die Pandemie markierte das Ende dieses Zustandes. Enorme Konjunkturprogramme wurden aufgelegt, um die röchelnde Wirtschaft zu beatmen. Vorher schon hatte der Neue Kalte Krieg den Trend zur Globalisierung umgekehrt, jetzt floss Kapital tendenziell wieder „nach Hause“, und neue Produktionsstätten werden zunehmend nicht mehr weit weg (z.B. in China), sondern im eigenen Land aufgebaut. Das und die Pandemieausgaben sowie die Rüstungsausgaben der „Zeitenwende“ führten dazu, dass mehr Geld in den heimischen Umlauf kam. In Kombination mit dem nachgeholten postpandemischen Konsum und gestörten Lieferketten durch Pandemie und Krieg führte das dazu, dass das Preisgleichgewicht auseinanderfiel – spürbar für alle mit der Inflation.
Staatsanleihen als Krisentrigger
Die Zentralbanken reagierten mit dem drastischen Anheben der Leitzinssätze. Die US-Zentralbank Federal Reserve erhöhte den Leitzins von 0,25 % auf 4,5 % – die 4,25 Prozentpunkte entsprechen einem Anstieg von über 1000%! Der Effekt sollte sein, dass sich sparen „wieder lohnen“ solle und sich die Aufnahme von Krediten verteuert. Dadurch würde weniger Geld fließen und die Inflation zurückgehen. Die Nebenwirkung: Unprofitable Unternehmen können in die Pleite getrieben und profitablere dazu gebracht werden, Kapazitäten abzubauen und Arbeiter*innen zu entlassen.
Das Problem: Die vom billigen Geld abhängigen Banken waren auf einmal ohne „Stoff“. Aber nicht nur das. Der Silicon Valley Bank sind die sonst so sicheren Staatsanleihen zum Verhängnis geworden. Viel von dem (fiktiven) Kapital, das in der Krypto-Blase während der Pandemie entstand, parkte die Bank in US-Staatsanleihen. Diese werfen zwar weniger Zinsen ab als die spekulativen Märkte, sind aber „sicher“. Der Zinssatz dieser Staatsanleihen hängt aber vom Leitzins zum Kaufzeitpunkt ab. Der war während der Pandemie noch niedrig. Bei einem stabilen Leitzins kann man jederzeit ohne großen Verlust die Staatsanleihen verkaufen, wenn man frisches Geld braucht. Ist der Leitzins zum Verkaufszeitpunkt aber höher als zum Kaufzeitpunkt, will niemand diese Staatsanleihen mehr haben – frische Staatsanleihen würden ja höhere Zinsen abwerfen. Als die Silicon Valley Bank also kurzfristig Geld brauchte, weil viele verunsicherten Kund*innen ihr Tech-Kapital verschieben wollten, blieb ihr nichts anderes übrig, als die mittlerweile wertlosen Staatsanleihen vorzeitig zu verscherbeln und viel Geld zu verlieren. Das Todesurteil für die Bank. Und ein Problem, das sehr viele Banken gleichzeitig betreffen kann. Das erklärt die Nervosität der Märkte.
Dilemma des kapitalistischen Krisenmanagements
Die bürgerlichen Nationalstaaten stecken in einer Zwickmühle. Senken sie Leitzinsen, retten Banken mit viel Geld oder kaufen wertlose Staatsanleihen auf, um einen Marktkollaps zu verhindern, heizen sie die Inflation weiter an. Tun sie es nicht, kann es zu einem Übergreifen der Krise auf die Realwirtschaft kommen. Denn es sind ja nicht nur digitale Fantasiemünzen, die bei den Banken lagern, sondern auch das Geld von Unternehmen, die davon Rohstoffe, Bauteile, Rechnungen und nicht zuletzt Löhne zahlen. Geht die Bank pleite, ist das Geld futsch.
Die Banken sind überlebenswichtig für die kapitalistische Wirtschaft – und ihre Achillesferse zugleich. Sie sind gigantische Maschinen, von denen alles abhängt, deren Bedienung kaum jemand versteht, die eine Tendenz zur Verselbstständigung haben und dabei absolute Verwüstung hinterlassen. Dass die Pleiten von Banken dazu führen, dass noch größere Banken entstehen, die noch größere Risiken bergen, ist beängstigend. Diese sind irgendwann nicht nur „too big to fail“, sondern auch „too big to save“.
Ob jetzt eine neue globale Bankenkrise wie 2008 kommt, bleibt abzuwarten. Eins ist aber jetzt schon klar geworden: Das Finanzsystem ist zerbrechlich. Das kapitalistische System wird seine Krisen nicht mehr los – und es sind wie immer arbeitende und arme Menschen, die am Ende die Zeche zahlen sollen. Deswegen müssen dringend alle Banken verstaatlicht und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Das würde auch dringend benötigte Investitionen in den Klimaschutz oder in Gesundheit ermöglichen. Der Spekulation und dem Chaos würde ein Riegel vorgeschoben werden. Die riesigen, zerstörerischen Maschinen könnten zum Wohle aller eingesetzt werden, statt für die Vermehrung des Reichtums weniger.