1550 gewerkschaftlich Aktive kamen vom 12. bis 14. Mai bei der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstalteten 5. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung „Gemeinsam in die Offensive“ an der Bochumer Ruhr-Uni zusammen, darunter auffallend viele junge Teilnehmer*innen. Dies war die größte Konferenz dieser Art seit Jahrzehnten. In den Gewerkschaften entsteht eine neue, kämpferische Generation.
Von Angela Bankert und Claus Ludwig, Köln, Michael Lerch, Unna, Marc Treude, Aachen
Aktuell Streikende von Lieferando und Galeria stellten ihre Tarifkämpfe im Plenum unter großem Beifall vor. Der Zusammenschluss der Lieferando Kolleg*innen entstand durch die Vernetzung bei der letzten Konferenz. Das zeigt, wie wichtig solche Veranstaltungen sind. Die Kolleg*innen der Unikliniken in Nordrhein-Westfalen und der Berliner Kliniken berichteten von der erfolgreichen Auseinandersetzung um Entlastungstarifverträge, die nach 77 Tagen unbeugsamen Streiks zum Erfolg führten.
Analyse und praktisches Handeln wurden auf der Konferenz miteinander verbunden. Gestützt von den großen Warnstreikwellen waren die Teilnehmer*innen geradezu hungrig, sich gegen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen zu wehren und für Verbesserungen zu kämpfen.
In einem der vielen Workshops wurde besprochen, wie zusammen mit Klimaaktiven die Tarifrunde Nahverkehr 2023-24 zu einer breit unterstützten Kampagne für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV und für eine Verkehrswende werden kann. Beim Branchen-Workshop Metall war Thema, ob die Forderung nach einer 4-Tage-Woche für eine neue Dynamik Richtung Arbeitszeitverkürzung beitragen kann.
Diese Forderung wurde erst im März von Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW und Verhandlungsführer in der im Herbst anstehenden Stahl-Tarifrunde aufgebracht. Es gab Unmut über die Art und Weise, wie die Forderung vor allem über die Medien transportiert wurde, anstatt in den Gremien der IG Metall vorab diskutiert zu werden. Ein Mitglied der SAV warf die Frage auf, ob die Fokussierung auf eine 4-Tage-Woche nicht zu eng sei. Man brauche zwar wieder offensive gewerkschaftliche Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, es gelte aber auch, den Kampf um die massive Ausweitung der Tarifbindung zu führen. Interessant war, dass unter den anwesenden 120 Metallern auch viele überwiegend junge Hauptamtliche waren, die auch für das kritische Netzwerk “Offensive Gewerkschaftspolitik (OGP)” warben.
Grenzen der Vernetzung
Im Plenum gab es allerdings eine Reihe von Wortbeiträgen, die lediglich die Tarifkämpfe romantisieren und dabei auf eine vertiefende Analyse und programmatische und strategische Elemente verzichteten. IGM-Vorsandsmitglied Hans-Jürgen Urban sprach immerhin von sich zuspitzenden multiplen Krisen des Kapitalismus und davon, dass die gewerkschaftliche und gesellschaftliche Linke im Kampf um die Deutungshoheit dieser Krisen aus der Defensive heraus müsse. Seine Lösungsansätze blieben jedoch im Kern auf mehr öffentliche Investitionen und mehr Mitbestimmung beschränkt. Zwar sagte er auch, dass öffentliche Gelder zu öffentlichem Eigentum führen müssten, ließ aber offen, ob es im Rahmen des Kapitalismus einen Ausweg zum Beispiel aus der Klimakrise geben könne. Als Urban von der Notwendigkeit der Perspektive eines internationalistischen Sozialismus sprach, tobte das Auditorium allerdings von lautem Beifall.
Die RLS-Konferenz ist ein toller Ort für den Austausch und konkrete Vernetzung. Deutlich wurde, dass es mittlerweile eine Reihe von Arbeitskämpfen gibt, bei denen die tragenden Aktivist*innen viel Wert auf Organizing, Demokratisierung und Mitwirkung der Basis sowie Politisierung der Kämpfe legen. Stichworte waren hier: Wahl von Tarifbotschafter*innen, Teamdelegierten, Einbeziehung der Stadtgesellschaft – Beispiel Unikliniken – Zusammenarbeit mit der Klimaschutzbewegung – Beispiel TV-Nahverkehr.
Allerdings fehlten Inputs zur konkreten Analyse über das Ausmaß und die Verbreitung solcher Kampfformen, darüber wie Gewerkschaften dadurch verändert werden und welche Konflikte es während und im Anschluss solcher Kämpfe gibt, wenn Selbstermächtigung mit herkömmlichen gewerkschaftlichen Strukturen kollidiert.
Der notwendige Aufbau einer klassenkämpferischen, oppositionellen Strömung in den Gewerkschaften wurde nicht thematisiert. Diesen Part übernahm die die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), die am Samstagabend ein eigenes Treffen anbot. Es zeigt sich aber auch, dass es eine zunehmende Zahl von Kolleg*innen gibt, die den sozialpartnerschaftlichen Kurs der Gewerkschaftsführungen ablehnen und zumindest für mehr Demokratie und Kampf einstehen.
Unterschiede zwischen den Ansätzen der Einzelgewerkschaften wurden ebenfalls deutlich. Insbesondere ver.di, aber stellenweise auch EVG und NGG, sind sich der Bedeutung von gesellschaftlichen Kampagnen und politischen Forderungen eher bewusst und versuchen, dies einzubeziehen – wenn auch manchmal als Ersatz für betriebliche Stärke. Bei der IG Metall ist da noch viel Luft nach oben, diese ist auf die rein betriebliche Ebene fokussiert, wobei betriebliche Stärke natürlich der Ausgangspunkt sein muss.
Im Workshop Transformation der Autoindustrie wollte man partout nicht die Bedeutung von Konversion beim Umbau der Autoindustrie sehen. Ebenso wenig ließ der IGM-Vertreter beim Freitagabend-Plenum auch nur ansatzweise ein Verständnis für die Notwendigkeit einer Mobilitätswende weg vom motorisierten Individualverkehr erkennen; größere gemeinsame Schnittmengen mit den Fridays mochte er auch nicht sehen.
Transformation mit den Konzernen?
Im Workshop zur klimagerechten Transformation wurden die unterschiedlichen Ansätze deutlich. Der Ökonom Steffen Lehndorff sprach sich für eine öffentliche Förderung auch größerer Unternehmen aus, bezifferte die Kosten des industriellen Umbaus auf zunächst 500 Milliarden Euro und präsentierte dem teils staunenden Publikum die Vorstellung, eine klimagerechte Produktion ließe sich mit den Konzernen zusammen erreichen. Einige Gewerkschaftshauptamtliche knüpften daran an und übernahmen den IGM-Begriff einer schon laufenden Transformation der Wirtschaft. Ein Redner der SAV und mehrere andere Kolleg*innen hielten dagegen und machten deutlich, dass eine Klimawende im Bereich der Produktion nur durch Vergesellschaftung, demokratische Kontrolle und Planung, letztendlich revolutionäre Maßnahmen erreicht werden können. In diese Richtung argumentierte auch die Referentin Laura von der Gruppe „Klimaschutz und Klassenkampf“ die in München aktiv war gegen die Schließung eines Bosch-Werkes und sich für eine klimagerechte Umstellung der Produktion eingesetzt hatte. Sie fasste die Diskussion mit dem Satz zusammen „viele Wege, Sozialismus zu sagen, ohne Sozialismus zu sagen.“