4. März 1949 – 22. Mai 2023
Winfried “Winnie” Wolf ist tot. Autor, Eisenbahnfreund, Kriegsgegner, Ökonom und Marxist, der noch so viel vorhatte. Sein Tod reißt eine entsetzliche menschliche und politische Lücke. Unser tiefes Mitgefühl gilt seinen Angehörigen, engen Freund*innen und Weggefährt*innen.
Von Angela Bankert, Claus Ludwig, Heino Berg, Lucy Redler, Sebastian Rave
Er war, wie er selbst schrieb “nach den Kriterien des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs Diplompolitologe”, passender ist aber zu sagen, dass er bei den trotzkistischen Größen Ernest Mandel und Jakob Moneta in die Lehre gegangen ist. 1968 wurde er Mitglied in der deutschen Sektion der IV. Internationale, früh wurde er führendes Mitglied der “Gruppe Internationaler Marxisten” (GIM). Er stand als Trotzkist an der Seite der Arbeiter*innenklasse, egal ob sie in Deutschland mit der IG Metall streikte oder in Polen mit Solidarnosc.
An der Seite der internationalen Arbeiter*innenklasse
Während des großen Streiks für die 35-Stunden-Woche 1984 war Winnie Chefredakteur der GIM-Zeitung was tun. Unter seiner Leitung berichtete die Zeitung 14tägig umfassend von den Streikposten, analysierte, kommentierte und war damit ein hilfreiches Werkzeug für linke Gewerkschafter*innen. Dem Streik der Solidarnosc-Arbeiter*innen widmete er sogar ein dreibändiges Werk.
Den Fall des Stalinismus und damit die Restauration des Kapitalismus begriff er früh als Niederlage für die Arbeiter*innenbewegung. Im Gegensatz zu vielen seiner (Zeit-) Genoss*innen verlor er aber nie seinen politischen Kompass in den Jahren des Niedergangs sozialistischer Ideen.
Antimilitarist
Er trat in die PDS ein und wurde von 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordneter für die PDS. Die Ergebnisse von Regierungsbeteiligungen auf Landesebene und die Anpassungstendenzen der PDS – und später der LINKEN – unterzog er faktenbasierter harscher Kritik. Auch in anderen Fragen stand er häufig quer zur Partei, unter anderem auch bei der Einschätzung der EU: „Es handelt sich bei diesem Projekt um ein Europa der Konzerne und Banken und um einen nicht reformierbaren, imperialistischen und zunehmend militaristischen Block, mit dessen Hilfe das deutsche Kapital einen neuen Anlauf für ein kontinental beherrschtes Deutsch-Europa unternimmt.“ Der Antimilitarismus war eine grundsätzliche Haltung in seinem Leben. Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von NATO-Staaten auf Ex-Jugoslawien 1999 gab er die Zeitung gegen den Krieg heraus. Seine Antikriegs-Haltung war 2004 einer der Gründe, die PDS zu verlassen, die Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht mehr konsequent ablehnte.
Linker Verkehrsexperte
Er hatte aber große Spuren hinterlassen – vor allem durch seine Arbeit als verkehrspolitischer Sprecher der PDS. Schon seit Mitte der Achtziger hatte er sich intensiv mit der Autoindustrie, dem Herzstück des Kapitalismus in Deutschland, beschäftigt und sich als “Verkehrsexperte” einen Namen weit über die gesellschaftliche Linke hinaus gemacht. Wer sich mit Verkehrsthemen befasst, stößt unvermeidlich auf das umfangreiche Werk von Winfried Wolf.
Sein Credo: „Für Elektromobilität werbe ich enthusiastisch, da diese doch seit mehr als einem Jahrhundert umweltfreundlich mit Tram, Bahn und O-Bussen stattfindet. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass die fälschlich ebenso bezeichnete „Elektromobilität“ mit Elektro-Autos die Klimaerwärmung beschleunigt.“
Winfrieds herausragende verkehrspolitische Expertise war Ausfluss seiner systemkritischen und rebellisch revolutionären Haltung zum automobilen Kapitalismus. Er ordnete die Verkehrspolitik ein in das kapitalistischen Machtgefüge des fossilen und automobilen Kapitals. Seine fachliche Kompetenz setzte er in konkreten Analysen und realer Praxis um. Bei der Bewegung gegen das Wahnsinnsprojekt Stuttgart21 war er von Anfang an dabei, hat die Gegenproteste immer begleitet und unterstützt. Er war ein energischer Kämpfer gegen die Privatisierung und den Niedergang der Infrastruktur bei der Bahn, Herausgeber des Alternativen Geschäftsberichts zur DB, den er für das Jahr 2022 noch fertigstellen konnte.
Er verband den Kampf für eine Verkehrswende mit dem Klassenkampf, mit der direkten Solidarität mit den Beschäftigten im Verkehrssektor. Als die Mitglieder der GDL 2007 in den Streik traten, waren sie einer enormen medialen Hetze ausgesetzt. Auch die Eisenbahngewerkschaft des DGB, die heutige EVG, stimmte in den Chor gegen den Streik ein. Winnie ergriff die Initiative, die Solidarität kritischer DGB-Gewerkschafter*innen zu organisieren. Zusammen mit Mitgliedern der SAV wurde eine Website aufgesetzt, um aktuell über den Kampf zu informieren. Seine “Streikzeitung” in Solidarität mit dem GDL-Streik erreichte eine Auflage von 80.000.
Noch im April 2023, wenige Wochen vor seinem Tod, nahm er in Köln an einer Beratung der „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“ teil, Nachfolge-Organisation von Bahn für alle und Bürgerbahn statt Börsenbahn – alle drei Netzwerke von ihm mitgegründet und maßgeblich vorangetrieben.
Mitreißender Redner und Autor
Er war ein brillanter Redner: Seine Vorträge waren fesselnd, weil sie faktenreich und erhellend waren. Dabei redete er, wie er schrieb, und wer ihn hat reden hören, hört seine Stimme förmlich beim Lesen seiner Texte: Klar, unverschnörkelt, mit klaren Betonungen, die in seinen Texten kursiv gekennzeichnet sind. Er redete schnell, aber klar strukturiert – er schrieb noch schneller, und seine journalistische Produktivität war unheimlich. Wer seine Arbeit verfolgte, gewann manchmal den Eindruck, Winnie könne mehrere Texte gleichzeitig schreiben, während er parallel umfangreich recherchierte und Vorträge hielt. 52 Bücher werden auf seiner Website aufgelistet, dazu kommen dutzende von längeren Beiträgen in Büchern und Zeitschriften, und unzählige Artikel in verschiedenen Zeitungen, nicht selten als Pseudonym oder ungezeichnet veröffentlicht, weil sein Name seine politischen Projekte nicht dominieren sollte.
Journalist
Überhaupt: „Zeitung machen“ war eine Konstante in seinem Leben. Er war Chefredakteur mehrerer linker Publikationen, von „Was tun“ über die „Sozialistische Zeitung (SoZ)“ bis zu seinem Herzensprojekt „Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie“, die vierteljährlich erscheint mit dem Anspruch, Krisentendenzen des globalen Kapitalismus zu analysieren und verständlich aufzuarbeiten – was auch gelungen ist.
Immer wieder schaffte es Winfried, linke Autor*innen in immer neuen Zeitungsprojekten zusammenzubringen: so bei FaktenCheck:HELLAS aus Anlass der Strangulierung Griechenlands in der Finanzkrise, oder FaktenCheck:Corona gegen Corona-Politik der Herrschenden einerseits und die Schwurbelei andererseits.
Auf allen Themengebieten, die er umtriebig und äußerst produktiv bearbeitete, begleitete ihn der Kompass des Klassenkampfs: politische Ökonomie, Klimaschutz, gewerkschaftliche Kämpfe, Antimilitarismus. Neben einer Vielzahl von Büchern und Publikationen war er Redner oder Referent bei unzähligen Veranstaltungen, wie bei den Montagsdemos in Stuttgart, oder noch im April beim Landesparteitag der Linken NRW.
Freund und Genosse
Winnie war regelmäßiger und gern gesehener Redner bei Veranstaltungen der SAV wie der Sozialismustage und er steuerte auch immer wieder Artikel für unsere Zeitung bei. Auch wenn wir kleinere Differenzen hatten, die es leidenschaftlich zu diskutieren galt, waren Winnie und die SAV befreundet. Und einige von uns verband auch eine persönliche Freundschaft mit Winnie.
Bei alldem begleitete ihn sein Humor schwäbischer Prägung, seine Warmherzigkeit, seine freundschaftliche Hinwendung zu seinen Mitstreiter*innen, die ihn schmerzlich vermissen, aber seine Botschaften weiter tragen werden.
„Ich bin Brecht-Fan & begeistert von den Inszenierungen von Volker Lösch. Ich höre gerne Beatles, Dylan & Bernd Köhler. Mir schmecken – und ich koche gern – vegetarische Gerichte wie italienische Strangulapreti & schwäbische Käsespätzle. Ich wüsste nicht, was erfüllender & wichtiger sein könnte als das Engagement für ‚das Einfache, das schwer zu machen ist‘.“
Du hast das Schwere einfach erklärt und viele Menschen inspiriert.
R.I.P., Winnie
Nachrufe für Winfried Wolf (unvollständige Übersicht)
Wir trauern um Winfried Wolf / 23.5.23
Fotografischer Nachruf auf Winfried Wolf / Schäferweltweit.de / Alexander Schäfer / 23.5.23
Ein Leben für die Revolution / ISO / Angela Klein / 23.5.23
Unermüdlicher Revolutionär – treuer Genosse / Antikapitalistische Linke / Thies Gleis und Bundessprecher:innenrat der AKL / 23.5.23
Sozialist und Verkehrspolitiker / nd / Rainer Balcerowiak / 23.5.23
Zwischen Marx und Missionar / Kontext Wochenzeitung / Josef-Otto Freudenreich / 24.5.23
Sozialistischer Verkehrsexperte Winfried Wolf tot / nd / Jana Frielinghaus / 24.5.23
Nachruf: Winfried Wolf (1949 – 2023) / Solidarität.info / Sascha Stanicic / 24.5.23
Ein Kämpferherz hat aufgehört zu schlagen / Attac / 24.5.23
Linker Ideengeber und Verkehrsexperte / Neckar-Chronik / 24.5.23
Winfried Wolf ist gestorben / Promedia Verlag / Hannes Hofbauer / 24.5.23
Zum Tod von Winfried Wolf / Landesinfo Die LINKE NRW / 24.5.23
Unüberhörbar und rastlos / junge welt / Georg Fülberth / 25.5.23