Staatliche Stellen gehen mit repressiver Wucht gegen die Letzte Generation (LG) vor: Hausdurchsuchungen, Abschaltung der Website, Verbotsdrohung. Gemeint sind alle Klimaaktiven. Die Botschaft: demonstriert brav und folgenlos, alles andere geht zu weit. Die LG braucht jetzt die Solidarität der Klimabewegung, der Linken und von Gewerkschafter*innen – unabhängig davon, ob man ihre Aktionsformen unterstützt oder kritisch sieht.
Von Claus Ludwig, Köln
Als Grundlage für die polizeilichen Maßnahmen dient der „Anfangsverdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB). Allein der Verdacht schränkt die Rechte der Beschuldigten ein, sie können abgehört oder durchsucht werden, ohne dass den Einzelnen eine konkrete Straftat vorgeworfen werden muss. Über die Aktiven hinaus kann mit dem §129 auch das Umfeld kriminalisiert werden, zum Beispiel Leute, die Spenden sammeln oder zur Unterstützung aufrufen.
Die Nutzung des Paragrafen ist perfide und absurd, eigentlich dient er zur Verfolgung von Bandenkriminalität: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind (Absatz 1).“ Dies wird allerdings klar eingeschränkt: „Absatz 1 ist nicht anzuwenden (…) wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist …“. Die Paragrafen 129 und 129a (“terroristische Vereinigung”) wurden häufig gegen Linke und Antifaschist*innen eingesetzt, aktuell im Verfahren Lina E. wegen mutmaßlicher Angriffe auf Neonazis im Raum Leipzig und in Eisenach.
Die Letzte Generation blockiert Straßen in Form zivilen Ungehorsams. Ihre Aktionen kündigen sie offen an. Der Repression ging eine Welle medialer Hetze voraus. Sie würden Berlin „in Geiselhaft“ nehmen. Dabei hat die Mehrheit der Berliner*innen nichts mitbekommen, weil diese den ÖPNV nutzt. Auch werden die meisten Staus nicht von der “LG” verursacht, sondern sind schlicht das Resultat zu vieler Autos.
Die staatliche Repression gegen die LG nimmt unter anderem zur Begründung, dass diese in die Infrastruktur eingegriffen habe. Das ist für sämtliche Protestbewegungen, die auf Blockaden setzen, aber nicht zuletzt auch die Arbeiter*innen – und Gewerkschaftsbewegung eine alarmierende Kampfansage. Mit derselben Begründung könnte der Staat gegen Streikende vorgehen.
Woher kommt die “Letzte Generation”?
Die Gruppe entstand 2021 aus Teilnehmenden des „Hungerstreiks der letzten Generation“. Inzwischen haben sich mehrere Menschen angeschlossen, die vorher teilweise bei Fridays for Future, Extinction Rebellion oder anderen Gruppen aktiv waren. Ihre Aktionen bezeichnen sie als „Aufstand der letzten Generation“, da sie der Generation angehören, die noch zu wirksamen Handlungen gegen den Klimakollaps in der Lage sei. Danach seien Kippelemente im Erdklimasystem unumkehrbar überschritten.
Als erste Aktionsreihe führten sie die Kampagne „Essen retten, Leben retten“ durch. Vor allem zu Beginn wurden in verschiedenen Städten containerte Lebensmittel öffentlichkeitswirksam verschenkt. Als nächsten Schritt forderte die Gruppe ein Ende der staatlichen Finanzierung von Infrastruktur, welche der Bereitstellung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas dient. Seit Herbst 2022 erhebt die Gruppe Forderungen nach einem Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und einer Fortsetzung des 9-Euro-Tickets im öffentlichen Personennahverkehr.
Seit Beginn des Jahres 2022 bestehen die Aktionen der Gruppe hauptsächlich aus Sperrungen von Autobahnzufahrten mittels Sitzblockaden. Um die Räumung von Straßenblockaden durch die Polizei zu erschweren, kleben sich immer wieder einzelne Aktivist*innen mit ihren Hand- oder Fußflächen auf den Asphalt. Desweiteren versuchten Aktivist*innen, im April und Mai 2022 die Notabschaltung von Ölpipelines in Demmin, Schwedt und Straßburg zu manipulieren, um den Ölfluss zu stoppen. Im Frühjahr 2023 hatte die LG nach eigenen Angaben 1000 Aktive, organisiert in mehreren Regionalgruppen.
Dringlichkeit und Aufmerksamkeit
Die Letzte Generation hat Recht, wenn sie auf die Dringlichkeit der Kursänderung und den Unwillen der Regierenden verweist, endlich Maßnahmen zu ergreifen. Sie hat Recht, dass es falsch ist, sich an Gesetze zu halten, wenn diese unerträgliche Zustände schützen. Noch nie in der Geschichte wurden grundlegende Änderungen durchgesetzt, ohne dass Gesetze gebrochen wurden.
Die Ungeduld der oft jugendlichen Aktiven basiert auf den Erfahrungen von fast vier Jahren Fridays for Future: Millionen haben demonstriert, doch nichts hat sich getan. Es ist für viele bei FFF offensichtlich, dass es nicht reicht, Appelle an die Herrschenden zu richten; dass radikalere Maßnahmen folgen müssen, um den Klimawandel zu stoppen. Daran knüpft die Letzte Generation an und ist zu einem Faktor in der Klimabewegung geworden.
Die Gruppe liegt allerdings falsch mit ihrer Einschätzung, dass der Mangel an Aufmerksamkeit das zentrale Problem sei. Diese ist durchaus vorhanden, nur fehlt den Menschen eine Vorstellung, wie eine andere Klimapolitik erreicht werden kann. Es fehlt an einer Durchsetzungsstrategie.
Allerdings haben die Aktiven der Letzten Generation mit ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung der Klimabewegung geleistet. Sie haben nicht viele Antworten, werfen aber notwendige Fragen auf: Wie können wir Druck ausüben? Wie kommen wir vom Protest dazu, die Verhältnisse real zu verändern? Welche Kampfmethoden und welches Programm braucht die Bewegung?
Klima und Klasse
Aus unserer Sicht kommt es darauf an zu erkennen, dass die innere Logik des kapitalistischen Systems von Profit und Konkurrenz einen wirksamen Klimaschutz verhindert. Die FDP blockiert auch nur den kleinsten Fortschritt nicht aus Dummheit, sondern weil sie die Interessen der Autokonzerne vertritt. Daher setzt sie den irrwitzigen Neubau von Autobahnen durch. Aber auch SPD und Grüne wollen nicht mit der Profitlogik brechen und sich mit den Konzernen anlegen. Es sollte für die Klimabewegung darum gehen, die Macht der Konzerne zu brechen, darum, die Wirtschaft den Menschen unterzuordnen, die knapper werdenden Ressourcen bewusst, demokratisch und planvoll einzusetzen. Um das zu erreichen, müssen wir ihnen die wirtschaftliche Macht nehmen, die Produktionsmitteln in unsere Hände übernehmen, den Kapitalismus stürzen; und müssen, solange er noch existiert, ihre Macht einschränken, indem wir uns organisieren.
Die zentrale strategische Aufgabe der nächsten Jahre ist die Verbindung der Klimabewegung mit der Arbeiter*innenklasse, mit der Masse der Bevölkerung. Das wird ein Kampf, der länger dauert, als es uns lieb und für das Klima zuträglich ist. Doch es gibt keine Abkürzung. Das heißt nicht, dass die Klimabewegung warten sollte, bis die Arbeiter*innen sämtlich soweit sind. Alle Aktionen und Kampagnen, welche die Organisierung und Vernetzung stärken, welche Klimaschutz und soziale Forderungen der Lohnabhängigen zusammenbringen, sind sinnvoll.
Natürlich ist auch ziviler Ungehorsam wie Blockaden oder Besetzungen eine gute Methode.
Wenn dabei nicht der Berufsverkehr, sondern verstärkt Privatjets und Energiekonzerne in den Fokus geraten, könnte das helfen, die Aktivitäten zu verbreitern. Der Focus empörte sich über ein internes Papier der LG, das Pläne gegen die „Superreichen“ enthalte: „Statt pauschal den Autoverkehr zu blockieren, wollen die Aktivisten mit Protestaktionen nun also offenbar gezielt gegen Wohlhabende vorgehen.“ Wenn das stimmt, wäre das auf jeden Fall ein Schritt nach vorne.
Die Klimabewegung müsste darüber hinaus ihre Forderungen zuspitzen und für konkrete sofortige Verbesserungen kämpfen, zum Beispiel im Bereich Verkehr, für die Vergesellschaftung der gesamten Energiewirtschaft, für Sofortmaßnahmen zur Bewältigung von Klimafolgen in den Großstädten. Die Klimabewegung braucht sowohl eine Vorstellung von der Abschaffung des Kapitalismus als auch eine konkrete Strategie für Alltagskämpfe. Aus der Verbindung einer radikalen Alternative mit Handlungsfähigkeit vor Ort kann eine starke Bewegung erwachsen.