Die Regierungskoalition PSOE-Unidos Podemos befindet sich nach den katastrophalen Regional- und Kommunalwahlen in einem Schockzustand.
Von John Hird, Alternativa Socialista (SAV-Schwesterorganisation im spanischen Staat)
Die Linke hat die Regionalregierungen von Aragonien, Kantabrien, den Kanarischen Inseln, den Balearen, Valencia, Extremadura und La Rioja verloren, während sie Kastilien-La Mancha, Asturien und Navarra behalten hat. Die Partido Popular (PP, spanische rechtskonservative Partei, Anm. des Übersetzers) wird weiterhin mit einer absoluten Mehrheit für die Populistin Isabel Díaz Ayuso in Madrid die Region Murcia und die Gemeinschaft Madrid regieren.
Die Wahlarithmetik ist sehr grob. Bei den Kommunalwahlen vor vier Jahren haben 22.964.058 Menschen bei einer Wahlbeteiligung von 65,2 % ihre Stimme abgegeben.. Davon stimmten 6.657.119 Wähler*innen (29,26 %) für die PSOE (spanische sozialdemokratische Partei, Anm. des Übersetzers) und 5.058.542 (22,23 %) für die PP. Heute hat die PP mehr als 31,5 % der Stimmen und die PSOE weniger als 28 %. Am vergangenen Sonntag wählten 22.452.378 Menschen ihre Gemeinderäte, das sind 63,92 %. Die Tatsache, dass 37 % der Bevölkerung nicht zur Wahl gegangen sind, spiegelt die Enttäuschung der Arbeiter*innenklasse und der jungen Menschen über den Werdegang mehrerer Parteien wider, die sich zwar als links bezeichnen, es aber auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene nicht geschafft haben, das Leben der Beschäftigten in den Jahren der Krise wirklich zu verbessern.
Die von Alberto Feijóo geführte PP wird zusammen mit der rechtsextremen VOX-Partei von Santiago Abascal in Aragonien, Extremadura, Valencia, den Balearen und Kantabrien regieren. Die Partei von Abascal festigt ihre Position als regierende Kraft auf regionaler und lokaler Ebene. Auch in der Region Murcia könnte die PP eine gemeinsame Regierung mit VOX bilden.
Die polarisierte politische Situation hat die gemäßigtere rechtspopulistische Ciudadanos-Partei, die ursprünglich ein Projekt der herrschenden Klasse war, um linke Bewegungen nach dem ursprünglichen Aufstieg von Podemos zu verwirren und zu blockieren, fast von der Landkarte verschwinden lassen.
Der Geist der ETA
Die Wahlen waren geprägt von den demagogischen und leeren Parolen der Rechten. In Madrid behauptete Ayuso, Sánchez sei nur mit den „Stimmen der ETA“ (ETA=baskische Unabhängigkeitsbewegung, Anm. des Übersetzers) an der Macht. Die Koalition aus PSOE und UNIDOS Podemos würde mit den Stimmen der nationalistischen BILDU-Partei rechnen. Die ETA hat den bewaffneten Kampf vor mehr als einem Jahrzehnt aufgegeben und BILDU – der viele ehemalige Mitglieder der Batasuna, der Partei, die die ETA unterstützte, angehören – verfolgt einen Wahlkurs. Auf ihren Wahllisten stehen auch ehemalige Gefangene. Bezeichnenderweise beruht der sterile Diskurs der Rechten auf der Beschwörung der Geister der Vergangenheit, um die Wählerschaft zu verwirren.
Diese Taktik ist im Baskenland nicht aufgegangen. Die Linke konnte Navarra halten und in der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz gewann BILDU zum ersten Mal die meisten Stimmen in der Stadt. In Vitoria-Gasteiz erreichte VOX nicht die erforderliche Stimmenzahl, um einen Sitz im Stadtrat zu erhalten. Im Baskenland erzielte BILDU insgesamt das beste Ergebnis seiner Geschichte und konnte die Zahl seiner Ratsmitglieder auf ein Allzeithoch steigern. Zuvor hatte die neoliberale baskisch-nationalistische Partei PNV die baskischen Institutionen dominiert. Der Aufstieg von BILDU findet vor dem Hintergrund einer zunehmend kämpferischen Arbeiter*innenklasse im Baskenland statt.
Klassenkampf im Baskenland geht weiter
Am 18. und 19. Mai fand ein Generalstreik der Beschäftigten des Gesundheitswesens gegen die von der regierenden bürgerlich-nationalistischen Partei PNV betriebene Zerschlagung des baskischen öffentlichen Gesundheitsdienstes Osakidetza statt. BILDU und die für die Unabhängigkeit eintretenden Gewerkschaften ELA und LAB sehen sich als entschiedene Verteidiger des Gesundheitswesens und haben mit dieser Haltung bei den Wahlen gewonnen. Der erbitterte Streit um die Verteidigung des Gesundheitswesens geht weiter.
In Navarra streikten 10.000 Lehrkräfte und forderten eine Reduzierung der befristeten Verträge auf unter 8 %, eine Verringerung der Arbeitsüberlastung durch mehr Ressourceneinsatz und die Rückgewinnung der Kaufkraft, die seit 2010 um 20 % gesunken ist, was Lohnverbesserungen erfordert.
Wellen von weiblichen Beschäftigten, wie z. B. Reinigungskräfte, die während der Pandemie für „unverzichtbar“ erklärt wurden, treten vor, um gegen ihre Verarmung und die Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen. Zwei Tage vor den Wahlen wurde die baskische Hauptstadt durch einen massiv unterstützten Straßenbahnstreik zum Stillstand gebracht.
BILDU ist es gelungen, ehemalige Podemos-Wähler*innen anzuziehen und hat damit Ergebnisse erzielt, die über den Erwartungen liegen. Der Schlüsselfaktor ist, dass Podemos, obwohl sie aus der Indignados-Bewegung im Jahr 2011 und der darauf folgenden Welle von Massenbewegungen hervorgegangen ist, sich entschieden auf reine Wahlkampfpolitik und Bündnisse verlegt hat, was dazu geführt hat, dass sie ihre Basis im Baskenland verloren hat, wo BILDU eine kämpferische Alternative bietet, insbesondere für junge Menschen.
Lehendakari Iñigo Urkullu (PNV, Präsident der baskischen autonomen Gemeinschaft, Anm. des Übersetzers) erklärte, das Baskenland sei „führend bei Streiks und Demonstrationen“ – und fügte hinzu, dass sich 50 % aller Streiks in Spanien dort konzentrieren würden –, obwohl es eine „führende“ Gemeinschaft in Bezug auf Einkommen, geringe Armut und sozialen Zusammenhalt sei. Diese Bemerkung zeigt, dass selbst der Führer einer bürgerlich-nationalistischen Partei versteht, dass der Klassenkampf die Unterstützung für seine Partei beeinträchtigt hat, und mahnt die Arbeiter*innen, dass sie für das, was sie haben, dankbar sein und die Kürzungen akzeptieren sollten. Baskische Arbeiter*innen verstehen jedoch, dass die baskische Arbeiter*innenklasse für einen relativ höheren Lebensstandard und bessere öffentliche Dienstleistungen gekämpft hat und dass sie diese nicht kampflos aufgeben wird.
Bezeichnend ist auch, dass sich im Baskenland eine beachtliche, kämpferische und sozialistische Jugendbewegung entwickelt – Gazte Koordinadora Sozialista. Die GKS kritisiert die eher reformistischen Positionen der BILDU und ihre Politik des Versuchs, einen „nationalen Konsens“ mit der regierenden bürgerlich-nationalistischen Partei PNV herzustellen. Sie kritisiert auch das Fehlen einer starken Orientierung der BILDU auf die Arbeiter*innenklasse mit klaren sozialistischen Lösungen. Der jüngste Wahlerfolg von BILDU vor dem Hintergrund der industriellen Kämpfe bedeutet, dass zumindest im Baskenland eine wichtige und bedeutende Debatte über den weiteren Weg der Linken stattfinden wird.
Ada Colau verliert die Macht in Barcelona
In Katalonien wird Ada Colau nicht mehr Bürgermeisterin von Barcelona sein, wo die Mitte-Rechts-Partei Junts, die am meisten mit dem Kampf für die Unabhängigkeit in Verbindung gebracht wird, die meisten Abgeordneten gewinnen konnte; Ada Colaus Koalition En Comú (zu der auch der katalanische Ableger von Podemos gehört) wurde mit neun Abgeordneten Dritte. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es den linken Kräften nicht gelungen ist, die Macht zu ergreifen, obwohl sie durch die Bewegung auf der Straße Auftrieb erhielten. Colau gehörte zu den Gründungsmitgliedern und Sprecher*innen der Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), die 2009 in Barcelona als Reaktion auf die Zunahme von Zwangsräumungen aufgrund der Nichtbezahlung von Hypothekenkrediten und des Zusammenbruchs des spanischen Wohnungsmarktes nach der Finanzkrise 2008 gegründet wurde. Diese Bewegung hatte den Raum für die Wahl von Colau geschaffen. Leider hat die stetige Verwässerung ihres linken Programms zu einer Enttäuschung und Niederlage geführt.
Diese Niederlage der Linken in Katalonien ist auch auf die laufenden Arbeitskämpfe und -bewegungen zurückzuführen. Sechs kleine Gewerkschaften riefen am diesjährigen Internationalen Frauentag zu einem Generalstreik auf. Obwohl UGT (Unión General de Trabajadores, Gewerkschaft, Anm. des Übersetzers) und CCOO (Comisiones Obreras, Anm. des Übersetzers) nicht daran teilnahmen, ist dies ein Zeichen des Bewusstseins der Arbeiter*innen und der Gewerkschaften für die industriellen Kämpfe und den Kampf der Frauen gegen ihre doppelte Ausbeutung. Ada Colau und En Comú sind jedoch von diesen Veranstaltungen weitgehend abgekoppelt.
Ein ähnlicher Prozess mit schlechten Ergebnissen für die Linke hat in der Stadt Valencia stattgefunden. Der neue Bürgermeister kommt von der PP, die durch einen Pakt mit Vox die absolute Mehrheit erlangt hat. Unides Podem hat alle ihre Sitze in Valencia verloren, sowohl auf lokaler als auch auf regionaler Ebene.
Neben der Niederlage von Ada Colau in Barcelona hat die Linke auch Cádiz an die PP verloren. Dies bedeutet das Ende der „Ayuntamientos de cambio“ („Stadträte des Wandels“, Anm. des Übersetzers), die die Linke 2015 erstmals gewinnen konnte.
Warum ist das so?
Wie konnte die Rechte angesichts der Situation des spanischen Staates, in dem 2,8 Millionen Menschen in absoluter Armut leben und die Energie- und Lebensmittelpreise in die Höhe schießen, den Sieg davontragen?
Es ist nicht so, dass die spanischen Arbeiter*innen passiv wären oder nicht kämpfen würden. Klassenkampf gibt es nicht nur im Baskenland.
Den Statistiken der spanischen Regierung zufolge gab es in allen Altersgruppen viel mehr Streiks von Frauen als von Männern, 62 % gegenüber 38 %. Die Mehrzahl der Streiks (94,9 %) fand im Dienstleistungssektor statt, zu dem auch das Gesundheitswesen gehört.
Während die Beschäftigten des Gesundheits- und Sozialwesens erbitterte und massive Streiks gegen die verschiedenen spanischen Provinzregierungen, die die Gesundheitsdienste verwalten, geführt haben, gab es auch in anderen Sektoren wie dem Bildungswesen und der verarbeitenden Industrie Kämpfe.
Das Ausmaß der Streiks im spanischen Staat ist groß. Am 17. April begannen 45.000 Beamte des Justizministeriums einen unbefristeten Streik, der 130.000 Verfahren im System lahm legte.
Ein harter Kampf wird im Madrider Gesundheitssystem ausgetragen. Aufgrund von Kürzungen und Privatisierungen durch frühere Regierungen müssen die Beschäftigten des Gesundheitswesens die gleiche Arbeit leisten, ohne dass 20 % der Stellen besetzt sind. Ayuso bezeichnet die Beschäftigten im Gesundheitswesen als „linke Agitatoren“. Die Beschäftigten haben die gesamte Arbeiter*innenklasse hinter sich. Am Sonntag, den 12. Februar, gingen bis zu einer Million Menschen in Madrid auf die Straße, um die Gesundheitsversorgung zu verteidigen. DieHauptparole der Demonstration lautete: „Raus mit Ayuso!
Allerdings hat Ayuso bei den jüngsten Wahlen in Madrid einen absoluten Sieg errungen. Die Rhetorik über die ETA hatte offensichtlich eine Wirkung, aber diese Ergebnisse spiegeln vor allem die Enttäuschung der Arbeiter*innenklasse über die PSOE-UNIDOS-Podemos-Koalition und ihre lokalen und regionalen Pendants bei der Bewältigung der grundlegenden Probleme der Menschen wider.
Neue Parlamentswahlen
Pedro Sánchez (Ministerpräsident Spaniens, Anm des Übersetzers) hat auf diese Wahlniederlage mit der Ausrufung vorgezogener Parlamentswahlen reagiert. Diese Taktik zielt darauf ab, die Menschen mit der Aussicht auf eine PP-VOX-Regierung zu verängstigen, ohne wirklich eine klare Alternative anzubieten. Leider scheint Podemos aus seinem langsamen Niedergang nicht gelernt zu haben. Der ehemalige Parteivorsitzende Pablo Iglesias schlägt eine von Sánchez geführte Linksfront mit einer anderen Podemos-Abspaltung, Sumar, unter der Führung von Koalitionsministerin Yolanda Díaz, und Más País, einer weiteren Abspaltung unter der Führung von Iñigo Errejón, vor.
Es stimmt, dass zu Beginn der Regierungskoalition von PSOE und UNIDOS Podemos Maßnahmen wie die Einführung des „Ingreso Mínimo Vital“ (neues spanisches Grundeinkommen vergleichbar mit der deutschen Sozialhilfe, Anm. des Übersetzers), und die Erhöhung des Mindestlohns populär waren. Als jedoch die Inflation und die Preise stiegen, wurden die Grenzen dieser Maßnahmen deutlich und die Unzufriedenheit wuchs. Daraus wurde die Lehre gezogen, dass die Linke sich für eine viel mutigere sozialistische Politik zugunsten der Arbeiter*innenklasse einsetzen musste.
Leider ist die fehlende Einigkeit über ein klares kämpferisches linkes Programm lähmend. Millionen von Arbeiter*innen und Jugendlichen im spanischen Staat fürchten und bekämpfen den Aufstieg der Rechten und eine mögliche PP-VOX-Regierung nach dem 23. Juli, lassen sich aber nicht von der angebotenen linken Alternative inspirieren.
Letztlich werden die extreme Rechte und die franquistischen Ideen nur durch die Einheit der Arbeiter*innenklasse mit einem Programm zur Umgestaltung der Gesellschaft besiegt werden können. Ein Aufruf zur Aufrechterhaltung des kapitalistischen Status quo ist nicht inspirierend und ermutigt nur die Reaktion.
Die Situation ist komplex und widersprüchlich. Viele verzweifeln angesichts der scheinbar unvermeidlichen rechtsextremen Regierung in Spanien. Der Aufstieg der Rechten und die anhaltenden Rückschläge von Unidos Podemos sollten jedoch nicht als Beweis dafür angesehen werden, dass linke Ideen unpopulär sind. VOX gewinnt gerade deshalb, weil die Linke KEINE klare Alternative für die Arbeiter*innenklasse bietet.
Podemos ist durch seine Beteiligung an der PSOE-Koalition befleckt worden. Sie hätten die PSOE von links im Parlament und vor allem auf der Straße kritisieren müssen.
Wie auch immer die Wahlmathematik bei diesen und den nächsten Parlamentswahlen ausgeht, die soziale und politische Polarisierung im spanischen Staat geht weiter.
Ein Sieg der extremen Rechten wird zu regionalen und nationalen Spaltungen führen. Viele Teile der Arbeiter*innenklasse und der Jugend werden die reaktionäre Politik von PP-VOX nicht akzeptieren. Die Angriffe auf das Abtreibungsrecht und die frauenfeindliche und rassistische Rhetorik von VOX werden nicht unwidersprochen bleiben.
Bild: TUBS