Merz hat von Gauland und Co. gelernt: Erstmal was in die Welt setzen und am Tag danach will man es ganz anders gemeint haben. Es funktioniert. Der CDU-Chef hat das Signal gegeben, dass es auf der kommunalen Ebene eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei geben kann, egal, wie sehr er heute zurückrudert. Das Rudern ist bei solchen Äußerungen von Beginn an eingeplant. Merz wollte etwas anstoßen, was er eigentlich nicht anstoßen darf. Er will die europäische „Normalität„. Die ÖVP arbeitet schon lange mit der FPÖ zusammen, in Schweden lassen sich Konservativen von den ultrarechten „Schwedendemokraten“ stützen, in Spanien versucht die Volkspartei gerade, mit Hilfe der rechtsextremen Vox die Sozialdemokratie abzulösen. Jetzt bereitet Merz die Union auf eine Phase vor, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse rauer werden – und CDU/CSU aufgrund ihrer strukturellen Schwäche keine Mehrheiten bilden können.
Diese Einleitung wurde nach Merz‘ „Sommerinterview“ dem bereits in der Printausgabe von sozialismus.info abgedruckten Artikel vorangestellt.
Im thüringischen Landkreis Sonneberg wurde erstmals ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt, in der sachsen-anhaltischen Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz gewann die AfD die Bürgermeister-Wahl. In Thüringen steht diese aktuell bei 34% und wäre stärkste Partei (18% bundesweit). Besonders in den ländlichen Regionen und Kleinstädten Ostdeutschlands räumt die AfD ab – aber längst nicht nur da. Woran liegt das und was ist dagegen zu tun?
Von Marcus Hesse, Aachen
Einige Linke und Antifaschist*innen reagieren darauf mit einer Haltung zwischen Resignation und Zynismus oder neigen zur verzweifelten Taktik, mit bürgerlichen Parteien als vermeintlich “kleinerem Übel” zur Verteidigung des Status Quo zusammenzuarbeiten.
Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger*innen sprechen davon, dass der Erfolg der AfD eine Folge davon sei, dass die Politik die Sorgen und Nöte der Bürger nicht mehr ernst nehme. Dabei zeigen Umfragen, dass die Wahlentscheidung für die AfD mittlerweile längst nicht mehr nur Ausdruck vagen Protestes ist, sondern auf Zustimmung zu deren Programm basiert. So ist für Wähler*innen der AfD die Migrations- und Flüchtlingspolitik Thema Nummer eins. Auch die radikale Frontstellung gegen Klimaschutz und Aktivist*innen, Feminismus und LGBTQIA+-Rechte dominiert als Motiv. Die Stimmabgabe für die AfD repräsentiert also politische Zustimmung zu reaktionären und rechten Inhalten.
Wer wählt die AfD und warum?
In den letzten Jahren ist es der Partei gelungen, sich in relevanten Teilen der Bevölkerung politisch zu verankern. Entgegen eines vielfach noch vorgebrachten Mythos sind es nicht die ärmsten und abgehängten Teile der Bevölkerung, die die AfD wählen – die wählen meist gar nicht. Es ist die “Mittelschicht”, (Klein-)Unternehmer*innen und normal- bis besserverdienende Teile der Arbeiter*innenklasse. Erkennbar ist, dass die Zustimmung im Osten größer ist als im Westen, aber vor allem in ländlichen Gegenden oder kleineren Städten ist die AfD stark.
Der typische Wähler der AfD ist männlich und 35-55 Jahre alt, steht mitten im Erwerbsleben und ist nicht arm. Eine aggressive Haltung gegen feministische Ideen und gegen die Sichtbarkeit queerer und trans Personen gehört oft zum Selbstverständnis. Die AfD mobilisiert diese im Sinne eines rechten Kulturkampfes.
Als Hausbesitzer*innen wehren sie sich gegen vermutete hohe Kosten durch den vom Wirtschaftsministerium propagierten Einbau von Wärmepumpen. Als Autofahrer*innen fürchten sie hohe Spritpreise und hassen Klimaaktivist*innen (“Klimakleber”), die die Straßen blockieren.
Abstiegsängste sind im Kapitalismus gerechtfertigt und die Politik der Regierung wälzt die Kosten des Klimaschutzes tatsächlich auf die Masse der Bevölkerung ab. Die AfD macht diesen Leuten ein Angebot und füllt es mit einem rechten Programm aus, das sich gegen Klimaschutz an sich wendet.
Kleinunternehmer*innen und Selbständige wurden durch Corona-Lockdowns stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Partei konnte von der Bewegung der Querdenker*innen profitieren und fischte aus deren Reservoir. Das macht die AfD zum Sprachrohr für allerlei absurde Themen wie Klimawandelleugnung und andere krude Verschwörungstheorien. Im sächsischen Landtag brachte die AfD-Fraktion sogar eine Anfrage zu „Chemtrails“ ein. Doch es wäre falsch, dabei zu vernachlässigen, dass die AfD ein Gespür für massenwirksamen Populismus hat.
Alarmierend ist, dass die AfD unter Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaftsmitgliedern auf Zustimmung trifft. Trotz ihres FDP-ähnlichen neoliberalen Wirtschaftsprogramms agitiert die AfD geschickt gegen Inflation, steigende Energiekosten und setzt auf Angst vor Konkurrenz mit Einwanderer*innen um Jobs und Wohnungen. Das stellt die Gewerkschaften mit ihrem antifaschistischen Profil vor große Herausforderungen. Leider hat es die AfD in einem erheblichen Maße geschafft, soziale Fragen mit nationalistischen Antworten zu beantworten. Vor allem der rechtsradikale Höcke-Flügel, der in Thüringen und ganz Ostdeutschland dominiert, versucht sich in einem Alternativkurs zum neoliberalen Profil der Mehrheits-AfD und kombiniert sozialen Populismus – wie Forderungen nach besseren Löhnen und höheren Renten – nach dem Vorbild Le Pens in Frankreich mit Rassismus.
Versagen der LINKEN
In Zeiten politischer Polarisierung erfordert eine erstarkende Rechte eine starke und kämpferische Linke. Doch die Partei DIE LINKE stagnierte jahrelang und ist gerade dabei, auch in ihren Hochburgen im Osten an Bedeutung zu verlieren. In Thüringen ist DIE LINKE Regierungspartei. Zwar genießt Bodo Ramelow große Beliebtheit, aber nicht als Vertreter linker Politik, die man bei der thüringischen Landesregierung ohnehin vergeblich sucht, sondern ganz unpolitisch als “Landesvater”. Die staatstragende Politik der LINKEN kann Menschen, die nach progressiven Veränderungen suchen, nicht überzeugen.Thüringen lässt weiter abschieben und betreibt Haushaltspolitik nach dem Diktat der Schuldenbremse. Ramelow ist für Waffenlieferungen an die Ukraine. Sowohl in der Corona-Frage als auch seit dem Ukraine-Krieg tritt DIE LINKE als hoffnungslos gespalten auf. Die AfD kann gerade in Ostdeutschland an eine gewisse Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerung anknüpfen und die Kriegsangst der Massen in eine nationalistische, rechtsoffene und tendenziell Putin-freundliche Richtung desorientieren. Die AfD-Erfolge sind Ausdruck davon, dass Leute mit rechten Ideen sich im Aufwind fühlen, selbstbewusster und lauter im Alltag auftreten und dadurch auch einfacher mobilisiert werden können.
Was tun?
Die AfD ist eine Partei des Kapitals und des Kleinbürgertums, sie wird keine Antwort auf steigende Mieten, Inflation, schlechte Arbeitsbedingungen und Militarisierung haben. Um die AfD politisch zu bekämpfen und ihren Einfluss zurückzudrängen, braucht es eine unabhängige linke Politik, die bereit ist, sich mit dem Kapital anzulegen und nicht auf Regierungsbeteiligungen an der Seite von SPD und Grünen setzt.
Leider bevorzugen viele Linke und Gewerkschafter*innen eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien, um “die Demokratie” gegen rechts zu verteidigen. Aktuell setzen noch alle etablierten Parteien bis hin zur CDU auf eine moralische Ächtung der AfD. Dabei ist es nicht wahrscheinlich, dass das so bleiben wird. In Österreich schrecken Konservative mitnichten vor Koalitionen mit rechtspopulistischen Parteien zurück. Einzelne Politiker der CDU in Sonneberg bezeichnen die “Zusammenarbeit” mit der AfD als “unbedenklich”. Schon 2020 ließ sich ein FDP-Mann in Thüringen mit AfD-Stimmen kurzzeitig zum Ministerpräsidenten wählen. In Thüringen ging die CDU 2021 mit ihrem Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen als Bundestagskandidat ins Rennen – der trotz rassistischer, antisemitischer und verschwörungsideologischer Äußerungen in der CDU bleiben darf. Selbst wenn Bürgerliche nicht offen auf die rassistische Karte setzen, stützen sie ein System, das die Grundlage für den Aufstieg von Faschismus und Rassismus schafft – damit können Linke nur verlieren.
DIE LINKE hat bei der Stichwahl in Sonneberg hilflos zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen, um AfD-Mann Sesselmann zu verhindern. Politisch hat das nachweislich nichts genutzt und es der AfD nur leichter gemacht, sich als Underdog und einzige Kämpferin gegen alle anderen etablierten Politiker*innen und ihr System zu verkaufen. Dabei ist sie nur ein besonders aggressiver Ausdruck prokapitalistischer und bürgerlicher Politik gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung.
Bild: PantheraLeo1359531, CC BY 4.0