In der sechsteiligen Dokumentation beschäftigt sich der Moderator Joko Winterscheidt mit der Klimakatastrophe. Kann sie noch gestoppt werden? Wie? Die Doku findet eindrucksvolle Bilder für die Verbrechen des fossilen Kapitalismus und zeigt anhand von Beispielen aus mehreren Kontinenten, wie weit der Klimawandel bereits fortgeschritten ist: “Wie im Arsch sind wir?” fragt Winterscheidt und bekommt eine klare Antwort: “Ziemlich im Arsch.”
Von Claus Ludwig, Köln
Der Moderator und seine Redaktion haben die Serie als diskursives Experiment aufgebaut: Winterscheidt lässt sich von scheinbaren Lösungen (CO2 aus der Atmosphäre holen, grünes Wachstum usw.) überzeugen und verwirft diese, thematisiert, dass er die Doku bei Amazon zeigen darf, während der CO2-Ausstoß dieses Konzerns wächst. Der diskursive Stil hat Stärken – und Schwächen. Winterscheidt braucht etwas viel Zeit, um die Story vorwärts zu treiben und am Ende bleibt es … diskursiv und nebulös.
Die Dokumentation spürt Greenwashing auf. Es wird herausgearbeitet, dass individuelle Verhaltensänderungen nicht ausreichen, sondern gesamtgesellschaftliche Maßnahmen nötig sind. Der „ökologische Fußabdruck“ wird als Erfindung von British Petroleum (BP) enttarnt, als Mittel, die Verantwortung der Konzerne auf einzelne Menschen und damit vom Verursacherprinzip abzulenken.
Elefant im Raum
Die Bilder von Ölförderanlagen inmitten von Wohnsiedlungen in Kalifornien, die schon heute drastischen Wetterereignisse im Bergland von Uganda und der zynische Aussichtspunkt auf den Hambacher Tagebau vermitteln einen beklemmenden Eindruck vom Zerstörungspotential der fossilen Industrie. Gezeigt wird auch der Widerstand gegen die Zerstörung, unter anderem in Lützerath, inklusive der antikapitalistischen Einstellung von Aktiven.
Die Doku kreist immer wieder um die Systemfrage herum. Der Kapitalismus ist zunächst der Baby-Elefant in einer Ecke des Raumes und mutiert zu einem Riesen-Exemplar, das mitten hindurch trampelt. Winterscheidt fragt im sechsten Teil, ob der Kapitalismus die Rettung unseres Klimas verhindere. Mehrere Interviewte stimmen zu: “das System” ist das Problem.
Es wird allerdings nicht definiert, wie dieses System funktioniert, es hat wohl etwas mit zu viel Gier und zu viel Wachstum zu tun. Doch wie ein „system change“ aussehen könnte, wird nicht einmal angedeutet. Das ist den Autor*innen nicht im Speziellen vorzuwerfen, denn auch große Teile von Fridays for Future sind politisch nicht weiter. Luisa Neubauer von FFF trägt in einem Interview nicht zur Klärung bei, sondern stiftet Verwirrung. Es ginge “nicht um ein System”, sondern “um viele, die alle falsch kalibriert sind”.
Am Ende doch wir alle?
Der innere Wachstumszwang des Kapitalismus ist tatsächlich ein zentrales Problem angesichts endlicher natürlicher Ressourcen. Wer aber über Wachstum redet ohne über Besitzverhältnisse und Klasseninteressen zu sprechen, wer ignoriert, wessen Interessen das Wachstum antreiben und wie man die Produktion und Verteilung grundlegend ändern kann, der landet bei eher banalen Erkenntnissen: “Der Kapitalismus bringt uns Wohlstand, allerdings, wenn wir alle immer mehr konsumieren. Und das machen wir. Ich auch.” (Winterscheidt).
Der Moderator bringt die Lage auf den Punkt: “Wir haben noch 11 Minuten Sendezeit und ich weiß nicht, wie wir noch gut rauskommen sollen aus der Nummer.” Eigentlich brauchen wir eine Revolution, so seine Einsicht.
Von Jokos Revolution bleibt in den letzten Minuten allerdings nicht viel übrig. Die schon in den vorherigen Folgen vorgestellten technischen Lösungen kommen noch einmal per Schnelldurchlauf. Städte und Verkehrssystem werden umgebaut. Es passiert ja schon, so die Botschaft. Dazu Appelle, dass alle was tun können, Verbraucher*innen, Regierungen, dass “wir” was ändern müssen. Der zerstörerische Elefant des fossilen Kapitalismus scheint den Raum verlassen zu haben, das “System” löst sich im Handeln der Wohlmeinenden auf. Zwar habe “die Industrie” mehr Verantwortung und Möglichkeiten, aber “die Summe aller Teile könne die systematische Revolution” ausmachen.
Winterscheidt und sein Team entwickeln die Diskussion – im Vergleich mit anderen Formaten in den öffentlich-rechtlichen und privaten Video-Plattformen – durchaus weiter, aber nicht weit genug. Als Anleitung zum Handeln taugt „Die gefährlichste Show der Welt“ überhaupt nicht, durchaus aber als Visualisierung der Dramatik und als Debattenbeitrag. Trotz einiger Schwächen sehenswert.