Putsch in Niger: Konfrontation in der Sahelzone

Am 26. Juli haben Militärs unter Führung von Abdourahamane Tiani die Macht ergriffen und den nigrischen Präsidenten Mohamed Bazoum in seinem Haus festgesetzt. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS unter der Führung des größten Staates Nigerias drohte daraufhin mit Krieg. Die Militärregime in den benachbarten Staaten Burkina Faso und Mali antworteten, dass sie die neuen nigrischen Machthaber verteidigen würden.

Die deutsche Außenministerin Baerbock kommentierte: “Dass die westafrikanische Regionalorganisation ECOWAS und die Afrikanische Union in diesen entscheidenden Tagen geschlossen auftreten, ist ein klares Zeichen der Unterstützung für die Demokratie in Niger und darüber hinaus. Wir unterstützen die afrikanischen Bemühungen zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Niger und erkennen an, dass die Staaten der Region dabei alle diplomatischen Mittel ausschöpfen wollen.”

Das klingt nach Diplomatie und Demokratie. Doch Baerbock sagt damit auch, dass sie die Kriegsvorbereitungen der ECOWAS unterstützt. Sie setzt darauf, dass befreundete Regierungen die Interessen der EU durchsetzen. In der Region geht es nicht um die “verfassungsmäßige Ordnung”. Es geht um Rohstoffe und Einflusssphären.

Die Sahelzone – der südliche Rand der Sahara – kommt nicht zur Ruhe. Islamistische Milizen haben sich festgesetzt. Ab 2012 stützten französische und deutsche Truppen die instabile Regierung in Mali, dem Nachbarland Nigers. Am 1. August 2014 begann die “Operation Barkhane” mit insgesamt 4.500 französischen Soldat*innen in den ehemaligen französischen Kolonien Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger.

In diesem Zeitraum wuchsen Armut und Instabilität weiter und damit auch der Hass der lokalen Bevölkerung auf die ausländischen Truppen. In den herrschenden Eliten entwickelten sich Fraktionen, meistens innerhalb des Militärs, die sich auf diese Stimmung stützten und sich als populäre Alternative präsentieren konnten. Sie knüpften Kontakte zu den mit der EU konkurrierenden Staaten Russland und China. Im Mai 2021 putschten malische Militärs und holten im September des Jahres die Wagner-Miliz ins Land. Daraufhin wurde die Lage von französischer Armee und Bundeswehr in Mali unhaltbar, diese planten ihren Abzug. Mit dem Niger – eigentlich vorgesehen als Drehkreuz für die Abzugsoperation – ist der nächste Dominostein gefallen.

Ein massives militärisches Eingreifen französischer oder EU-Truppen ist aktuell nicht möglich. Die EU-Staaten sind auf Verbündete in der Region angewiesen, die ECOWAS und vor allem Nigeria bieten sich dafür an. Ob diese politisch, logistisch und militärisch in der Lage sind, einzumarschieren und die nigrische Junta zu stürzen, ist offen. Sicher ist allerdings, dass der Machtkampf im Westen Afrikas eine neue Stufe erreicht hat und Kriege, Bürgerkriege und der Zerfall von Staaten zunehmen werden. Die EU-Staaten, allen voran Frankreich, wollen als Feuerwehr gesehen werden. Sie sind Brandstifter.

Frankreich und das Uran

Der Niger gehört zu den drei ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Das Land ist arm, weil es reich ist – an Rohstoffen. Ohne das nigrische Uran würde die französische Atomindustrie nicht funktionieren, die angeblich so “energieunabhängig” ist. Ein Drittel der Stromerzeugung hängt vom nigrischen Uran ab. In 50 Jahren Förderung hat Niger nur 12% des Wertes des geförderten Urans erhalten, gleichzeitig wurden Böden und Arbeiter*innen verseucht und nicht entschädigt. Die französische Militärpräsenz im Sahel seit 2013 hatte auch zum Ziel, die Minen des französischen Atomkonzerns Areva – nach einigen Skandalen inzwischen in Orano umbenannt – zu schützen.

Neuer kalter Krieg

Nach dem Ende des sowjetischen Blocks ab 1989 hatten die Länder Afrikas keine alternativen Ansprechpartner und keinen Verhandlungsspielraum. Westliche Konzerne und Regierungen diktierten die Bedingungen. Die Schere zwischen den entwickelten kapitalistischen Ländern und Afrika ging weiter auseinander, die Ausbeutung von Rohstoffen wurde intensiviert, eine ökonomische Entwicklung fand nur in wenigen afrikanischen Ländern statt.

Mit dem neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China und der Konfrontation zwischen Russland und der NATO/EU, die in der Ukraine militärisch ausgetragen wird, hat sich ein größerer Spielraum für Fraktionen der Eliten in Afrika entwickelt. “Militärcliquen” wie in Mali lavieren zwischen der Machtblöcken, nutzen die Präsenz von Wagner-Söldnern, um Druck auf den Westen auszuüben oder machen Geschäfte mit China oder Russland. Ibrahim Traore, Junta-Chef in Burkina Faso, erklärte auf dem kürzlich von Putin in St. Petersburg veranstalteten Russland-Afrika-Gipfel: „Die Region wird von dem Wunsch nach Veränderung erschüttert … wir wenden uns von unseren traditionellen Partnern ab und unseren wirklichen Freunden zu, wie Russland, das uns durch die Entkolonialisierung bis heute unterstützt hat.”

Dieses Spiel mit den konkurrierenden imperialistischen Blöcken führt nicht zu wirtschaftlicher Entwicklung, sondern wird die Tendenz zu militärischen Auseinandersetzungen und Stellvertreterkriegen verstärken. Gerade die islamistischen Kräfte könnten davon profitieren, dass beide Lager – sowohl die den westlichen Konzernen treu ergebenden Regierungen wie aktuell in Nigeria als auch die sich Richtung Russland orientierenden Gruppen – dabei versagen, die Probleme von Armut, Unterentwicklung und Unsicherheit zu lösen.

Die Länder Afrikas werden sich nur von der Ausbeutung und Dominanz imperialistischer Mächte befreien können, wenn die arbeitenden und armen Massen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, die Reichtümer in gesellschaftliches Eigentum überführen und die Ressourcen demokratisch kontrollieren.

Auszüge aus Artikeln unserer Genoss*innen aus Westafrika:

Ory, Militant, ISA Côte d’Ivoire/Elfenbeinküste:

Die Erfahrungen mit den Staatsstreichen in Mali und Burkina Faso zeigen, dass die neuen Militärregime weder ein Programm noch die Absicht haben, die tiefgreifenden Probleme anzugehen: Die private Aneignung und Plünderung der Ressourcen dieser Länder durch das Großkapital. Die obersten Schichten dieser Regime, wie der neue nigrische Juntachef Tiani, haben selbst jahrelang von diesem System profitiert. 

Die gegenwärtige Situation ist sowohl durch eine große Unzufriedenheit mit dem sich verschlechternden Status quo als auch durch das Fehlen einer politischen Massenorganisation gekennzeichnet, die die Masse der Arbeiter*innen, der Armen und der Jugend für den Kampf um die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse und Interessen vereinen könnte.

Alle Imperialismen unterstützen Diktaturen und bemächtigen sich der natürlichen Ressourcen. Das nigrische Volk sollte in der Lage sein, seine Zukunft selbst zu bestimmen, ohne Einmischung von außen. Zusammen mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in der gesamten Region sollten sie einen Kampf zu ihren eigenen Bedingungen führen, um die souveräne Kontrolle über die enormen Reichtümer ihres Landes zu erlangen.

Aj. Dagga Tolar, Movement for a Socialist Alternative, ISA Nigeria:

Tinubu (der Präsident Nigerias, die Red.) versucht, sich als treuer Gefolgsmann des internationalen Kapitals zu erweisen. Was wäre besser geeignet als der Einmarsch in Niger, um die Herzen des westlichen Imperialismus zu gewinnen? Wir stehen vor der Möglichkeit eines Krieges in der Sahelzone, der ein Stellvertreterkrieg zwischen dem französischen Imperialismus und seinen westlichen Verbündeten, Nigeria und der ECOWAS auf der einen Seite und Niger, Mali, Burkina Faso, Guinea, der Söldnergruppe Wagner und möglicherweise auch China auf der anderen Seite wäre. Alle diese Kräfte verfolgen ihre eigenen egoistischen Ziele und machen die Sahelzone letztlich zu einer neuen Front im Neuen Kalten Krieg. 

Wenn wir gegen den Krieg sind, können wir dann Sanktionen in irgendeiner Form unterstützen? Auch hier ist die Antwort nein. Auf Befehl von Tinubu hat Nigeria, das die Republik Niger mit Strom versorgt, den Strom abgestellt und die Grenzen geschlossen. Die arbeitenden Massen sind die Leidtragenden solcher Sanktionen. 

Die MSA ruft die nigerianischen Gewerkschaften, den NLC und den TUC unter der Führung von Joe Ajaero und Festus Osifo auf, eine Kampagne gegen den Krieg und die Invasion der Republik Niger sowie gegen jede Art von Sanktionen zu führen, die negative Auswirkungen auf die arbeitenden Massen in Niger haben werden.

Die arbeitenden Massen in der Sahelzone, in Nigeria und in ganz Afrika stehen vor der Aufgabe, energisch in die Arena des Kampfes zu treten und eine Revolution durchzuführen. Eine sozialistische Revolution, die die führenden Sektoren der Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle und Führung der arbeitenden Massen verstaatlicht.