Gegen christliche Fundis und rechte Ideologie: Der „Marsch für das Leben“ ist ein Marsch gegen Frauen

Beim “Marsch für das Leben” am 16. September kommt eine unheilige Allianz aus Christ*innen und Rechtsextremen zusammen, um das Recht auf Abtreibung anzugreifen. Bisher fand dieser jährlich in Berlin statt, dieses Jahr zum ersten Mal gleichzeitig in Berlin und in Köln. Dem stellen wir uns entgegen.

Von Marcus Hesse, Aachen und Claus Ludwig, Köln

In vielen Ländern greifen religiös-fundamentalistische und konservative Kräfte die Rechte von Frauen und queeren Menschen an. In den USA machen die Republikaner*innen Schwangerschaftsabbrüche in vielen Staaten praktisch unmöglich. In Österreich haben katholische Fundamentalist*innen Frauen am Eingang von Abtreibungskliniken und Beratungsstellen eingeschüchtert und Ärzt*innen bedroht. Das EU-Land Polen hat unter der rechten PiS-Regierung eine rigide frauenfeindliche Gesetzgebung eingeführt, eine Abtreibung ist nur noch legal, wenn eine Vergewaltigung oder eine Lebensgefahr für die Frau durch diese nachgewiesen werden wird.

In Deutschland ist Abtreibung bis heute nicht legal, sondern wird seitens des Staates geduldet. Die Paragraphen 218 und 219 des Strafgesetzbuches bestehen noch – die Ampelregierung hat bisher lediglich den 219a abgeschafft, der es Arztpraxen untersagte, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren.

Die politische Rechte formiert sich zum Kulturkampf, als reaktionäre Antwort auf die Zuspitzung der Krisen des Systems. Weltweit gehen Frauen und queere Menschen auf die Straße, um lautstark für ihre Rechte und gegen Unterdrückung zu kämpfen. In der Schweiz und in Spanien gab es feministische Streiktage. Die großen Erfolge der feministischen Bewegungen wie die Durchsetzung des Rechtes auf Abtreibung durch Massenkampagnen in Irland und Argentinien und das neue Selbstbewusstsein junger Frauen und queerer Menschen haben die reaktionären Kräfte regelrecht wütend gemacht. 

Mit der AfD hat der rechte Kulturkampf in Deutschland ein politisches Sprachrohr bekommen. Die Verbindungen der rechten “Lebensschützer*innen” reichen bis in die großen Kirchen und CDU/CSU. Der CDU-Vorsitzende Merz signalisiert, offensiver bei diesem Kampf mitmischen zu wollen. Eine hochrangige Delegation der CSU mit Andreas Scheuer und Dorothea Bär besuchte im Mai 2023 Floridas Gouverneur DeSantis, der an der Spitze des Kampfes gegen die Abtreibung und Transrechte in den USA steht.

Katholische Bischöfe und Nazis

Hinter dem Bündnis “Marsch für das Leben” steckt der 2001 gegründete “Bundesverband Lebensrecht”, ein Zusammenschluss von vornehmlich katholischen und evangelikalen Abtreibungsgegner*innen. Das Bündnis veranstaltet “Trauermärsche für ermordete Babys”  und vergleicht Abtreibungen mit dem Holocaust. Das Bündnis ist anschlussfähig für sich offen bekennende Nazis. Der ehemalige Organisator der Rudolf Heß-Gedenkmärsche, Ralf Löhnert, wurde 2017 und 2018 beim “Marsch für das Leben” in Berlin gesichtet – was die Organisator*innen offenbar nicht störte. Unter den Teilnehmer*innen finden sich AfD-Mitglieder und bekennende Neonazis. Die rechte Zeitung “Junge Freiheit“ hat beste Beziehungen zum “Bundesverband Lebensrecht”.

Der “Marsch für das Leben” wird jedoch nicht nur von extremen Randgruppen getragen, sondern auch von großen Teilen der Führung der katholischen Kirche. Der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki unterstützte den Berliner Aufmarsch 2022. Er dankte den Teilnehmer*innen des “Marschs für das Leben” öffentlich für ihr “wertvolles Engagement”. 2014 begrüßte Papst Franziskus die Märsche.

Rechtstrend bei Rest-Katholik*innen?

Kardinal Woelki steht in Köln unter Druck. Jahrelang vertuschte er Informationen über den systematischen Missbrauch von Kindern durch Priester, seit November 2022 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Meineids gegen ihn. 2022 traten allein in Köln über 20.000 Leute aus der katholischen Kirche aus. Aus dieser Schwächung könnte die Führung des Katholizismus schlussfolgern, dass es ohnehin nicht mehr gelingen wird, aufgeklärte und kritische Menschen zu halten und dass es lohnender sein könnte, die verbliebenen Schäfchen auf einen fundamentalistisch ausgerichteten Kurs zu trimmen und dabei sogar neue – bisher eher säkular-rechtsgerichtete – Schichten zu erschließen.

Die Liste der Unions-Politiker*innen, die schon Grußworte bei einschlägigen Märschen verlesen haben, liest sich wie das “Who is Who” der Unions-Prominenz: Annette Schavan, Karl-Theodor zu Guttenberg, Volker Kauder, Wolfgang Bosbach und Philipp Mißfelder waren dabei. Beim Anti-Abtreibungs-Thema finden “demokratische” Politike*innen des bürgerlichen Lagers, Kirchengrößen und andere Teile des Establishments ein gemeinsames Aktionsfeld mit Faschist*innen. Der “Marsch für das Leben” übernimmt die Rolle eines Scharniers des anti-feministischen Rollbacks.

“Lebensschützer*innen” sind Menschenfeinde

Wie wenig “Lebensschützer*innen” tatsächlich am Schutz des Lebens, am Wohl von geborenen Kindern und Müttern gelegen ist, zeigt sich an der Sozialpolitik der Protagonist*innen. AfD- und Unions-Politiker*innen stehen für neoliberalen Kahlschlag Politik, kürzen bei Frauenhäusern und Kitas. Sie stehen dafür, dass Geflüchtete – auch Kinder und Mütter – im Mittelmeer ertrinken.

Die “Lebensschützer*innen” sagen: ‘Einzigartig. Leben wagen’ (Motto der Märsche 2023) betont die Einzigartigkeit jedes Menschen von seiner Zeugung bis zu seinem Tod.” In der Realität ist ihre Politik: Wir wollen die Kontrolle über den Körper der Frau, was mit dem geborenen Kind passiert, ist uns herzlich egal, das überlassen wir den Kräften des Marktes. 

Sie geben sich als Kümmer*innen und schreiben: “Frauen im Schwangerschaftskonflikt werden immer mehr allein gelassen …” Ja, das stimmt, sie werden alleine gelassen, weil es nicht genug Kliniken und Ärzt*innen gibt, die Abbrüche vornehmen und nicht genug Beratungsstellen, die medizinisch-sachlich über Abtreibung informieren und weil weder die Pille noch die medikamentöse Abtreibung – letztere in den meisten Fällen – nicht kostenlos erhältlich sind.

Dem rechten Backlash die Straße streitig machen!

Die beiden Aufmärsche der rechten “Lebenschützer*innen” sind organisierter Ausdruck des Versuches, der neuen Stärke und Größe der feministischen Bewegungen weltweit entgegenzutreten. Die Abtreibungsgegner*innen sind die reaktionäre Speerspitze eines Kulturkampfes von rechts und daher nicht nur peinlich oder lächerlich, sondern potenziell gefährlich.

Die SAV und die sozialistisch-feministische Kampange ROSA hatten 2022 mit Beteiligung aus Belgien und anderen Ländern einen starken Block gegen den “Marsch für das Leben” in Berlin organisiert. Insgesamt waren die Berliner Proteste in diesem Jahr allerdings zu klein. Viel Gegenwind gab es hingegen 2021 und 2022 gegen den “1000-Kreuze-Marsch” in Münster, bei der die rund 70 Teilnehmer*innen mit einer zehnfachen Zahl an Gegendemonstrant*innen konfrontiert wurden.

Das neu gegründete Bündnis “Pro Choice Köln” knüpft an den Erfahrungen aus Münster an und will dafür sorgen, dass die Fundamentalist*innen keinen ruhigen Spaziergang im Schatten des Doms machen können, sondern ein Spießrutenlaufen erleben. Es gibt gute Chancen, den Aufmarsch der bigotten Frauenfeinde, religiösen Fanatiker*innen und Rechtsradikalen unterm weißen Holzkreuz, diesem reaktionären Spuk in gleich zwei deutschen Großstädten, zum Desaster zu machen.

Es reicht allerdings nicht, wenn Linke und die Arbeiter*innenbewegung sich darauf beschränken, gegen die Märsche zu demonstrieren. Die Fundamentalist*innen und andere reaktionäre Kräfte saugen in diesem Zeitalter der Unordnung Honig aus Existenzängsten. Die Linke muss für ein gutes Leben für alle kämpfen, gegen Sexismus und für volle reproduktive Rechte; ebenso für Jobs von denen man leben kann, bezahlbare Wohnungen und  umfassende soziale Absicherung. Sie muss deutlich machen, dass es letztendlich der Kapitalismus ist, der diese Monster vergangener Zeiten und Feind*innen von Wissenschaft und Menschlichkeit wieder an die Oberfläche kommen lässt.

Infos

Köln: Bündnis Pro Choice

Berlin: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

Foto: ROSA-Block bei der Demo gegen den „Marsch für das Leben“ 2022 in Berlin