Es scheint unwirklich, wie wir einen gemäßigten Spätsommer genießen, während weite Teile der Welt und auch Europas von katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels heimgesucht werden. Auf wochenlange Dürren bereits im Frühjahr folgen extreme Hitzewellen oder heftige Unwetter mit katastrophalen Konsequenzen für Hunderttausende Menschen.
Von Conny Dahmen, Köln
Große Flächen Norwegens, Schwedens, Sloweniens und Österreichs wurden infolge tagelangen Dauerregens überschwemmt. Im spanischen Valencia wurde am 10. August der Temperaturrekord von 46,8 Grad Celsius geknackt. Seit Monaten wüten Waldbrände in Nordamerika. In Kanada sind nach Angaben des kanadischem Waldbrandzentrums CIFFC seit Beginn der diesjährigen Waldbrandsaison bereits 13,9 Millionen Hektar abgebrannt – so viel wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Auf Maui vernichteten die tödlichsten Feuer auf US-Gebiet seit über 100 Jahren eine ganze Stadt und über 100 Menschenleben.
Laut der UN-Weltwetterorganisation (WMO) war der vergangene Juli der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) rechnet damit, dass „mit El Niño als Beschleuniger“ die 1,5-Grad-Hürde schon 2024 fallen könnte.
Fossiler Backlash
Bürgerliche Regierungsvertreter*innen versuchen, uns auf die neue Normalität des (Über-)lebens im Klimawandel einzuschwören. Christophe Bécu, französischer “Minister für ökologische Transition”, sprach in einem TV-Interview davon, dass man „unser Land auf 4°C vorbereiten“ müsse. Dann läge halt weniger Schnee in den Alpen zum Skifahren. Zwar betont man immer noch die Notwendigkeit einer Energiewende, aber das Gegenteil findet statt: weltweit wird mehr in erneuerbare Energien investiert, aber noch mehr in fossile Energieträger, die weiterhin 82% des weltweiten Primärenergieverbrauchs decken. Der Anteil der erneuerbaren Energien wuchs 2022 um knapp 1% auf 7,5%.
Weltweit wurden 3,8 Millionen Barrel pro Tag mehr Öl gefördert und 2,9 Millionen Barrel pro Tag mehr Öl verbraucht, vor allem für Flugzeug-Kerosin. Die Kohleförderung erhöhte sich 2022 um 7% gegenüber 2021 (Energy Institute 2023: Statistical Review of World Energy, 26 June 2023).
Seit der Covid-Pandemie und im Zuge des Krieges in der Ukraine treiben die meisten Regierungen in Europa den Ausbau der Gasinfrastruktur voran. Bis Ende 2026 will die Bundesregierung insgesamt acht schwimmende und drei feste LNG-Terminals errichten lassen. Norwegens Investitionen in den Öl- und Gassektor zwischen 2018 und 2022 sind um 16% gestiegen, die in erneuerbare Energien um 39% gesunken.
Die britische Regierung kündigte im Juli 2023 eine Ausweitung der Öl- und Gasförderung in der Nordsee an. Biden genehmigte im Frühjahr das Willow-Projekt in Alaska, wo ConocoPhillips bis zu 180.000 Barrel Öl pro Tag fördern will. Die hohen Preise machten Investitionen in fossile Brennstoffe für die Konzerne attraktiver. Die gesamte Öl- und Gasindustrie weltweit verzeichnete 2022 Rekordeinnahmen von 4 Billionen US-Dollar. ExxonMobil, Shell, Chevron, TotalEnergies und BP konnten ihre Profite jeweils mehr als verdoppeln.
Sozialismus möglich, grüner Kapitalismus nicht
Kapitalismus ist und bleibt fossil. Von selbst werden die Konzerne die lukrative Produktion nicht umstellen. Die bürgerlichen Regierungen sind weit entfernt davon, sie dazu zu zwingen. Deshalb müssen die Energiekonzerne und dem Verkehrssektor vergesellschaftet und unter demokratische Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden, um überhaupt die Voraussetzungen für eine wirkliche Energiewende und den Ausbau des Öffentlichen Personenverkehrs zu schaffen. Ein umfangreiches staatliches Investitionsprogramm für den Aufbau einer Infrastruktur für erneuerbare Energien und öffentliche Verkehrsmittel ist, ebenso wie Renaturierungs- und Aufforstungsmaßnahmen sowie die Begrünung der aufgeheizten Städte, notwendig.
Das sind erste Schritte hin zu einer sozialistischen Gesellschaft, wo Produktion und Verteilung sich nicht nach Profit, sondern den wirklichen Bedürfnissen von Natur und Mensch richten. Die Klimabewegung braucht eine solche sozialistische Perspektive, wenn sie erfolgreich sein und die Arbeiter*innenbewegung mit ins Boot holen will, die am Ende die Mittel hat, den Kapitalismus ein für alle mal zu stürzen.
Foto: Waldbrand in Algerien 2022, Wikimedia Commons, gemeinfrei/CC0