Schon im Juni 2023 warnte die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Dachverband der Krankenhausträger, davor, dass jede fünfte Klinik vor der Insolvenz bedroht sei. Doch statt die Finanzierung einer wohnortnahen Versorgung sicherzustellen, wird die vorgestellte Gesundheitsreform die Probleme verschärfen.
Von Patrick Haas, Siegburg
Seit 1972 erfolgt die Krankenhausfinanzierung dual durch die Bundesländer und die Krankenkassen. Dabei finanzieren die Bundesländer Investitionen und die Krankenkassen den laufenden Betrieb. Die sogenannten Fallpauschalen (DRG – Diagnosis Related Groups) sind Teil der Betriebskosten. Diese Struktur ist ein Einfallstor für die Abschöpfung von Gewinnen. Da die Höhe der Fallpauschalen vorgegeben ist, haben die Krankenhausbetreiber*innen hierfür zwei Möglichkeiten: Entweder an den Kosten, also Personal, Einrichtung sparen oder die Menge an Eingriffe erhöhen, die eine besonders hohe Fallpauschale abwerfen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Bundesländer ihren gesetzlichen Zahlungsverpflichtungen nicht oder nur unzureichend nachkommen. Unter diesen Vorzeichen ist die logische Konsequenz ein Teufelskreis: Durch Einsparungen bei Personal und Ausstattung entstehen schlechtere Arbeitsbedingungen, gleichzeitig müssen immer mehr Eingriffe durchgeführt werden, was zu Personalabwanderungen führt. Die verbliebenen Angestellten haben dann noch schlechtere Arbeitsbedingungen. Dieser Teufelskreis wird durch die gestiegenen Betriebs- und Personalkosten infolge der Inflation beschleunigt und führt zu drohenden Insolvenzen bei Kliniken, die wenig spezialisiert sind und “nur” die finanziell wenig lukrativen Standardeingriffe durchführen können.
Zwischen Prüfauftrag und Zynismus
Die bürgerlichen Politiker*innen zeigen sich unfähig die systemischen Ursachen anzugehen. Vielmehr agieren sie wie der Zauberlehrling bei Goethe: Sie müssen ihre selbst verursachten Probleme lösen und beschränken sich dabei nur auf die Mittel, die das Problem verursacht haben. Die vorgestellte Reform ist symptomatisch hierfür: Es werden “Prüfaufträge” erteilt und Konkretes sucht man oftmals vergebens. Das wenige Konkrete lässt nichts Gutes erahnen.
Auch, wenn es Lauterbach noch so häufig betont: Einen Ausstieg aus dem Fallpauschalensystem sieht das Papier nicht vor. Die neue Vorbehaltsvergütung ist ein buchhalterischer Taschenspielertrick. Hier werden zwei Aspekte der Pflegereform miteinander verknüpft: Die Leistungsgruppen und die “Vorbehaltsvergütung”.
Die Leistungsgruppen sind die erneuerten Fallpauschalen. Die bestehenden DRG sollen zu insgesamt 65 Leistungsgruppen zusammengefasst werden. Den Krankenhäusern werden anschließend einzelne Leistungsgruppen zugeordnet, die sie behandeln müssen. Auch sollen ihnen durch das Land Leistungsgruppen zugewiesen werden dürfen, wenn diese Leistung nicht in angemessenen Umkreis angeboten wird. Erfüllt das Krankenhaus diese Standards, erhält es dafür eine sogenannte “Vorbehaltsvergütung” ausgezahlt. Bis 2026 sollen 40% der bisher über die DRG ausgezahlten Beträge in eine “Vorhaltevergütung” fließen. 20% werden, wie seit 2020, über die Selbstkostendeckung des “Pflegebudgets” ausgezahlt, welches die Pflege am Bett beinhaltet. Die restlichen 40% werden, wie bisher, über das DRG-System ausgezahlt.
Die Fallpauschalen sind weiterhin vorhanden. Sie heißen nur anders. Dabei sind sie das zentrale Problem. Der Grund für diesen Wahnsinn liegt aber nicht in der mangelnden Intelligenz der bürgerlichen Politiker*innen begründet. Die wissen, was sie tun. Den Beteiligten ist klar, dass die finanziell klammen Krankenhäuser nicht mehr lange durchhalten werden. Mit einer Reduzierung der laufenden Einnahmen aus den Fallpauschalen bei gleichzeitiger Beibehaltung des Systems ist die logische Konsequenz eine Beschleunigung der Insolvenzen und damit die Schließung der Krankenhäuser, die unter kapitalistischen Vorzeichen am wenigsten “rentabel” sind. So zynisch das Ganze ist: In den Augen der bürgerlichen Politiker*innen ist dies eine bessere Lösung als die Kliniken zu retten.
Umgestaltung der Krankenhauslandschaft
Ziel dieser herbeigeführten Verknappung des Angebotes ist die Umgestaltung des Krankenhaussektors. Das Eckpunktepapier sieht die Einführung von “sektorenübergreifenden Versorgern” vor. Diese sollen eine stationäre Grundversorgung anbieten und gemeinsam mit niedergelassenen Ärzt*innen betrieben werden können, um einzelne (fach)ärztliche ambulante Leistungen durchführen zu können. Wenig konkret ist das Eckpunktepapier darin welche Leistungen diese “sektorenübergreifenden Versorger” genau durchführen dürfen. Hingegen wurde bereits festgelegt, dass sie nicht an der Notfallversorgung teilnehmen und auch nicht von Krankenwagen angefahren werden dürfen. Um die Aufnahmezeit von Patient*innen zu reduzieren, erfolgt die Finanzierung durch degressive Tagespauschalen, also je länger ein*e Patient*in aufgenommen wird, desto geringer ist der ausgezahlte Betrag. Damit werden die “sektorenübergreifenden Versorger” praktisch zu einer Art Nachfolgemodell von klassischen Ärztehäusern, die nebenbei eine medizinische Grundversorgung des Krankenhauses anbieten sollen.
Dies wird vor allem die Zukunft derjenigen Krankenhäuser sein, die jetzt schon kurz vor der Pleite stehen. Gleichzeitig werden auch diese “sektorenübergreifenden Versorger” für Investor*innen attraktiv. Denn bereits jetzt sind Praxen niedergelassener Ärzt*innen und Ärztezentren ein begehrtes Spekulationsobjekt. Mit der Einführung der ”sektorenübergreifenden Versorger” dürfte sich dieser Trend fortsetzen und nun das endgültige Ende für kommunal betriebene Krankenhäuser bedeuten.
Widerstand notwendig
Symptomatisch ist, dass nirgendwo mit einem Wort Maßnahmen erwähnt werden, die geeignet wären die Arbeitsbedingungen im Krankenhausbereich zu verbessern. Dies zeigt nicht nur die Verachtung der bürgerlichen Politiker*innen für die Angestellten im Krankenhaussektor, sondern auch wessen Interessen die Lauterbachsche Krankenhausreform dient: Denen der privaten Krankenhauskonzerne. Ihre Profite sollen auch in Zukunft gesichert sein. Deshalb werden im Zeitraum bis 2026 die finanziell am schlechtesten aufgestellten Krankenhäuser gezielt abgewickelt und die Menschen so darauf eingestellt, für die Behandlung im stationären Bereich weitere Anfahrtswege auf sich zu nehmen. Hierdurch können mehr Eingriffe durchgeführt werden, welche die Verringerung bei den Erlösen, die durch den Wegfall der Fallpauschalen entstehen, wieder einspielen. Gleichzeitig werden die ländlichen Krankenhäuser durch die Abstufung zu “sektorenübergreifenden Versorgern” als Renditeobjekt für den Markt aufbereitet.
Lauterbachs Papier zeigt, dass wir unsere Gesundheit nicht den bürgerlichen Politiker*innen überlassen können. Die betrieblichen Kämpfe in den Kliniken, zum Beispiel für Entlastungstarifverträge und mehr Personal, brauchen Solidarität und müssen mit weitergehende Forderungen verbunden werden. Die DRG müssen komplett abgeschafft und Krankenhäuser nach Bedarf finanziert werden. Der Griff der privaten Konzerne wie Sana, Asklepios oder Helios nach weiteren Kliniken muss verhindert werden, die bereits privatisierten Häuser müssen zurück in das öffentliche Eigentum überführt werden. Für alle Kliniken muss eine bundesweit gültige Personalbemessung gelten, alle Beschäftigten dort brauchen kürzere Arbeitszeiten und bessere Bezahlung. Nötig ist auch die demokratische Beteiligung in allen Prozessen des Krankenhausbetriebes und der Krankenhausplanung. Die Menschen vor Ort wissen am besten welche Leistungen ein Krankenhaus vor Ort für sie erbringen muss, die Kolleg*innen in den Kliniken, wie ihr Haus zu organisieren ist.