Am 23. September wird es bundesweite Proteste gegen den Zustand der Schulen geben. Aus einer Berliner Initiative von wenigen wurde binnen 24 Monaten ein bundesweit agierendes Bündnis. Der Appell „Bildungswende jetzt!“ ist schon von mehr als 90 Bildungsorganisationen, Gewerkschaften sowie Eltern- und Schüler*innenvertretungen unterzeichnet worden.
Von Guido Schönian, Köln, Mitglied im Vorstand des GEW-Stadtverbands Köln*
Das Wort „Schule“ kommt vom altgriechischen Begriff „scholē“, was so viel heißt wie „gelehrte Unterhaltung, Rast, Muße, Vortrag“. Sieht man sich die Schule heute an, ist davon nicht viel übrig geblieben. Als meine Tochter jüngst eingeschult wurde, bemerkte der Vater einer Mitschülerin: „Guck mal! – Immer noch derselbe Teppich wie zu meiner Zeit hier. Das ist jetzt vierzig Jahre her!“.
Auf der einen Seite wird die Sau der Digitalisierung durch jedes Dorf getrieben, Whiteboards ersetzen zunehmend die herkömmlichen Tafeln. Gleichzeitig schieben oft auch die jüngsten Schüler*innen ihre Toilettengänge bis nach der Schule auf, weil die hygienischen Zustände in den Schulklos unzumutbar sind. Klassen platzen aus allen Nähten, den Förder-Schüler*innen wird man kaum gerecht. Als man feststellte, dass für die sogenannte Inklusion an „Regelschulen“ gar nicht genügend Sonderpädagog*innen zur Verfügung stehen, hat man flugs die „Multi-Professionellen Teams“ ersonnen, wo die Kolleg*innen zu einem Bruchteil der Vergütung von Sonderpädagog*innen arbeiten.
Personalmangel hausgemacht!
Die Bundesländer stellen die Lehrkräfte ein, die sie zuvor an ihren Universitäten selbst haben ausbilden lassen. Da sie auch wissen, in welchem Jahr wie viele Schüler*innen eingeschult werden, sollte das alles über Jahrzehnte hinweg planbar sein. Die Realität sieht leider anders aus: Seit 2015 werden laut der Kultusminster*innen der Länder mehr Lehrkräfte eingestellt als vorher selbst ausgebildet wurden. Der Grund für den Lehrkräftemangel ist letzten Endes der Spar-Wahn. Teil davon sind auch krasse Einschränkungen bei der Zugangsberechtigung zum Lehramtsstudium (an der Uni Münster lag der numerus clausus für das Grundschulstudium vor wenigen Jahren noch bei 1,7) oder dem Angebot an Studiengängen (an der Universität Bonn war ein Lehramtsstudium jahrelang gar nicht mehr möglich).
Aufgrund der Bildungsmisere in Berlin hat sich 2021 das Bündnis „Schule muss anders“ gebildet, was sich so beschreibt: „Wir sind Eltern, Schüler*innen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen. Und einfach Leute, die selbst nicht im Bildungssektor sind, aber gute und gerechte Schule als wichtig für unsere Gesellschaft sehen.“ »Schule muss anders« wird getragen von der Bürger*inneninitiative »Schule in Not«, dem »Berliner Bündnis für schulische Inklusion« und den »Berliner Bürgerplattformen«.
Der Kampf ums Ganze
Zunächst wehrte man sich sehr konkret gegen die Privatisierung der Schulreinigung, damals noch als „Schule in Not“. Am Ende haben aufgrund des öffentlichen Drucks acht von zwölf Berliner Bezirken beschlossen, die Schulreinigung in die öffentliche Verantwortung zurückzuholen – ein großer Erfolg. Heute ist man weiter: Am 23. September werden in zahlreichen deutschen Städten Demonstrationen stattfinden unter dem gemeinsamen Motto „Bildungswende jetzt!“
Die Kernforderungen an die Bundesregierung sind ein Sondervermögen Bildung und ausreichende Finanzierung, eine Ausbildungsoffensive für Lehrer*innen und Erzieher*innen, Schule zukunftsfähig und inklusiv zu machen, und ein echter Bildungsgipfel auf Augenhöhe. Allerdings haben die Adressat*innen in Bundes- und Landesregierungen bisher wenig für gute Bildung und gute Bedingungen in der Bildung getan. Aufrüstung zum Beispiel ist ihnen offenbar sehr viel mehr Geld wert als die Zukunft aller Kinder bundesweit. Mit einem Appell an solche Instanzen werden Illusionen in diesen Akteur*innen geweckt. Aber wir sind es, die wirklich etwas verändern können!
Was nach dem 23. September geschehen wird, bleibt abzuwarten. Wenn aus den Demonstrationen des Unmuts eine koordinierte und nachhaltige Aktion der Betroffenen wird, dann hat „Schule muss anders“ eine echte Perspektive, Schule anders werden zu lassen.
Weitere Informationen (auch zur Teilnahme an regionalen Online-Vorbereitungstreffen) unter: https://schule-muss-anders.de/event/bundesprotesttag.
*dient nur zur Kenntlichmachung der Person
Foto: Bildungsstreik 2009, Hans Weingartz, CC BY-SA 3.0 DE https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en, via Wikimedia Commons