Die Gemeinschaft der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, China, Indien, Südafrika) plant, sich ab 1.1.2024 durch Aufnahme weiterer Länder zu BRICS+ zu erweitern. Ziel ist es, den westlich dominierten G7 entgegenzutreten und langfristig den Dollar als internationale Leitwährung abzulösen. In der neokolonialen Welt und in Teilen der Linken wird das begrüßt. Doch wie sind die (erweiterten) BRICS politisch einzuschätzen?
Von Marcus Hesse, Aachen
Schon jetzt stellen die BRICS-Staaten, darunter die beiden bevölkerungsreichsten, 42% der Weltbevölkerung. Wirtschaftlicher Motor des Zusammenschlusses ist China. Die geplante Erweiterung um zunächst sechs Staaten, darunter Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Argentinien, wird BRICS stärken. Das ambitionierte Ziel des Hegemons China ist es, die Dominanz des US-Imperialismus in der Welt zurückzudrängen, der bislang seinen Einfluss über die ökonomischen Instrumente der WTO, der Weltbank und der G7 ausgeübt hat. Als vermeintliche Stimme des Globalen Südens mit bisweilen “anti-imperialistischer Rhetorik” sind sie für Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens interessant, die auf eine vom US-Imperialismus unabhängige Politik oder die Möglichkeit eines besseren Lavierens zwischen den Blöcken hoffen. Zahlreiche weitere Staaten des Globalen Südens haben ihr Interesse an einem Beitritt zum BRICS-Zusammenschluss bekundet.
Neuer Kalter Krieg
Zu Beginn des neuen Jahrtausends sah es so aus, als seien die Eliten der kapitalistischen Welt enger zusammengerückt und würden die Ausbeutung der Welt gemeinsam koordinieren. Das “kommunistische” China trat 2001 der WHO bei, die für internationalen Freihandel und Neoliberalismus steht. 1998 wurden die G8 format, die führenden Wirtschaftsmächte nahmen Russland in ihren Kreis auf. 1999 gründeten sich die G20. Noch 2017 trafen sich in Hamburg Trump, Putin, Xi und Merkel in augenscheinlicher Eintracht, wobei Gegendemonstrant*innen gegen dieses Gruselspektakel medial diffamiert wurden. Seitdem haben sich die Spannungen zwischen den Blöcken China/Russland einerseits und den USA/EU-Europa andererseits massiv verschärft. In den späten 2010er Jahren begann der Handelskrieg zwischen China und den USA, mit zunehmendem Protektionismus und Einsatz von Strafzöllen auf beiden Seiten. Der Konflikt um Taiwan eskalierte, die Konkurrenz um Afrika wurde schärfer.
Heiß wurde der Konflikt um die Ukraine ab 2014 und in völlig neuer Qualität mit dem russischen Einmarsch 2022. Auch wenn China sich im Ukrainekrieg mit offener Unterstützung für Putin zurückhält, mehr auf Diplomatie setzt und sich im UN-Sicherheitsrat bei der Verurteilung des Einmarschs enthalten hat, sind seit dem Krieg und dem Embargo der westlichen Staaten die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Russland und China enger geworden. Durch die Rückkehr der Mitte-Links-Regierung Lulas in Brasilien gibt es wieder eine engere Anbindung des Landes an China und Russland. Gravierend sind die Bestrebungen Chinas, seine Wirtschaft stärker vom Westen zu entkoppeln. Beim Gipfeltreffen der “Shanghai-Gruppe” (SCO) in Usbekistan haben China und Russland 2022 ihre Wirtschaftskooperation intensiviert. China arbeitet am Aufbau einer eigenen wirtschaftlichen Hemisphäre unter eigener Führung, verbunden mit seiner Idee der “Neuen Seidenstraße”.
Zwei Jahrzehnte lang galt China als Motor und Stütze der Weltwirtschaft, gerade auch in Krisenzeiten. Westliche Ökonomien sind in hohem Maße von chinesischen Importen abhängig. Die beginnenden 2020er Jahre haben viel verändert: Schon die Corona-Krise hat zu empfindlichen Einbrüchen im Welthandel geführt. Der Ukrainekrieg hat die Krisentendenzen und die sich entwickelnde Entkoppelung der Wirtschaften verschärft. Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Konstellation herausgebildet, in der sich zwei Blöcke wirtschaftlich, politisch und militärisch entgegenstehen und ihre Kriege mal zivil, mal in Stellvertreterkriegen austragen. Darum kann man von einem “Neuen Kalten Krieg” sprechen, wenngleich dieser sich in einem zentralen Punkt vom Kalten Krieg früher unterscheidet. Denn anders als damals geht es nicht mehr um eine Systemkonkurrenz, um sich ausschließende Produktionsweisen (Kapitalismus versus Planwirtschaft), sondern um imperialistische Konkurrenz zwischen kapitalistischen Mächten.
Innere Widersprüche
Auch die BRICS-Staaten selbst sind widersprüchliche und instabile Gebilde. Während Chinas Regime gefestigt ist trotz mancher innerer Krisen, sind Indien und Brasilien bürgerliche Demokratien mit wechselnden politischen Mehrheiten, die mal mehr und mal weniger China-freundlich sind. Gerade Südafrika ist lange Zeit eine Politik des Schwankens und Taktierens gegenüber China/Russland und den USA gefahren. Die ANC-Regierung hat sogar einen internationalen Haftbefehl gegen Putin unterschrieben, sodass dieser nicht dorthin reisen konnte. Die Erweiterungskandidaten Saudi-Arabien und Ägypten, allesamt lupenreine Diktaturen, sind noch bis vor Kurzem als treue Verbündete des US-Imperialismus aufgefallen. Ägyptens Militärdiktator al-Sisi wurde regelmäßig mit Ehren in Berlin empfangen.
Die BRICS-Beitrittskandidaten Saudi-Arabien und Iran sind seit Jahren blutige Rivalen im Kampf um die Regionalvormacht im Nahen und Mittleren Osten und führten gegeneinander Stellvertreterkriege in Syrien und im Jemen. Diese Länder, bis vor Kurzem noch bittere Feinde, suchen jetzt den Anschluss an die BRICS, um gegenüber dem Westen und den G7 sowie dem Diktat des Dollars unabhängiger agieren zu können. Unter den Ländern, die Interesse bekundet haben, sich zukünftig auch den BRICS anzunähern, sind auch Kuba und Venezuela. Es handelt sich bei diesen Ländern um schwache Ökonomien in einer existenziellen Krise, die unter dem Embargo der USA leiden. Vor allem das planwirtschaftliche Kuba hat sein nacktes ökonomisches Überleben an Wirtschaftshilfe aus China und Russland gebunden. Es ist davon auszugehen, das eine Anbindung Kubas an die gänzlich nach kapitalistischen Regeln agierenden BRICS die Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse, ohne Aufgabe gegenüber den USA und Rückkehr der in Miami sitzenden Enkel der enteigneten kubanischen Bourgeoisie, beschleunigen wird.
Tatsächlich sind die Wirtschaftskraft, die ökonomische Struktur und auch das politische System der verschiedenen BRICS-Staaten sehr unterschiedlich, gar widersprüchlich. Klar und deutlich ist es ein von China wirtschaftlich dominiertes Gebilde. Aber auch Indien, Russland und Brasilien sind mittlerweile große Player. Dagegen sind manche Beitrittskandidaten bettelarm und würden nur den Hegemon wechseln. Diese Uneinheitlichkeit, die sich nicht zuletzt auch in den völlig unterschiedlichen politischen Systemen der Mitgliedsstaaten ausdrücken, erschwert auch die Schaffung des erstrebten Ziels einer eigenen gemeinsamen Leitwährung als Gegengewicht zum Dollar, die sich nach den kühnsten Plänen als eine dem Euro ähnliche Einheitswährung verwirklichen soll.
Hoffnung für den Globalen Süden?
International gibt es einige Linke, die sich von der Erweiterung und Stärkung der BRICS-Staaten eine gerechtere und fairere Weltordnung erhoffen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges hatte der US-geführte globalisierte Kapitalismus mittels seiner eigenen Instrumente und Zusammenschlüsse (IWF, WTO, G7, G20) die Ausbeutung der Welt betrieben und neoliberale Politik und Freihandel zum Vorteil westlicher Konzerne durchgepeitscht. Auch formal überstaatliche und “neutrale” Institutionen der UN wie der IWF dienten dieser Agenda. Die BRICS fordern dies heraus, allerdings stellt sich die Frage, was deren eigene ökonomische Agenda ist.
Tatsächlich bietet eine nicht mehr unipolare Weltordnung für Regierungen und Nationalstaaten die Möglichkeit, unabhängiger zu handeln, Widersprüche zwischen imperialistischen Rivalen zu nutzen und weniger erpressbar zu sein, so auch die Hoffnung von linkspopulistischen und linksreformistischen Regierungen in Lateinamerika. Eine starke BRICS als Alternative zu IWF, EZB und Troika hätte vielleicht auch Griechenlands SYRIZA-Regierung 2015 mehr Spielraum gegeben, in den Kampf gegen die westlichen Geldgeberländer zu treten.
Doch es wäre fatal, den Klassencharakter des kapitalistischen Zusammenschlusses BRICS zu leugnen oder herunterzuspielen. Denn den BRICS-Staaten geht es genau um Profit und Konkurrenz um Märkte und Ressourcen. Mit Blick auf Arbeitsbedingungen und Ausbeutung in China und in chinesischen Konzernen weltweit oder auf die katastrophalen Zustände rechtloser Arbeiter*innen im despotischen Öl-Rentierstaat Vereinigte Arabische Emirate, wäre es geradezu naiv, zu glauben, dass die sozialen Verhältnisse unter der Hegemonie Chinas und der erweiterten BRICS besser seien. In chinesischen Unternehmen im Bausektor, im Bergbau und in der Textilindustrie in Afrika kam es in den letzten Jahren mehrfach zu Streiks und Protesten gegen katastrophale Arbeitsbedingungen, Lohndumping und prekäre Arbeitsbedingungen, bei denen Geschäftsleitung und Werkschutz brutal gegen Arbeiter*innen vorgegangen sind. Im Kongo investiert China im Bergbau, was zu massivenUmweltzerstörungen führt.
Die alten und die erweiterten BRICS sind kein Bündnis gegen den Imperialismus, sondern ein Mittel zur besseren Koordinierung der globalen Konkurrenz unter imperialistischen Mächten zur Erlangung besserer Wettbewerbsbedingungen um Profite – auf Kosten von Mensch und Natur. Für eine bessere globale Weltordnung kann nur die unabhängig organisierte internationale Arbeiter*innenklasse kämpfen.
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