Klimagerechter, demokratischer Umbau der Autoindustrie in öffentlicher Hand

Flyer-Aktion vor dem IGM-Kongress

Text eines beim 25. Gewerkschaftstag der IG Metall (Frankfurt, 22.-26. Oktober 2023) verteilten Flugblattes zur Debatte um die Transformation der Autoindustrie.

Der diesem 25. ordentlichen Gewerkschaftstag vorliegende Leitantrag 1 „Energie- und Mobilitätswende gestalten“ beginnt mit dem gut klingenden Anspruch:

Klimaschutz kann nur gelingen, wenn der Energie- und der Mobilitätssektor grundlegend umgebaut werden. Für ein Durchstarten bei der Energie- und Mobilitätswende braucht es endlich einen langfristigen, verlässlichen und konsistenten Planungsrahmen mit massiven Investitionen nicht nur in neue Technologien und Infrastrukturen, sondern auch zur Sicherung von Beschäftigung in der Transformation.“

Doch die im weiteren beschriebenen Maßnahmen und Forderungen erfüllen diesen Anspruch nicht. Die zentrale These des vom Vorstand vorgelegten Antrags lautet:

„Der mit Abstand wichtigste und dringlichste klimapolitische Handlungsansatz liegt daher im Wechsel der Antriebstechnologien.“

Von dieser falschen Kernthese ausgehend entwickelt der Leitantrag leider keine Vorstellung davon, wie eine wirkliche Umstellung der Industrie aussehen könnte. Einzelne gute Vorschläge wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die Abschöpfung von „Übergewinnen“ der Energiekonzerne sind in einen Rahmen eingebettet, der alles beim Alten belässt:

Die Autokonzerne bleiben in privater Hand. Damit bleibt auch die Gestaltung des Verkehrssystems in der Hand derjenigen, die damit Profite machen. Es gibt keine effektive öffentliche, demokratische Steuerung.

Mit staatlicher Hilfe sollen die deutschen Autokonzerne gegen ausländische Konkurrenten gestärkt werden.

Man hofft darauf, dass wir als IG Metall Einfluss auf die Transformation der Konzerne nehmen können, damit diese nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, doch ohne die entsprechenden Instrumente dafür zu schaffen.

Der Vorstand interpretiert im Leitantrag diese Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse als „realistischen und schnellen Veränderungspfad“. Realistisch ist allerdings nur, dass unter diesen Bedingungen schnell deutlich wird, dass sowohl die Beschäftigten dafür bezahlen – und dass der klimagerechte Umbau der Autoindustrie auf der Strecke bleibt.

Diskussion notwendig, dieser Leitantrag nicht

Viele Kolleg*innen sind längst weiter als der Vorstand. Sie wissen, dass es so nicht weitergeht. Sie sind zu Veränderungen bereit, wenn es gelingt, Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Entgelte zu verteidigen. Es wäre die Verantwortung auch der IG Metall als Organisation, weiter zu denken. Überlegen wir, welche anderen Produkte in den von Abbau oder Schließung bedrohten Fabriken hergestellt werden können und wie das von unten durchgesetzt werden kann.

Parallel zum Leitantrag kursiert innerhalb der IGM das Debattenpapier „Speed matters“. Auch dieses ist nicht der Weisheit letzter Schluss, enthält aber Ansätze für Diskussionen: „Ein integriertes verkehrsträger- und branchenübergreifendes Konzept zur Mobilitätswende hilft uns, unserem Anspruch, eine progressive gesellschaftspolitische Akteurin zu sein, gerecht zu werden, in der breiteren gesellschaftlichen Debatte anschlussfähig zu bleiben und Impulse zu setzen. So werden auch die Interessen der Beschäftigten in der Transformation besser durchsetzbar.“

Das Debattenpapier soll um den Jahreswechsel 2023/24 fertiggestellt werden. Warum liegt dem Gewerkschaftstag wenige Monate vorher ein Leitantrag vor, der im Klartext nichts anderes sagt als: „Wir belassen trotz der Herausforderungen der Klimakrise alles beim Alten in der Autoindustrie und hoffen darauf, dass die Kapitalist*innen es entgegen allen Erfahrungen ab jetzt besser machen werden“?

Gefährlich für Jobs und das Klima

Der verschärfte Konkurrenzkampf, Absatzkrise und die Entwicklung hin zur E-Mobilität gefährden Hunderttausende Arbeitsplätze, alleine seit 2018 gingen rund 60.000 bei Herstellern und Zulieferern verloren. Die Kapazitäten sind nicht ausgelastet, die Autoproduktion ist seit 2017 von 5,7 auf 3,5 Millionen Fahrzeuge jährlich gesunken. Ford schließt Saarlouis und baut in der Entwicklung in Köln ab, VW Zwickau ist bedroht, auch bei Mercedes, Audi, Opel, Conti und Bosch droht Arbeitsplatzvernichtung.

Bei dieser „Transformation“ nach Art der Konzerne ist für die Einhaltung der Klimaziele bisher nichts Nennenswertes herausgekommen: Die reine Umstellung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf elektrischen Antrieb erzeugt eine Lose-Lose-Situation: Greenwashing statt klimagerechter Mobilitätswende und Vernichtung von qualifizierten und tariflich bezahlten Arbeitsplätzen statt deren Erhalt und Nutzung für eben diese Mobilitätswende. Dies zeigt die Entwicklung bei Tesla in Grünheide (Brandenburg) sehr deutlich.

Der notwendige Umbau des Verkehrswesens hin zu öffentlichem Personenverkehr mit maximaler Reduzierung des Ausstoßes von CO² und der Reduzierung der Zahl der Autos steht nicht auf der Agenda der Autokonzerne. Ihnen geht es um die Rettung ihrer Profite – auf Kosten von Arbeitsplätzen und einer lebenswerten Zukunft.

Daher wäre es die Aufgabe der Gewerkschaften – insbesondere der IG Metall – international vernetzt und an der Seite der Klimabewegung, ein Programm zu entwickeln, welches der zu erwartenden Klimakatastrophe entgegentritt und gleichzeitig Beschäftigung, Einkommen und Qualifikationen durch Umstellung von Produktion und massive Investitionen in den Ausbau der klimagerechten Mobilität sichert.

Nötig ist ein anderes Verkehrssystem, das auf dem öffentlichen Verkehr basiert und verschiedene Verkehrsträger – Bahnen, Busse, Kleinbusse, Car-Sharing, Taxis, Fahrräder – integriert. Dies muss durch eine demokratische Verkehrsplanung ergänzt werden. Diese Umstellung erfordert die Ausweitung von Produktionskapazitäten, die Nutzung aller Talente und Qualifikationen der Beschäftigten. Es müssen mehr Busse, Bahnen und Fahrräder gebaut werden, es müssen attraktive Löhne und Arbeitsbedingungen für Fahrer*innen und technisches Personal im öffentlichen Verkehr geschaffen werden.

Vergesellschaften!

Heute arbeiten noch 550.000 Kolleg*innen in der Autoindustrie und rund 250.000 bei den Zulieferern. Wenn die Antriebswende im Interesse der Kapitalbesitzer*innen erfolgt, verbunden mit einem Kapazitätsabbau unter dem Druck der gewachsenen internationalen Konkurrenz, wird das zwischen 100.000 und 200.000 weiteren Arbeitsplätze kosten – ohne Nutzen für den Klimaschutz. Das für die Konzerne profitable System des motorisierten Individualverkehrs bestünde weiter, die notwendigen Investitionen in den öffentlichen Verkehr würden von diesen nicht geleistet.

Doch es gibt Alternativen: Für eine echte Mobilitätswende würden 200.000-300.000 zusätzliche Arbeitskräfte allein in der Produktion von Bussen und Bahnen gebraucht, plus 220.000 bei Bahn, ÖPNV und dem Umbau der Infrastruktur.

Würde dies mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden (bei vollem Lohnausgleich) verbunden, kämen weitere 85.000 Jobs allein in der Produktion dazu. Die Umstellung der Produktion auf komplette Nachhaltigkeit würde also nicht zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen, wenn diese demokratisch gesteuert wird – im Gegenteil. Wir brauchen alle Arbeiter*innen, Techniker*innen und Ingenieur*innen für die ökologische Wende!

Der Bedarf für umweltfreundliche Produktion und Produkte ist riesig, es geht darum, den Ausstoß von CO² in Deutschland zu halbieren. Es wird Zeit, sich von der Illusion zu verabschieden, die von den Konzernen durchgeführte „Transformation“ zum E-Antrieb könnte gewerkschaftlich begleitet und geprägt werden, mit dem Ergebnis, Arbeitsplätze zu erhalten und klimagerechter zu produzieren. Große Probleme erfordern große Lösungen. Die profitorientierten, privaten Konzerne sind weder zu umfassenden Lösungen in der Lage noch willens.

Im Antrag ist von notwendiger „Planungssicherheit“ die Rede. Doch solange in Privatbesitz befindliche Konzerne, die miteinander konkurrieren, bestimmen, was passiert, gibt es diese Sicherheit nicht. Wir brauchen allerdings tatsächlich einen umfassenden Plan für die Transformation von Verkehr und Mobilitätsindustrie. Auf Grundlage des §2 der Satzung der IG Metall müssen die Automobilkonzerne und weitere wichtige Bereiche der Industrie daher vergesellschaftet und unter die demokratische Kontrolle der Beschäftigten, des Staates, von Umweltverbänden und lokalen und regionalen Bürger*innenräten gestellt werden. Man kann nur kontrollieren, was einem auch gehört!

Arbeiter*innen- und Klimabewegung gemeinsam

Die IG Metall kann entscheidend dabei sein, die Beschäftigten, die Klimabewegung und Verkehrsinitiativen in einem Bündnis für einen klimagerechten Verkehr, öffentlich und demokratisch geplant, zusammenzubringen, mit der Maßgabe, alle tariflich bezahlten und qualifizierten Arbeitsplätze der heutigen Auto-Kolleg*innen zu erhalten.

Die in der Verbrenner-Produktion und den Zulieferern wegfallenden Arbeitsplätze sind koordiniert in klimafreundliche Industrien zu verlagern, ohne, dass Kolleg*innen auch nur zeitweise erwerbslos werden. Umschulungen und Weiterbildung müssen bei vollem tariflichen Entgelt stattfinden.

Statt einem Leitantrag ohne wirkliches Leitbild braucht die IG Metall eine breite Debatte über den klimagerechten Umbau der Autoindustrie und die dafür notwendige Vergesellschaftung derselben unter demokratischer Kontrolle und den Schulterschluss mit der Klimabewegung. Und am Ende auch wieder eine Vorstellung von einer nicht-kapitalistischen, sozialistisch-demokratischen Welt.