Die AfD im Aufwind. 67% in Bayern wählen rechts von der FDP. Die aus der Arbeiter*innenbewegung hervorgegangenen Parteien SPD und LINKE kommen in Bayern zusammen auf 10%. Die erfolgreichste Partei “links der Mitte” sind die Grünen, ausgerechnet diese zynischen Fans der Rüstungsindustrie mit gut situierten Wähler*innen, die Politik gegen Gering- und Durchschnittsverdiener*innen machen. Doch Jammern hilft nicht, es gilt, zu verstehen und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Von Sebastian Rave, Bremen, und Claus Ludwig, Köln
Die Kampagne der bürgerlichen Medien für eine Änderung der Migrationspolitik mit BILD an der vordersten Front wirkt. Dieses Mal ist es besonders scheinheilig. Der Großteil der Geflüchteten sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen (über 1 Million) und müssen kein Asyl beantragen. Um die geht es aber in der Debatte nicht. Hochrangige Politiker*innen überbieten sich in der Panikmache über steigende Asylanträge. Tatsächlich ist deren Anstieg gering, bis Ende September waren es 251.000 Anträge, 2022 insgesamt 244.000. Die Vorbereitung bezüglich Unterbringung und Versorgung wäre problemlos zu schaffen, wenn etwas mehr Geld für Verwaltung und öffentlichen Wohnungsbau in die Hand genommen würde. Wer Ideen braucht, wo das herkommen soll: Die Vermögen vieler Milliardäre in Deutschland steigen trotz Krieg, Energiekrise und Zinsen.
Es scheint, als würde die Panikmache an zwei Punkten anknüpfen: Erstens an der sich entwickelnden Erkenntnis, dass dieses kaputte globale System in der Zukunft erheblichunvergleich größere Zahlen in die Flucht treiben wird, allein durch die Klimakatastrophe und mehr Kriege. Die Ablehnung der Geflüchteten wäre demnach ein Versuch, jetzt schon das Grenzregime für die Probleme von morgen aufzurüsten. Zweitens trauen sich viele möglicherweise nicht, zu sagen, dass “zu viele Ukrainer*innen” hier sind, weil sie damit im öffentlichen Diskurs anecken könnten. Sie switchen einfach auf die – noch nicht anwesenden – Asylantragssteller*innen aus dem Rest der Welt, deren angeblich zu hohe Zahl es durch das Schleifen der letzten Reste des Asylrechts zu verringern gelte.
Die Krise der LINKEN führt dazu, dass es zur rechten Hetze aus der politischen Mitte kaum Gegenstimmen gibt. Sahra Wagenknecht, die selbst einen national-sozialdemokratischen Kurs fährt, spaltet die Partei, wenn sie am dringendsten gebraucht wird. Wagenknecht betreibt schon seit 2017 von links kommend den rechte Kulturkampf zur “Begrenzung der Zuwanderung” mit und verschafft damit den Rechten eine größere Legitimität.
Krise der Linken
Der Niedergang der LINKEN hat verheerende Folgen, auch über die Partei hinaus. Unzufriedenheit mit den Regierenden, Frustration und Verunsicherung drücken sich aktuell nur nach rechts aus. In Bayern fällt die LINKE mit 1,5% in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit, in ihrer Hochburg Hessen wird sie auf 3,1% rasiert.
Die LINKE hat diese Krise selbst verursacht. Wagenknecht ist eine Seite der Medaille. Die andere, gravierendere, ist der Anpassungskurs der Mehrheit der Partei an die etablierten Parteien. Die LINKE wird nicht als Opposition gesehen, vor allem nicht im Osten, sondern als Teils des Establishments. In den Landesregierungen unterscheidet sich ihre Politik nicht von SPD, Grünen und kaum von der CDU. In Bremen hat die Gesundheitssenatorin der LINKEN die Schließung eines der öffentlichen Krankenhäuser beschlossen. Kommunal kandidiert sie oft mit anderen Parteien, “um die AfD zu verhindern”. Die Partei trabt in allen Belangen den Bürgerlichen hinterher, oft auf eine peinliche, anwanzende Art. Nach den grausamen Aktionen der islamistischen Hamas rief auch die mitregierende LINKE in Bremen “We stand with Israel”, ohne die Bombenangriffe auf Gaza und die Besatzung zu thematisieren. Im Bundestag stimmte die LINKE für den fraktionsübergreifenden Antrag von Ampel und CDU, der bedingungslose Solidarität mit Israel erklärte, das Recht auf “Selbstverteidigung” zubilligte und die Regierung aufforderte, alle – also auch militärischen – Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Anschließend feierte sich die Linksfraktion dafür, dass sie keine Kritik an der Bundesregierung hat, die fest an der Seite des Staates steht, der ein grausames Massaker an Zivilist*innen als Rechtfertigung nutzt, selbst ein grausames Massaker an Zivilist*innen zu begehen. Doch niemand braucht noch eine weitere Schoßhundpartei von Staat und Kapital.
Manche Prozesse kann auch die Führung der LINKEN nicht beeinflussen. In diesem Zeitalter der Unordnung eskalieren die Konflikte zwischen den Staaten. Kriege wie in der Ukraine oder in Nahost sind politische Niederlagen für die Arbeiter*innenklasse, weil sie die Perspektive der Solidarität über Grenzen hinweg in den Hintergrund drängen. Alle reden über Nation und Staat und nicht über Klassenzugehörigkeit. Im politischen Diskurs wird der Druck stärker, sich zu einer nationalen oder religiösen Seite zu bekennen. Heute Russland oder Ukraine, Israel oder Palästina, morgen China oder Taiwan (samt USA). Das führt dazu, dass die politische Dimension gewerkschaftlicher und sozialer Kämpfe in den Hintergrund rückt.
Die Eskalation der Klimakrise führte 2019 gerade in Deutschland zu einer Massenbewegung. Doch die Appelle an die Herrschenden, endlich auf die Wissenschaft zu hören, nutzen bisher wenig. Das Kapital und seine Ampel-Regierung blockieren weiterhin den Klimaschutz und schützen Autoindustrie und Energiekonzerne. Die Folgen der Klimakatastrophe werden deutlich sichtbar: Rekordtemperaturen, Extremwetterereignisse und ihre Folgen: Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände, zunehmende Nahrungsmittelunsicherheit. Da es mit dem Klimaschutz nicht weitergeht, scheint für einen Teil der Bevölkerung das Leugnen oder Ignorieren eine Alternative, ideologisch befeuert von FDP, Union und AfD – ganz im Dienste der Großindustrie, die weiter CO2 in die Atmosphäre blasen darf. Dank medialer Hilfe gelang es, dieses Leugnen in einen weitverbreiteten Hass auf die Aktiven der Letzten Generation zu lenken.
Aktuell wäre es für jede linke Partei schwierig, auch wenn diese konsequent kämpferisch auftreten und eine klare sozialistische Linie zu Krieg, Klima und Migration hätte. Doch eine solche Partei hätte beim Schwimmen gegen den Strom inhaltliche Verteidigungslinien verteidigen können. Das würde aktuell vielleicht nicht für Wahlerfolge reichen, würde aber die Basis dafür sein, die Partei als aktive Kraft aufbauen zu können und zukünftig auch bei Wahlen wieder erfolgreich sein zu können.
Die real existierende Partei DIE LINKE schafft nichts davon: Statt kämpferisch gegen den Strom zu schwimmen, schwankt sie dazwischen, sich begeistert mitreißen zu lassen oder leblos im Wasser zu treiben. Statt eine klare Haltung zu zeigen, fällt sie durch Uneinigkeit auf – und keine der zerstrittenen Lager kann überzeugen. Statt wenigstens auf der Straße Präsenz zu zeigen oder in den Stadtteilen Strukturen aufzubauen, verstrickt sie sich in parlamentarischer Fixierung. Eine solche schwammige Partei wird in der Krise ausgequetscht und zerrissen.
Aufstieg der AfD
Noch vor einigen Jahren bestand die AfD-Wähler*innenschaft aus einem Kern wütender Kleinbürger*innen, älteren Schichten von konservativen und von der modernisierten Merkel-CDU enttäuschten Arbeitnehmer*innen sowie den 1-3% faschistischem Bodensatz. Heute ist die AfD breiter aufgestellt. Die Analysen zeigen, dass die AfD von allen Parteien Wähler*innen gewinnt, auch von SPD und LINKEN. Die Rechtspopulist*innen haben eine eher überdurchschnittliche Unterstützung bei Arbeiter*innen und insgesamt bei arbeitenden Menschen. Bei Rentner*innen hat die AfD weniger Unterstützung, am stärksten ist sie bei männlichen Beschäftigten zwischen 40 und 55 Jahren, in der “Mitte der Gesellschaft”. Sie hat auch eine Basis in Teilen der Jugend, die sich deutlich polarisiert. Noch immer sind – fehlgeleiteter – Protest und der Wunsch, der Regierung einen Denkzettel zu verpassen, Motive für die Wahl der AfD. Viele wählen die AfD mittlerweile allerdings aus Überzeugung, die aus einer ideologischen Zustimmung zum rechten Kulturkampf gegen “Gender-Gaga”, “Klimakleber” und Migration resultiert.
Die Rechtsentwicklung stärkt auch die Faschist*innen in der AfD, und ihre Erfolge ermutigen wiederum Nazis bei der Ausübung von Gewalttaten. Die etablierten bürgerlichen Parteien verschieben ihre Politik weiter nach rechts, beginnen, die Rechtspopulist*innen als Bündnispartner*innen zu akzeptieren. Es gibt schon jetzt 60 dokumentierte Fälle von Zusammenarbeit der CDU mit der AfD, Thüringen ist nur das erste Bundesland, in dem die AfD mit ins Boot geholt wurde, um eine Mehrheit zu erlangen. Diese Einbeziehung der Rechten in das Regieren verschiebt die Politik insgesamt nach rechts. Parolen werden zu praktischer Politik. Der Staatsapparat wird stärker mit Rechten durchsetzt. Auch wenn alles zunächst im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus verbleibt und damit unter der Kontrolle des Kapitals, ist das eine konkrete Gefahr für das Leben von Migrant*innen und Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten.
Faschismus?
Die herrschende Klasse hat es in der jetzigen Phase nicht nötig, zu einer offenen Diktatur oder sogar zu faschistischen Herrschaftsmethoden überzugehen, weil ihre Herrschaft nicht bedroht ist. Die Nazi-Schläger bleiben zeitweise eingesetzte Hilfstruppen zur Einschüchterung von Linken und Migrant*innen. Zu viel Macht für die Rechtsextremen würde zudem eher destabilisierend wirken und schlecht fürs Geschäft sein. Wir sehen dies in den weiter fortgeschrittenen rechten Bewegungen in Österreich oder Italien. Ministerpräsidentin Meloni kommt aus einer lupenreinen faschistischen Tradition, ihre Regierungspolitik ist jedoch nicht faschistisch, sondern autoritär und rassistisch wie in anderen EU-Ländern, ohne aber die bürgerliche Ordnung infrage zu stellen. Aber auch ohne vollständige faschistische Machtergreifung ist der Rechtsruck eine gefährliche Entwicklung: Demokratische Rechte werden weiter ausgehöhlt, die Militarisierung der Gesellschaft nimmt zu, der Diskurs wird antifeministischer und queerfeindlicher. Gewerkschaftliche Rechte werden ebenso angegriffen wie Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialleistungen. Mit der Krise wird der Wind rauher, und der Autoritarismus erhebt sein hässliches Haupt.
Was tun?
Linke und Gewerkschafter*innen müssen dagegen halten und die Rechte von Minderheiten verteidigen, auch, um die nötige Einheit der Arbeiter*innenbewegung zu ermöglichen. Dabei sollte aus der tragischen Entwicklung der LINKEN gelernt werden: Die einseitige Orientierung aufs Parlament, auf Pöstchen und aufs Mitregieren ist Gift. Opposition kann auch im Parlament ausgedrückt werden, aber nur wenn sie grundlegende Opposition bleibt und Protest gegen die Verhältnisse artikuliert: Gegen die wachsende Ungleichheit im Kapitalismus, gegen die Verelendung, gegen Militarisierung, aber auch gegen die politisch Verantwortlichen.
Eine Kraft, die die Rechten herausfordert, muss auch das Establishment herausfordern, das den Aufstieg der Rechten erst ermöglicht hat. Auf keinen Fall darf der Fehler gemacht werden, auf Kritik an bürgerlichen Parteien oder Politiker*innen zu verzichten, um vermeintlich “breitere” Bündnisse gegen Rechts zu schließen. Das würde das Narrativ der Rechten als “einzige Kraft gegen das Establishment” nur stärken – und die Gegenbewegung schwächen. Wirkliche Verbesserungen wie echter Klimaschutz, eine bessere Ausstattung des Bildungs- und Gesundheitswesens, höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten können wir nur im Kampf gegen die bürgerlichen Parteien erreichen, egal ob diese SPD oder AfD heißen. Gewerkschaften und Linke müssen jetzt über die Bildung einer Front gegen Rechts mit einer solchen programmatischen Orientierung auf den Kampf um soziale Verbesserungen diskutieren. Nur so kann den Rechten das Wasser abgegraben werden: In dem die Verhältnisse, die sie aktuell nach oben spülen, angegriffen werden.