Solidarität gegen Rechtsruck!

Die Ampel verschärft mit der EU das Asylrecht, Oppositionspolitiker*innen behaupten, Geflüchtete wären in Deutschland „um sich die Zähne machen zu lassen“. Die AfD freut sich und erstarkt weiter. Woher kommt der Rechtsruck, und was könnte dagegen helfen?

Von Jan Hagel, Hamburg

Die EU hat mit Unterstützung der Bundesregierung die Krisenverordnung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen. GEAS, auch bekannt als „europäische Asylrechtsreform“, bedeutet die Inhaftierung eines Großteils der in der EU ankommenden Geflüchteten in Lagern an den Außengrenzen, während in Schnellverfahren ohne Rechtsbeistand darüber entschieden wird, ob sie einen regulären Asylantrag stellen dürfen.

Offiziell sollten die Betroffenen zwölf Wochen lang eingesperrt und dann im Regelfall abgeschoben werden, mit der Krisenverordnung kann aber die Haftdauer verlängert werden. Außerdem wird ein Zeitfenster von vier Wochen nach Ankunft eingebaut, in dem EU-Mitgliedsstaaten Geflüchtete noch nicht offiziell registrieren müssen. Das soll den Behörden die Gelegenheit geben, noch nicht registrierte Menschen einfach verschwinden zu lassen, indem man sie zum Beispiel auf die andere Seite eines Grenzzauns fährt und dort aussetzt – eine Land-Variante der Mittelmeer-Pushbacks.

Tödliche Abschreckungspolitik

Anlässe für den Einsatz der Krisenverordnung sollen Überlastung des Asyl- und Abschiebesystems eines Mitgliedsstaats, „höhere Gewalt“ oder „Instrumentalisierung von Migrant*innen“ sein. Die Idee der „Instrumentalisierung“ hat eine doppelte politische Funktion: Einerseits soll sie Migrant*innen entmenschlichen und grundsätzlich als Gefahr, als potenzielle „Waffe“ Russlands und Chinas im neuen kalten Krieg darstellen, andererseits will die italienische Rechtsregierung sie zur weiteren Bekämpfung und Kriminalisierung der Seenotrettung im Mittelmeer nutzen.

Die Behauptung von der Belastung wird durch dramatische Bilder von der italienischen Insel Lampedusa unterstrichen. Allerdings werden dieses Jahr in Deutschland mit ca. 250.000 Asylanträgen nur wenige mehr gestellt werden als 2022. Seit 2020 steigen die Zahlen wieder an, Bund, Länder und Kommunen hätten planen können. Die “Überlastung” entsteht, weil der Staat unwillig und unfähig ist, Wohnungen, Schulen und Kitas zur Verfügung zu stellen – und zwar sowohl in Jahren mit mehr Geflüchteten als auch in Jahren mit weniger. Wann war die Lage am Wohnungsmarkt und an den Schulen zuletzt “normal”? Nicht einmal im Jahr 2011, als es nur 54.000 Asylanträge gab.

Die Ampel stellt sich als besonders human dar, weil sie ausgehandelt habe, dass die Verfahren von Familien mit Kindern in den Haftlagern priorisiert werden. Ihre grundsätzliche Ablehnung der Inhaftierung von Kindern haben Baerbock und die Grünen damit aufgegeben. Die Behauptung von Nancy Faesers Innenministerium, es käme „nicht zu einer Herabsetzung von humanitären Standards bei der Aufnahme“ ist lächerlich. Denn um nichts anderes geht es bei GEAS.

Die Reform dient zur maximalen Abschreckung: Die Aussicht auf Haft unter möglichst schlechten Bedingungen, wie sie aus griechischen Lagern wie Moria bekannt ist und ein mit mehr Pushbacks und ohne Seenotrettung noch tödlicheres Mittelmeer soll Menschen in Kriegsgebieten und verarmten neokolonialen Ländern von Fluchtversuchen abhalten. Aber auch wenn es noch mehr Tote gibt, noch mehr Fälle wie den des nach einem Pushback vor Griechenland gesunkenen Schiffes mit ca. 600 Toten im Juni, werden Menschen weiterhin versuchen, nach Europa zu kommen. Sie folgen damit der Spur der billig exportierten Rohstoffe, der importierten Kriegswaffen und der kolonialen und postkolonialen Ausbeutung.

Fluchtursachen

Diesen gefährlichen Weg nimmt man natürlich nicht in Kauf, um Deutschen die Zahnarzttermine wegzunehmen, sondern weil man das von Krieg, völliger Perspektivlosigkeit oder im Zuge des Klimawandels vermehrten Natur- und Hungerkatastrophen geprägte Leben in den Herkunftsländern nicht mehr erträgt. Daran würde auch der Vorschlag von Merz’ CDU, Geflüchteten statt Sozialleistungen nur noch Essensgutscheine zu geben nichts ändern.

Sahra Wagenknecht gibt sich in dieser Frage rassistisch-konsequenter: Sie will alle staatlichen Leistungen für Geflüchtete abschaffen, deren Asylverfahren noch läuft oder die nicht zu der Minderheit gehören, die formelles Asyl bekommt. Ihre Begründung: „[e]in Land, wo man nicht Anspruch auf Leistungen hat, ist natürlich auch kein Zielland für Migration“.

Real würden durch Wagenknechts Idee mehrere Millionen Menschen in Deutschland mittellos, denn die Mehrheit aller Asylverfahren führt weder zum Asyl noch zur Abschiebung, sondern zu einem anderen Aufenthaltsstatus oder einem jahrelangen Schwebezustand, der oft mit einem Arbeitsverbot verbunden ist.

Durch Ausschluss von Sozialleistungen und diskriminierende Gesetze würde man sie nicht aus dem Land ekeln, sondern sie in die Obdachlosigkeit treiben, in informelle Jobs, in denen sie steuerfrei und rechtlos ausgebeutet werden können und in die Kriminalität.

Sündenbock für soziale Missstände

Die aktuelle Eskalation der rassistischen Debatte, in der sich Politiker*innen mit Gesetzesverschärfungen und Vorschlägen überbieten ist nicht aus dem Nichts entstanden und auch keine reine Anpassung der bürgerlichen Parteien an die AfD. Sie ist Ausdruck des Bedürfnisses der bürgerlichen Parteien und der Kapitalist*innen nach einem Sündenbock für hohe Mieten, überlastete Lehrkräfte und die Krise des Gesundheitssystems. Seit 2015 (und bereits davor) erleben wir eine systematische Berichterstattung der bürgerlichen Medien, die unter dem Schlagwort „Flüchtlingskrise“ Geflüchtete als über Europa hereinbrechende Naturkatastrophe darstellt, die das Sozial- und Bildungssystem gefährde und den Wohnungsmarkt überlaste. 

„Zu viele Kinder, die kein Deutsch sprechen“ sind aus Sicht der Bildungsministerien natürlich eine viel bessere Begründung für Probleme in den Schulen als die eigene jahrzehntelange Kürzungspolitik. Natürlich ist die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache eine reale Aufgabe, für die Ressourcen gebraucht werden, aber in einem besser finanzierten und ausgestatteten Bildungssystem wäre das machbar.

Wenn man Geflüchtete für hohe Mieten verantwortlich macht, lenkt man von der Rolle der Immobilienkonzerne ab, die die Mieten erhöhen um Profit für ihre Aktionär*innen zu erzeugen. Forderungen nach geschlossenen Grenzen und Abschiebungen sind den Herrschenden natürlich viel lieber als nach Enteignung der Konzerne. Damit wird auch davon abgelenkt, dass der soziale Wohnungsbau in den 1990er-Jahren unter Kohl und Schröder weitgehend abgeschafft wurde. Seitdem ist die Zahl der Sozialwohnungen von 4 auf rund 1 Million gesunken und schrumpft jedes Jahr weiter. Die Wohnungsnot ist ein Produkt des Kapitalismus, nicht der Migration.

AfD profitiert von der Debatte

Zudem ist der Rechtsruck der gesamten bürgerlichen Politik Teil der Aufrüstung nach innen und außen im Rahmen des neuen kalten Krieges. In der in Deutschland und Nordeuropa aktuell vorherrschenden Logik sieht das so aus: Der äußere Feind (Russland und China) fördere den Rechtspopulismus im Westen. Um die Bevölkerung hier davon abzuhalten, die Rechten zu wählen und damit EU und NATO geostrategisch zu schwächen, müsse man selbst flüchtlingsfeindliche  Politik machen und den rechten Parteien durch mehr oder weniger weitgehende Umsetzung ihrer Forderungen den Wind aus den Segeln nehmen.

Aber trotz GEAS und Merz’ rassistischer Rhetorik wird die AfD nicht schwächer. Durch die Übernahme ihrer Positionen in den Mainstream fühlen sich ihre Anhänger*innen bestätigt. Dass schon ihre bloße Existenz den Diskurs nach rechts verschiebt und konkrete Folgen für Geflüchtete hat, ist für die Partei ein Erfolg. Gleichzeitig wächst die Gefahr, dass der offen faschistische Teil der AfD und andere Nazis versuchen, die rassistische Entwicklung durch Gewalt zu beschleunigen – ähnlich wie 1992, als die Kampagne der CDU, das Asylrecht zu schleifen und das Umfallen der SPD, den rechten Mob zu Brandanschlägen wie in Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen ermutigte.

Die DGB-Gewerkschaften stellen sich in Reden, zum Beispiel auf dem ver.di-Bundeskongress, gegen Rassismus. Es ist klar, dass sie Kolleg*innen jeder Herkunft gemeinsam organisieren und dass im Betrieb der Interessengegensatz nicht zwischen „deutschen“ und „migrantischen“ Kolleg*innen verläuft, sondern zwischen Chefs und Arbeiter*innen. Gleichzeitig wurde auf dem Kongress aber die Nähe zur Bundesregierung und besonders zur SPD zelebriert. Die Gewerkschaften müssten sich politisch klar abgrenzen und Investitionen in Wohnungsbau, Bildung und Gesundheit fordern.

Die LINKE ist die einzige relevante Partei, die sich dem Rechtsruck entgegenstellen kann. Sie muss eine Alternative anbieten und klar machen, dass nicht die Geflüchteten für Wohnungsnot, Krankenhauskollaps und Bildungskrise verantwortlich sind, sondern die prokapitalistischen Parteien. Mit Forderungen nach Wohnungsbau und Enteignung der Immobilienkonzerne, für die Verteidigung der Krankenhäuser gegen Lauterbachs Kahlschlagspläne und für mehr Ressourcen für die Bildung müsste sie aufzeigen, dass ein gutes Leben für alle möglich wäre, wenn der Kapitalismus überwunden wird und Politik und Wirtschaft nicht mehr der Erzeugung und Sicherung von Profiten dienen, sondern zur Erfüllung der Bedürfnisse aller. Das wird allerdings durch die Politik der eigenen Minister*innen und Senator*innen in Thüringen und Bremen und durch Wagenknechts endlosen Eiertanz um ihren Parteiaustritt nicht einfacher.

Solidarität mit Geflüchteten:
  • Keine Festung Europa – keine Lager an den EU-Außengrenzen
  • Schluss mit den „Anti-Migrations-Abkommen“ der EU mit der Türkei, Tunesien und anderen Regimen
  • Ausbau der Seenotrettung im Mittelmeer statt massenhaftes Ertrinkenlassen
  • Für sichere und legale Einreisemöglichkeiten nach Europa
  • Uneingeschränkte Wiederherstellung des Rechts auf Asyl
Fluchtursachen bekämpfen:
  • Wirksame Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe
  • Waffenexporte und militärische Einmischung stoppen
  • Schluss mit der Ausbeutung von Rohstoffen durch Konzerne aus imperialistischen Ländern
Wohnen, Bildung und Gesundheit für alle:
  • Investitionen in Wohnungsbau und Bildung statt in Aufrüstung
  • Konzerne und Reiche besteuern
  • Erhalt und Ausbau der medizinischen und therapeutischen Versorgung in der Fläche
  • Enteignung der Immobilien- und Krankenhauskonzerne

Foto: Rasandetyskar, 2018