Der aus Kassel stammende Student Yousef Shaban ist am 24. Oktober zusammen mit vielen Angehörigen seiner Familie bei einem israelischen Bombenangriff getötet worden. Der Elektrotechnik-Student war zu Besuch in Gaza, um seine Frau und Kinder zu sich zu holen. Freund*innen haben am 2.11. eine Trauerfeier auf dem Unigelände abgehalten, die zunächst von der Uni-Präsidentin Ute Clement genehmigt worden war. Dann brach Clement die Kundgebung ab. Sie unterstrich ihre Macht durch die Anwesenheit behelmter und voll ausgerüsteter Polizist*innen.
Präsidentin Clement lief zuvor aufgescheucht herum, sagte immer wieder, sie sei entsetzt, aber sie hörte nicht zu, was die Studierenden ihrer Hochschule zu sagen hatten. Dann riss sie das Mikro an sich und behauptete, es hätte Holocaust-Vergleiche und Gewaltaufrufe gegeben. Die gab es zu keinem Zeitpunkt. Stattdessen hatten Studierende die Uni als einen autoritären Raum entlarvt, der offene Diskussionen verbietet.
Die Uni-Leitung schrieb laut Hessenschau, ihr “Vertrauen sei missbraucht“ worden, es sei eine Trauerfeier genehmigt worden, aber keine politische Kundgebung, man hätte sich nicht an die “Auflagen” gehalten. Die Freund*innen von Yousef hatten es tatsächlich gewagt, zu erzählen, wer ihn getötet hatte und wie das mit der Geschichte von Besatzung und Unterdrückung zusammenhängt. Viel “Vertrauen” kann Clement nicht gehabt haben, denn die Polizei war von Beginn der Veranstaltung auf dem Uni-Gelände.
Demokratiefreier Raum Uni?
Die Menschen, die ihn kannten, die Menschen, die schockiert, traurig und wütend sind, wollten um ihn trauern, sich äußern, den politischen Raum der Uni vor der Mensa nutzen. Andere Studierende kamen hinzu und solidarisierten sich. Es war den Versammelten von der Uni-Leitung verboten worden, eine Palästina-Fahne dabei zu haben, während wenige Tage zuvor noch ein Infotisch mit Israel-Flagge stattfinden durfte, bei dem die Nakba – die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser*innen 1948 – geleugnet wurde.
Es ist ein Angriff auf demokratische Rechte, dass sich uniformierte Polizei auf dem Uni-Gelände aufhält. Es ist anmaßend und bizarr, dass die Leitung einer Institution, in der geforscht, gelehrt und debattiert wird, trauernden Studierenden vorschreibt, worüber sie reden dürfen. Wie kann es bei so einem furchtbaren Tod überhaupt eine Auflage geben, dass dieser nicht in den politischen Kontext gesetzt wird? Natürlich werden linke und pro-palästinensische Gruppen sich äußern. Friedlich, wütend, traurig mit sehr gut durchdachten, streitbaren Positionen, die man nicht alle teilen, die man aber diskutieren können muss. Öffentlich, auch und gerade an der Uni mit einem postkolonialen Lehrstuhl.
Gerade internationale Studierende fühlten sich durch die Auflagen und den Abbruch kriminalisiert. In Redebeiträgen zeigten sie sich empört über die Auflagen und das Vorgehen der Hochschulleitung einer Universität, die bundesweit als besonders gesellschaftskritisch gilt. Einige planen einen Protestbrief zu verfassen. Auch einige Kolleg*innen, die an der Hochschule unterrichten und das Vorgehen beobachteten, zeigten sich schockiert.
Ein Student kommentierte: “Was ist das für eine Uni, an der ich kritisch denken lerne, über Kolonialismus und Rassismus, und dann meine Meinung nicht äußern darf?” Noch Anfang Oktober fand an der Uni Kassel eine Konferenz zu Racial Capitalism statt. Wäre sie heute auch verboten worden? Würde es jetzt nach der autoritären Zeitenwende, nachdem der Israel-Palästina-Konflikt gegen jede linke Bewegung ins Feld geführt wird, noch eine herrschaftskritische Konferenz (Herr*Krit) geben? Linke Studierende, die aus vielen Ländern wegen ihres offenen und kritischen Profils an die Uni Kassel kommen, trauen sich nicht, sich öffentlich zu äußern, ihre Position zum Konflikt zu beziehen, weil sie Angst haben, kriminalisiert, exmatrikuliert, abgeschoben zu werden. Die Palästina-Fahne ist ein verbotenes Symbol auf dem Uni-Gelände. Wurde nicht immer von einer Zwei-Staaten-Lösung geredet? Wird das jetzt auch im gewaltvollen Schweigen erstickt?
Kein Schweigen zum Massaker
Den Anschlag auf Halle hat ein Deutscher begangen. Nazi-Aufmärsche werden nicht halb so kriminalisiert wie die berechtigte Trauer und Wut von Menschen, die gerade ihre Freund*innen und Verwandte in Gaza verlieren. Zugleich werden Jüd*innen zur Zielscheibe der Wut und sind ebenfalls von Gewalt betroffen. Die Verschiebung des Antisemitismus-Vorwurfs auf arabische Menschen und alle, die Israel kritisieren, ist eine Verharmlosung und Entlastung der echten Antisemit*innen, der deutschen Faschist*innen.
Die Uni-Leitung hat kein Recht, sich darüber zu beschweren, dass politische Reden gehalten wurden. Der Tod von Yousef ist politisch. Er ist das Ergebnis von Jahrzehnten Besatzung und Belagerung Gazas, von einer Eskalation im Westjordanland in diesem Jahr, welche die rechtsextreme israelische Regierung und ihre kritiklosen Unterstützer*innen in der Bundes- und der US-Regierung zu verantworten haben. Die Leitung der Uni Kassel reiht sich in ein in die antidemokratische Front derjenigen, die vollständige Treue zum israelischen Staat und Militär verlangen, auch wenn der Bombenkrieg gegen Gaza schon jetzt 9000 Tote, Zehntausende Verletzte, über 100.000 zerstörte Wohnungen und die Vertreibung von Hunderttausenden zur Folge hat. Die Lenksysteme der Bomben, die gerade auf Gaza fallen, werden in u.a. Deutschland hergestellt. Dazu wird auch an Universitäten geforscht. Die Zivilklausel wird übrigens gerade abgeschafft, auch an der Uni Kassel.
Die SAV Kassel solidarisiert sich mit den Menschen, die um Yousef und seine Familie trauern und spricht ihnen ihr tiefes Beileid aus. Sie solidarisiert sich mit allen Menschen, die in dem Konflikt auf beiden Seiten des Zauns Angehörige verloren haben. Sie fordert die Universität auf, Räume für Diskussionen über den Israel-Palästina-Krieg zu schaffen, jenseits von Vorverurteilungen und Kriminalisierung insbesondere pro-palästinensischer Positionen.