Nein zur Vergeltung!
Innerhalb von 3 Wochen wurden 8306 Palästinenser*innen durch Israels Staatsterrorismus in Gaza getötet, davon 3457 Kinder und 2136 Frauen [Stand vom 30. Oktober, mittlerweile sind es 9770 Tote, davon 4008 Kinder]. Ganze Familien wurden ausgelöscht – wie die des Journalisten Ahmed Alnaouq, der seine ganze Familie, 20 Menschen, in einer Bombennacht verloren hat. Millionen Menschen sind auf der Flucht, zehntausende haben ihre Häuser verloren. Wir erklären ihnen – und allen anderen Angehörigen von Opfern von Krieg, Terror und Staatsterror – unsere Solidarität.
Ben Jungster, Hamburg
Die rechtsextreme Regierung Netanjahus hat auch vor dem 7. Oktober schon die Besatzung und die Siedlungspolitik verschärft. Das Jahr 2023 war schon vor dem Krieg das tödlichste Jahr für Palästinenser*innen seit 2004. Wir sind solidarisch mit den Betroffenen aus allen Communities auf beiden Seiten des Zauns. Tausende leben in Angst, haben ihr Haus verloren, sind verletzt worden und haben Angehörige verloren.
Im Angriff mit terroristischen Methoden von Hamas auf Ortschaften und ein Festival neben der Sperranlage zu Gaza wurden über 1000 getötet und 200 nach Gaza entführt – davon viele Zivilist*innen. Dies und das wahllose Schießen von Raketen auf Zivilist*innen sind zu verurteilen. Die Racheaktion, die der israelische Staat in Gaza durchführt, wird keine Sicherheit für jüdische Israelis bringen.
Die Bodenoffensive und die begleitenden Bombardements beschleunigen die blutige Dynamik. Weder den zivilen Opfern des Angriffs der Hamas noch ihren Geiseln wird dadurch geholfen. Der Vergeltungskrieg wird auch keine Sicherheit für die Menschen in Israel bringen. Er könnte aber zur Entwicklung eines regionalen Kriegs, eines Flächenbrands beitragen. Schon jetzt gibt es Gefechte zwischen israelischer Armee und Hisbollah an der Grenze Libanon-Israel. Die Israelische Luftwaffe hat die syrischen Flughäfen Damaskus und Aleppo bombardiert. Das iranische Regime als rivalisierende Regionalmacht droht mit einer Militär-Intervention, auch, um von der anhaltenden innenpolitischen Krise seit der „Frau, Leben, Freiheit“-Rebellion abzulenken – Luftschläge auf den Iran durch den israelischen Staat könnten zu weiterer Eskalation führen. Eine militärische Intervention Irans kann aber auch zu einem Wiederaufflammen der Proteste gegen das Mullah-Regime führen.
Potenzial für weitere Eskalation
Diese Eskalation findet statt im Kontext steigender Spannungen zwischen dem Block um die USA und NATO-Verbündete, und dem Block um China und Russland. „Der Westen“, die USA, Deutschland, die EU, erklären ihre „Solidarität mit Israel“. Scholz proklamierte „die Sicherheit Israels ist Staatsräson“, redete verschämt von humanitärer Hilfe, hinterfragte aber die Bombardierung von Zivilist*innen nicht. Im März hatten er und Netanjahu noch den Ausbau der Rüstungskooperation vereinbart.
Die USA schicken 2 Flugzeugträger und eine ganze Flotte Kriegsschiffe, um ihre Ansprüche zu untermauern, stehen aber vor dem Scherbenhaufen des von ihnen orchestrierten „Normalisierungsprozesses“ zwischen Israel und den US-Verbündeten Nachbarn, und sorgen sich um den vollständigen Zusammenbruch ihres Einfluss im Nahost, wenn es durch eine anhaltende Bodenoffensive zu einem regionalen Krieg kommt. Das chinesische Regime hofft darauf, in der Krise seinen Einfluss in der geostrategisch wichtigen Region auszubauen. Russland setzt darauf, dass die Eskalation von seinem Krieg gegen die Ukraine ablenkt, und bringt Resolutionen gegen die Bombardierung von Zivilist*innen im UN-Sicherheitsrat ein, während er selbst Zivilist*innen bombardiert.
Internationale Solidaritätsdemos
Während die Großmächte ihre Kräfte im globalen Machtkampf mobilisieren, mobilisieren die einfachen und arbeitenden Menschen ihre Kräfte gegen den Krieg: Weltweit brechen Massenproteste gegen die israelische Aggression in Gaza und Westjordanland und Unterdrückung der Palästinenser*innen aus. Hunderttausende gehen im Nahen Osten, aber auch in den USA, Britannien, Frankreich und Deutschland auf die Straße. Die Repression und die Dämonisierung der Proteste ist in Deutschland besonders schlimm, wo Solidaritätsbekundungen mit Verboten belangt werden und deutsche Politiker*innen mit Abschiebungen drohen. Auch linke Demonstrationen, die sich eindeutig gegen die Hamas äußern, werden als „antisemitisch“ oder „Hamas-Unterstützer*in“ beschimpft. Diese Angriffe von Regierung, Polizei und Justiz sind eine Bedrohung für demokratische Rechte.
Gleichzeitig sehen wir einen gefährlichen Anstieg nationalistischer, islamfeindlicher und antisemitischer Taten: Der versuchte Brandanschlag gegen die Synagoge in Berlin, rassistische Angriffe von bürgerlichen Politiker*innen auf muslimische Menschen in Deutschland, die Ermordung eines 6-jährigen palästinensischen Kindes in den USA, die antisemitischen Pogrome in Dagestan, massenhafte Angriffe von israelischen Rechtsextremen auf Palästinenser*innen mit dem Ruf „Tod den Arabern“ sind nur wenige Beispiele.
Instabile Regierung
Kriegsgegner*innen werden vom israelischen Staat angegriffen. Im Westjordanland schießt das Militär auf Proteste. In den meisten Medien herrscht ein Trommelfeuer von kriegerischer Propaganda. Studienplätze und Jobs von denen, die sich der chauvinistischen Welle entgegenstellen, sind bedroht. Der Polizeichef Ya’akov Schabtai sagte: „Wer sich mit Gaza identifizieren will stecke ich in einen Bus nach Gaza“ und gab den Befehl, Antikriegsdemonstrationen zu unterdrücken. Rechtsextreme Hetzer*innen haben sogar Mahnwachen und Familienmitglieder von Geiseln angegriffen und sie als „linke Verräter“ bezeichnet. Angesichts ständiger Angriffe und Bedrohungen ist eine breitere israelische Anti-Kriegs-Bewegung zur Zeit nicht wahrscheinlich. Das kann sich aber mit wachsender Wut gegen die Regierung und anderen Entwicklungen ändern.
Der Hamas-Angriff vom 7. Oktober hat in der israelischen Gesellschaft einen Massenschock und Abscheu ausgelöst. Er versetzte der zionistischen Idee, dass der Staat Israel der jüdischen Bevölkerung Sicherheit bietet, einen schweren Schlag. Das Scheitern der jahrzehntelangen Unterdrückungspolitik der Rechten gegen die Palästinenser*innen, die angeblich notwendig waren, um jüdisches Leben zu schützen, ist offensichtlich geworden.
Die Regierung war schon vor dem Hamas-Angriff extrem unpopulär. Das hat sich in der starken Polarisierung in den historischen Massenprotesten seit Januar gegen sie gezeigt, auch wenn die Bewegung jetzt von einer Welle des Chauvinismus abgelöst wird. Die Entwicklung ist aber widersprüchlich. Minister*innen werden niedergeschrien und weggejagt, wenn sie Gemeinden, die von Hamas Massaker betroffen sind, besuchen. Die Stimmung gegen die Regierung richtet sich auch spezifisch gegen die rechtsextremen Teile der Koalition. Eine 19-Jährige Überlebende des Hamas Massakers versetzte sich in einem Video in die Lage der Menschen in Gaza: „Ich konnte meine zerstörte Ortschaft verlassen, während die Menschen in Gaza – nur wenige Kilometer entfernt – nirgendwo hingehen können. Netanjahu hat zu 100% Schuld an dieser Krise.“
Dazu kommt eine sich entwickelnde Rezession. Der Klassenwiderspruch entwickelt sich weiter mit Wut gegen die Banken, die trotz Rekordgewinnen nur geringe Spenden an Überlebende geleistet haben, und gegen Supermarktketten, die in Zeiten des Krieges ihre Preise erhöht haben.
Krise des Kapitalismus
Der Krieg ist das jüngste dramatische Ereignis, das eine neue Ära der globalen kapitalistischen Krise widerspiegelt. Er ist ein wichtiges Glied in der Kette der Kriege und Konflikte. Von der Ukraine über die Sahelzone bis hin zu Berg-Karabach entlarvt sich der Kapitalismus als ein System, das Not, Armut und Krieg hervorbringt.
Der Widerstand gegen Unterdrückung, Krieg und Besatzung wird lokal und international fortgesetzt. Im Westjordanland sehen wir Proteste, gegen den Krieg, die andauernde Unterdrückung durch das israelische Militär, aber auch gegen die kollaborierende palästinensische Behörde. Im Jahr 2021 hat die palästinensische Arbeiter*innenklasse ihre Kraft in einem Generalstreik im gesamten Gebiet, Westjordanland, Gaza und Israel, gezeigt, der auch weitere nationale Minderheiten wie Beduinen und Drusen mobilisierte. Die Gewerkschaften müssen international Solidarität zeigen und gegen kriegstreibende Regierungen kämpfen.
Wir unterstützen die Bildung lokaler demokratischer Komitees zur weiteren Planung von Demonstrationen, Streiks, aber auch der Selbstverteidigung vor israelischer Staats- und Siedler*innengewalt. Die nächsten Schritte des Kampfes gegen das Massaker in Gaza, die Besatzung und die systematische Unterdrückung von Palästinenser*innen müssen demokratisch und breit diskutiert werden.
Ein von Palästinenser*innen geführter Kampf für Selbstbestimmung und soziale Befreiung kann ein Beispiel für die Arbeiter*innenklasse in der ganzen Region sein. Wir sind für den Aufbau von Massenparteien, die den Kampf gegen Besatzung, Krieg und Armut auf beiden Seiten der Grünen Linie führen. Angesichts der Schrecken der blutigen Krise ist ein internationalistischer Kampf der arbeitenden Massen und der Jugend aller Gemeinschaften in der ganzen Welt, sowie der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung für einen sozialistischen Wandel notwendig.
Bild: Palestinian News & Information Agency (Wafa) | CC BY-SA 3.0