Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit der Umwidmung von 60 Milliarden Corona-Geldern für andere Zwecke hat zu einer Debatte um scharfe Kürzungen von Sozialausgaben geführt. FDP und Union verlangen Kürzungen beim Bürgergeld. Schon vor der 60-Milliarden-Lücke machte der Entwurf des Bundeshaushaltsplans 2024 klar: es wird überall gespart, außer beim Militär und Christian Lindners Porsche.
Von Monja Rehmke, Bremen
Die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) soll um 30% gekürzt werden, ein massiver Einschnitt in das ganze System der Integrationsförderung. Die MBE vermittelt Schutzsuchende in Sprachkurse, vermittelt Kinderbetreuung, hilft bei Verfahren zur Existenzsicherung und zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Auch ein Schlag ins Gesicht ist die Kürzung des Topfes für Psychosoziale Zentren für Geflüchtete um 60%. Gerade angesichts der stetig wachsenden Anzahl an Kriegs- und Krisensituationen, mit der wir uns global konfrontiert sehen, und der GEAS-Reform (der EU-weiten Beschneidung des Asylrechts) sind diese Kürzungen ein weiterer Schritt von vielen, Europa zu einer Festung zu machen, die sich weigert, Schutzsuchende aufzunehmen und ihnen ein würdiges Leben zu ermöglichen.
Ursprünglich sollten die Gelder für die Asylverfahrensberatung 2024 steigen. Der neue Entwurf stellt allerdings für das kommende Jahr nur die Hälfte zur Verfügung. Darüber hinaus soll dieser Betrag über die kommenden Jahre keine weiteren Veränderungen erfahren, was im Vergleich zur geplanten Aufstockung zu 80 Millionen Euro in 2026 einer Kürzung von 75% entspricht. Dabei ist gerade diese Beratung zu Anfang eines Asylverfahrens wichtig. Sie spielt eine große Rolle bei der Fähigkeit derjenigen, die Asyl beantragen, ihr Anliegen qualifiziert vorzubringen, so dass Asylanträge mit geringem Kosten- und Zeitaufwand bearbeitet werden können. Diese Kürzung belastet das gesamte bereits mangelhafte Aufnahmesystem und führt zu weniger erfolgreichen Asylanträgen – Abschottung durch bürokratisches Chaos.
Im Bildungsressort wird der Bereich unter dem Titel “Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, Nachwuchsförderung” um 1,6 Milliarden Euro gekürzt – ein ernüchterndes Ergebnis nach den Bildungsprotesten im September 2023, bei denen Zehntausende Menschen für ein Sondervermögen gegen die mangelhaften Zustände in Schulen und KiTas auf die Straße zogen.
Krise des Gesundheitswesens
Lindners Austeritätsprogramm zieht sich durch den gesamten sozialen Sektor und betrifft vor allem die, die am meisten Pflegearbeit bedürfen und geht zu Lasten der Menschen, vor allem Frauen, die diese Pflege leisten.
Statt den Gesundheitssektor wie dringend benötigt aufzustocken, plant der Bundeshaushalt der Ampel, ihn weiter um mehr als 8 Milliarden Euro zu kürzen. Es dauert derzeit 230 Tage, um eine Krankenpflegekraft zu ersetzen und 210 Tage in der Alterspflege. Krankenpflegekräfte betreuen im Schnitt 13 Patient*innen, in den Niederlanden sind es lediglich 6,9. Dabei ist vorhersehbar, dass der Bereich in Zukunft noch stärkerer Belastung ausgesetzt sein wird. Wir befinden uns in einer Epidemie von arbeitsbedingten Krankheiten und Beschwerden, ausgelöst durch eben solche Arbeitsbedingungen.
Die Pflegearbeit, die institutionell nicht mehr geleistet werden kann, fällt auf die Familien zurück, damit überwiegend auf Frauen, welche immer noch den größten Teil sowohl der bezahlten als auch der unbezahlten Pflegearbeit übernehmen. 82% der Alleinerziehenden sind weiblich und Frauen arbeiten überproportional oft in Teilzeit, um mit diesen Verteilungsproblemen einhergehenden Anforderungen gerecht zu werden. Gerade in Zeiten von Inflation und Krise als auch des Kaputtsparens von institutioneller Pflegearbeit beginnt ein Kreislauf von Überlastung und Prekarisierung.
Schlag ins Gesicht der Frauen
Zudem fallen wichtige Förderungsmöglichkeiten für Familien wie die Familienerholung laut Lindners Bundeshaushaltsentwurf 2024 gänzlich weg. Das betrifft 87 Stätten der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung, die 2024 nicht mehr staatlich gefördert werden. Dieser Bereich wird schlichtweg arbeitsunfähig.
Trotz aller Kritik an dem Konzept der Kindergrundsicherung handelte es sich beim ursprünglichen Vorschlag von Lisa Paus, Bildungsministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zumindest um eine kleine Verbesserung. Paus stellte zu Beginn der Verhandlungen klar, dass ihre beantragten 12 Milliarden Euro eher eine Untergrenze für das Projekt darstellen. Am Ende gab es 2 Milliarden. Es ist mit diesem Budget schlichtweg nicht möglich, allen Bedürftigen die versprochenen Leistungen zu garantieren, was bedeutet, dass davon ausgegangen wird, dass es Leute geben wird, die nicht die Leistungen beantragen, die sie brauchen. Dies wird am stärksten migrantische Arbeiter*innenfamilien betreffen.
Die Sache mit den kommenden Generationen …
Christian Lindner hält seine Kürzungen im Bundeshaushalt für den “Ausdruck des Verantwortungsgefühls gegenüber kommenden Generationen” – diejenigen Generationen, die in unterbesetzten Krankenhäusern auf einem brennenden Planeten geboren werden, um in KiTas lediglich aufbewahrt zu werden, in Schulen ihre mentale Gesundheit aufzugeben, um anschließend ohne Perspektive in die Welt von lebenslangem Existenzkampf zu stolpern. Die Generationen, für die Lindner sich so schrecklich verantwortlich fühlt, haben ihn satt.
Wir brauchen dringend massive Aufwertungsprogramme im gesamten sozialen Sektor, bedarfsgerechte gesetzliche Personalbemessung in der Pflege und familienfreundliche, gut bezahlte Jobs für alle. Die Ampel-Koalition stellt es dar, als hätte Deutschland seine Einkommensquellen erschöpft. Das milliardenschwere Sondervermögen für Aufrüstung würde von leeren Tellern zusammengekratzt. Aber das Geld ist da. Es ist in diesen 100 Milliarden, in klimaschädlichen Subventionen, es ist in den massiven Profiten, die deutsche Unternehmen auch wenn nicht noch mehr in Zeiten von Krise und Inflation machen, es ist in riesigen Einkommen und Erbschaften, alle davon extrem mangelnder Besteuerung ausgesetzt. Das Geld ist reichlich vorhanden. Es ist nur in den falschen Händen.