Mit massiven Traktor-Blockaden haben Landwirt*innen am 8. Januar große Teile des Verkehrs bundesweit lahmgelegt. Die Aktionen wurden breit getragen, Zehntausende beteiligten sich. Die Aktionen gegen die Streichung von Subventionen durch die Ampel-Regierung wurden auch von rechten Trittbrettfahrer*innen von der AfD bis zu den “Freien Sachsen” begleitet. Einige träumen schon vom Sturz der Regierung oder gar einem “Aufstand”. Handelt es sich um einen reaktionären Protest oder um eine berechtigte soziale Revolte, die sich mit den Aktionen der abhängig Beschäftigten und der Gewerkschaften wie z.B. den Streiks der GDL verbinden lässt? Und wer demonstriert überhaupt: Hoch subventionierte Agrar-Unternehme*innen oder kleine Selbstständige, die um ihre Existenz bangen müssen?
Tatsächlich beide Gruppen. Und alle dazwischen. Insgesamt arbeiten 938.000 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, davon 434.000 selbst Arbeitende in eigenen (Familien)-Betrieben, 229.000 abhängig Beschäftigte, die ganzjährig in Deutschland leben, und 275.000 migrantische Saisonarbeitskräfte. Gewerkschaften weisen immer wieder auf niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft hin. In den bürgerlichen Medien wird durchgehend von “Bauernprotesten” gesprochen, was die realen Unterschieden zwischen den beteiligten Gruppen vernebelt. Es gibt Familienbetriebe, die trotz des hohen Arbeitseinsatzes am Rande der Existenz wirtschaften und es gibt Großbetriebe mit Angestellten und Saisonkräften, die Landwirtschaft industriell betreiben.
Alle bäuerlichen Organisationen, ihrem Charakter nach überwiegend Interessensvertretungen kleinerer bis großer Unternehmer*innen in der Landwirtschaft, fordern eine Rücknahme der Kürzungen durch die Regierung, vom konservativen Deutschen Bauernverband, der als größter landwirtschaftlicher Dachverband v.a. die großen Agrarier vertritt, über das aktionistische Netzwerk “Land schafft Verbindung” bis zur etwa 2500 Mitglieder kleinen “Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL)”, die eher links und ökologisch aufgestellt ist und seit 2011 zu den Mitorganisator*innen der “Wir haben es satt!”-Proteste für eine ökologische Agrarwende gehört. Die ABL ruft allerdings nicht nicht flächendeckend zu den aktuellen Protesten auf.
Angehäufter Frust
Ursprünglich sollte die Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge beendet und die Subvention für Agrardiesel gestrichen werden. Nach den ersten Protesten Ende 2023 wurde die Besteuerung zurückgenommen. Die Steuerbefreiung beim Agrar-Diesel wird nicht sofort, sondern schrittweise in drei Jahren aufgehoben. Für die großen Agrar-Unternehmen geht es um viel Geld. Für die kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe bedeutet es trotz zuletzt guter Gewinne eine weitere Belastung. Die Energiekosten sind bereits massiv gestiegen, die Regierung hat zudem die Erhöhung der CO2-Steuer beschlossen. Die Erzeugerpreise hingegen stagnieren. Sie werden von den großen Lebensmittelkonzernen wie Aldi, Lidl oder Rewe diktiert. Diese verdienen durch Masse und können sich leisten, eine schmale Marge auf jedes Produkt zu haben. Sie geben den Preisdruck an die Landwirtschaft weiter.
Dass die Proteste mit so viel Wucht erfolgen, liegt nicht nur an der Streichung von Subventionen. Landwirtschaft wird inzwischen mehr oder weniger industriell betrieben. Um die schlimmsten Auswirkungen auf die Umwelt abzumildern, wurden immer mehr Verordnungen erlassen. An dem Grundproblem, z.B. am Insektensterben, ändert das nichts. Aber der bürokratische Aufwand, um all die Verordnungen und Gesetze zu beachten, belastet und benachteiligt die kleinen und mittleren Betriebe relativ am meisten.
Union, AfD und Faschist*innen stellen es so dar, als würde die Ampel-Regierung eine “übertriebene” Klimapolitik machen. Auch die Regierung hat ein Interesse, einen Zusammenhang zur Klimapolitik zu ziehen und die Streichung der Steuererleichterung für Diesel als Begrenzung von “Fehlanreizen” darzustellen. Doch es handelt sich um eine schlichte finanzielle Kürzungsmaßnahme, die nichts mit dem notwendigen ökologischen Umbau der Landwirtschaft zu tun hat.
Kaputte Agrarpolitik
Es gibt keine realistischen Alternativen für Landwirt*innen, den Einsatz von dieselgetriebenen Fahrzeugen zu reduzieren. Elektrische Varianten sind noch nicht bezahlbar, zudem stehen sie noch nicht in großer Zahl zur Verfügung. Diesel ließe sich wohl bei der Unkrautbekämpfung einsparen, die gerade in der ökologischen Landwirtschaft mit mechanischen Geräten vollzogen wird. Die Alternative dazu wäre aber der verstärkte Einsatz von Pestiziden.
Dass die Steuervorteile für Agrardiesel so wichtig für viele bäuerliche Betriebe ist, ist ein Produkt der reaktionären Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte, die in Deutschland und der EU vor allem von konservativen Parteien wie der CDU/CSU bestimmt wurde. Die gesamte Landwirtschaft ist ein riesiges System von “Fehlanreizen”. Größere Unternehmen wurden durch Subventionen bevorzugt, der Einsatz von Pestiziden und anderen zerstörerischen Systemen wurde belohnt. Teile der Landwirtschaft und der Lebensmittelerzeugung beruhen auf der extremen Ausbeutung von migrantischen Arbeiter*innen aus Osteuropa, so die Fleischerzeugung oder die Spargelernte. Von den Löhnen, die dort gezahlt werden, können Menschen bei deutschen Preisen schlicht nicht existieren.
Initiative von links nötig
Die Rücknahme der Kürzungspläne würde daran nichts ändern. Doch deren Durchsetzung durch die Regierung würde die Lage zusätzlich verschlechtern. Daher sollten Linke und Gewerkschafter*innen die Forderungen der bäuerlichen Verbände nach einer Rücknahme der Streichung der Subventionen unterstützen. Das muss verbunden werden mit Aufrufen gegen die Streichung der Gas- und Strom-Preisbremsen für private Verbraucher*innen und der Forderung, dass mit der Erhöhung der CO2-Preise sofort ein Klimageld einzuführen ist, welches Armen, Gering- und Durchschnittsverdiener*innen zu Gute kommen muss.
Linke und Gewerkschafter*innen sollten die Forderungen allerdings nicht unkritisch unterstützen. An den Aktionen nehmen sowohl kleine und kleinste Selbstständige teil, deren Probleme denen der Arbeiter*innenklasse ähneln, als auch mittlere und große Unternehmer*innen, die garantiertes Geld vom Staat haben wollen, um ihre Profite zu sichern. Abhängig Beschäftigte treten in der Protestbewegung nicht unabhängig auf, sondern protestieren mit ihren Arbeitgeber*innen. Die Frage einer Umverteilung innerhalb der Landwirtschaft von den wohlhabenden Bäuer*innen hin zu den kleinen Betrieben muss daher aufgeworfen werden. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat z.B. vorgeschlagen, dass nur Betriebe die steuerlichen Vergünstigung bekommen, die unter 10.000 Liter Diesel im Jahr verbrauchen.
Der klimagerechte Umbau der Landwirtschaft und die Sicherstellung der nachhaltigen Produktion von bezahlbaren und gesunden Lebensmitteln für alle erfordert sowohl staatliche Investitionen in Technik und Personal (mit guten Löhnen und Arbeitsbedingungen). Wir brauchen eine ganz andere Landwirtschaft. Die heutige Form ist nicht nachhaltig sondern zerstörerisch. Die großen Agrar- und Handelskonzerne, die Fleischindustrie, die Spritz- und Düngemittelindustrie, müssen enteignet und in gesellschaftliches Eigentum überführt werden. Staatliche Subventionen für echte bäuerliche Betriebe müssen an zwei Bedingungen geknüpft werden: die Landwirtschaft muss nachhaltig umgestaltet werden und die betrieblichen Bilanzen müssen offen gelegt werden, um zu ermitteln, wer wirklich Unterstützung braucht. Gleichzeitig brauchen wir eine demokratische gesellschaftliche Debatte, wie alle Aspekte unter einen Hut gebracht werden können: gesunde Umwelt, gesunde und bezahlbare Nahrungsmittel, Tierwohl, finanzielle Absicherung bedürftiger Bäuer*innen.
Rechtsverschiebung bei Wahlen
Der kleinbürgerliche Charakter der bäuerlichen Bewegung macht es für rechte Kräfte so attraktiv, daran anzudocken. Unter dem Deckmantel, “für das Volk” oder “die kleinen Leute” zu sein, intensivieren sie ihre Propaganda gegen die Ampel, um diese durch eine noch rechtere Regierung abzulösen. Sie schlagen gemeinsame Proteste von Speditionsfirmen und Agrarbetrieben für ein Recht auf fossile Brennstoffe und allgemein gegen Klima- und Umweltschutz vor. Anders als bei gewerkschaftlichen Protesten gibt es bei den bäuerlichen Aktionen keine innere Dynamik einer solidarischen, multiethnischen Selbstorganisation von Arbeiter*innen, die einen Schutzwall gegen die Rechten bildet.
In Opposition zum Bauernverband ist in den letzten Jahren das Netzwerk “Land schafft Verbindung” entstanden, das mehr auf Aktion und Protest setzt und einen Teil der Blockaden organisiert. Dort sind nicht überwiegend die Großbauern, sondern mittlere oder kleine Betriebe vertreten. Dort gibt es sowohl rechte Einflüsse, aber auch örtliche Gruppen, die sich davon distanzieren.
Linke und Gewerkschafter*innen sollten die – tatsächliche – Gefahr des rechten Einflusses nicht zum Anlass nehmen, die bäuerlichen Proteste abzulehnen und sich gar schützend vor die Ampel-Regierung stellen. Damit würden sie AfD und Co. nur die Propaganda erleichtern. Das grüne Jubelblatt taz titelte “Mähdrescher-Mob will auf die Straße” und lieferte damit eine Steilvorlage für rechte Kräfte.
Mit einer Initiative von links, mit einer kritischen Unterstützung und indem Gewerkschaften und Linke die Verbindung zu anderen Kürzungen ziehen, die vor allem Arbeiter*innen betreffen, könnten die bäuerlichen Aktionen dazu beitragen, dass sich die Idee verbreitet, Angriffe auf den Lebensstandard nicht mehr hinzunehmen und sich gegen die Zumutungen seitens der Regierung und der Konzerne zu wehren.
Ohne diese deutliche Initiative seitens der organisierten Arbeiter*innenbewegung werden die bäuerlichen Aktionen – vielleicht von Teilen der Bauernschaft gewollt, aber auch unabhängig von den Zielen der Protagonist*innen – vor allem Richtung rechts wirken und Union und AfD stärken. Deren verlogene Erzählung, sie würden die “kleinen Leute” gegen die Ampel mobilisieren, bekommt weiteres Futter. Das trägt im Vorfeld der Wahlen 2024 (EU, Landtage) zur Rechtsverschiebung bei. Allerdings gilt: Widerstand und Selbstorganisation von unten sind die besten Mittel sowohl gegen SPD-FDP-Grüne als auch gegen eine kommende CDU-geführte Regierung, die ebenfalls im Interesse der Konzerne – und des deutschen Militarismus – Kürzungen durchsetzen und die Lasten der Krise der arbeitenden Klasse aufbürden wird.