In den letzten Monaten hat sich der Streit zwischen den Philippinen und China um die Souveränität über Inseln und Felsen im Südchinesischen Meer – die Regierung in Manila nennt es “Westphilippinisches Meer” – deutlich verschärft. Schiffe der Küstenwache beider Seiten haben sich mit Wasserwerfern und Lasern attackiert, in mindestens einem Fall wurde ein gegnerisches Schiff gerammt. China wendet häufig Taktiken an, die unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs bleiben, um nicht den Beistandspakt zwischen den USA und den Philippinen auszulösen.
Von Hong Liuxing und Adam N. Lee, chinaworker.info
Beide Regierungen haben wirtschaftliche, aber auch politische Gründe, in ihren Streitigkeiten bezüglich der Seegrenzen eine harte Linie zu verfolgen. Vier weitere Regierungen (Brunei, Malaysia, Taiwan und Vietnam) erheben ebenfalls Anspruch auf einige oder sämtliche Inselgruppen im Südchinesischen Meer. Die Übernahme der Kontrolle über die unbewohnten Inseln untermauert die rechtlichen Ansprüche einer Regierung auf die umliegenden Gewässer mit ihren Fischbeständen und den potenziell riesigen Mineralvorkommen unter dem Meeresboden.
Das tatsächliche “Eigentumsrecht” ist meist umstritten und wird nicht durch internationale Verträge oder Gesetze anerkannt. Die sogenannte “Neun-Strich-Karte” des chinesischen Regimes (kürzlich auf zehn Striche erweitert), mit der dieses Anspruch auf 90% des Südchinesischen Meeres erhebt, wurde 2016 vom Ständigen Schiedshof in Den Haag zurückgewiesen. Peking weigerte sich, das Urteil anzuerkennen. Dies ermöglichte der US-Regierung, Chinas Vorgehen als “illegal” darzustellen. Ironischerweise weigern sich die USA selbst, das UN-Seerechtsabkommen (UNCLOS) zu unterzeichnen, das als Grundlage für die Entscheidung des Tribunals diente.
Militärische Erwägungen an erster Stelle
Die geostrategische und militärische Dimension hat Vorrang gegenüber den wirtschaftlichen Ambitionen. Mit der Wahl von Ferdinand Marcos Jr., dem Sohn des verstorbenen, von den USA unterstützten Diktators, zum Präsidenten haben sich die Philippinen wieder auf die USA, ihren traditionellen militärischen Verbündeten, zubewegt. Dies ist eine scharfe Abkehr von der Politik seines Vorgängers im Malacañang-Palast, des “asiatischen Trump” Rodrigo Duterte, der sich mit Xi Jinping anfreundete und versuchte, eine Gratwanderung zwischen den beiden Supermächten zu vollziehen.
Seit 2019 haben die Regierungen Trump und Biden erklärt, dass die Ansprüche der Philippinen in den umstrittenen Gebieten vom US-Verteidigungsvertrag mit Manila, dem ältesten Bündnis in der Region, geschützt werden. Während der jüngsten Eskalation der Feindseligkeiten haben die USA ihre Rhetorik verschärft. Ende Oktober warnte Biden Peking, dass der US-Verteidigungspakt auch Angriffe auf philippinische Schiffe einschließt, was die Möglichkeit eröffnete, dass US-Streitkräfte zur Unterstützung der Philippinen eingreifen könnten, wenn deren Boote von der chinesischen Küstenwache bedrängt werden. “Jeder Angriff auf philippinische Flugzeuge, Schiffe oder Streitkräfte berührt unseren Vertrag zur gegenseitigen Verteidigung mit den Philippinen”, sagte der US-Präsident.
Hintergrund dieser Konflikte ist die “Strategie der ersten Inselkette”. Diese wurde vom US-Imperialismus zur Eindämmung Chinas (und Russlands) während des Koreakriegs Anfang der 1950er zu Beginn des ursprünglichen Kalten Krieges zwischen dem westlichen Kapitalismus und dem Stalinismus entwickelt. Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass Bidens Regierung, das US-Militär und andere regionale Akteure wie Japan die neue philippinische Regierung dazu ermutigen, bezüglich der umstrittenen Gebiete hart gegenüber China aufzutreten.
Gefährliche Dynamik
Diese Taktik ist nicht ungefährlich. Es gibt viele Möglichkeiten für Missverständnisse und sogar die Gefahr, dass Aktivitäten der “Marionette” Philippinen auf den “Puppenspieler” USA zurückfallen. Es könnte sich für den US-Imperialismus eine ähnlich alptraumhafte Lage entwickeln wie im Nahen Osten, wo ein regionaler Krieg möglich ist und klar wird, dass Washington das rechtsextreme israelische Regime nicht wirklich unter Kontrolle hat.
Das Süd- oder Ostchinesische Meer könnte das erste direkte Schlachtfeld des Machtkampfes zwischen China und den USA werden. Eines der beiden Regime könnte darauf spekulieren, hier der anderen Seite eine militärische “Lektion” zu erteilen und sie zum Zurückweichen zu zwingen, ohne dabei das Risiko einer unkontrollierten Eskalation einzugehen.
Auf den umstrittenen Inseln gibt es keine Zivilbevölkerung, so dass die Gefahr direkter “Kollateralschäden”, die Druck für eine weitergehende militärische Aktion aufbauen könnten, gering ist. Ein Generalstab könnte daher zu dem Schluss kommen, dass dieses Szenario weniger riskant ist als beispielsweise die Invasion Taiwans zu starten – oder abzuwehren. Aus den oben erläuterten Gründen sind jedoch alle diese Szenarien mit Gefahren verbunden, die gegen ihre Urheber zurückschlagen könnten. Der Konflikt im Südchinesischen Meer kann nur als logische Folge des Kampfes um die Kontrolle Taiwans verstanden werden, wobei beide imperialistischen Mächte ein strategisches Schachspiel zur Stärkung ihrer Positionen spielen.
Marxist*innen lehnen die militärische Expansion Chinas in der Region ab, und wir wenden uns gleichzeitig gegen den Slogan des US-Imperialismus, für die “Freiheit der Meere” aufzurüsten, auch dabei handelt sich es sich um eine klare imperialistische Aggression. Wir treten für eine gemeinsame demokratische Kontrolle des Südchinesischen Meeres durch die Völker der Anrainerstaaten und anderer Nachbarländer ein, um die natürlichen Ressourcen des Meeres vollständig zu entmilitarisieren, gemeinsam zu verwalten, zu schützen und zu entwickeln. Eine solche friedliche Win-Win-Lösung ist unter kapitalistischen Regimen unmöglich. Daher eskaliert der Konflikt, während die Ozeane als Ökosysteme durch den kapitalistischen Klimawandel und die Überausbeutung rapide absterben.
Sozialistische Föderation
Nur durch eine sozialistische Föderation Ostasiens, die auf gleichen und demokratischen Rechten beruht, könnte dieser zerstörerische Kreislauf beendet werden. Letztendlich ist das Gerangel des Kapitalismus um Ressourcen – Gas, Öl, Fisch – zweitrangig gegenüber dem erbitterten Kampf um militärischen Raum und strategische Positionen in Vorbereitung auf einen zukünftigen Krieg zwischen den USA und China.
Eine Frage dabei ist, ob China sein Ziel erreicht, seine Seestreitkräfte in eine Hochseemarine umzubauen, um wie die USA globale Macht demonstrieren zu können. Ein Krieg um das Südchinesische Meer wäre nicht in erster Linie ein Ressourcenkrieg, sondern ein Kampf um die militärische Vorherrschaft.
Vor mehr als einem Jahrzehnt (bevor Xi Jinping an die Macht kam) begann China, seine maritimen Ansprüche aggressiver geltend zu machen. Militärbasen auf künstlichen Inseln, die sogenannte “Große Mauer aus Sand”, wurden errichtet. Andere Anwärterstaaten betreiben ähnliche Aktivitäten, nur nicht in einem vergleichbaren Ausmaß. Auch mit den Philippinen kam es zu Konflikten über Fischereirechte, zum Beispiel 2012, als China Manila die Kontrolle über das Scarborough-Riff (Huangyan Dao) entriss.
Im selben Jahr brach unter Hu Jintao der Konflikt um die Senkaku/Diaoyu-Inseln aus, der massive nationalistische Proteste in Japan und China auslöste. Einige dieser im wesentlichen reaktionären, militaristischen Proteste gerieten dem chinesischen Regime außer Kontrolle. Aus diesem Konflikt heraus begann die 2007 gegründete “Quad” (Quadrilateraler Sicherheitsdialog) Gestalt anzunehmen. Japans Abe setzte sich für eine “demokratische Sicherheitsraute” gegen China ein, bestehend aus Japan, Indien, den USA und Australien.
Der damalige philippinische Präsident Duterte fühlte sich, wie viele führende Politiker*innen im globalen Süden, von Chinas über Verschuldung finanzierten Infrastrukturplan, der Belt and Road Initiative (BRI, auch “Neue Seidenstraße” genannt), angezogen. In der “Großen Halle des Volkes” in Peking begeisterte Duterte die Würdenträger der sogenannten “Kommunistischen Partei Chinas” (KPCh), als er erklärte: “An diesem Ort, verehrte Gastgeber, verkünde ich meine Trennung von den Vereinigten Staaten, sowohl militärisch, nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich … vielleicht werde ich auch nach Russland gehen, um mit Putin zu sprechen und ihm zu sagen, dass wir drei gegen die Welt sind, China, die Philippinen und Russland.”
“Belt and Road”-Initiative verliert an Schwung
Das war im Jahr 2016. Zwei Jahre später waren jedoch nur Projekte im Wert von 160 Millionen Dollar in Angriff genommen worden. Die Wiedereingliederung der Philippinen in die US-Umlaufbahn ist ein Rückschlag im imperialistischen Machtkampf für China. Im Oktober kündigte die Marcos-Regierung an, die Zusammenarbeit mit Chinas BRI bei drei großen Eisenbahnprojekten zu beenden und sich für die Finanzierung an Japan und Indien zu wenden.
Auch wenn dieser Schritt keinen formellen oder vollständigen Ausstieg aus der BRI bedeutet, so ist er doch ein schwerer Schlag für den Ruf von Xis Regime. Am 10. Jahrestag des BRI-Gipfels in Peking, der ebenfalls im Oktober stattfand, nahm Marcos nicht teil. Tatsächlich nahmen nur 23 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt an dem Gipfel teil, fünf Jahre zuvor waren es noch 37 gewesen.
Obwohl China versuchte, die Philippinen vom US-Lager wegzulocken, hatten Marine und Küstenwache nicht aufgehört, philippinische Fischer zu schikanieren. Diese Aktionen gefielen dem nationalistischen Publikum in China. Noch bevor Marcos an die Macht kam, hatte Duterte bereits begonnen, sich von China zu entfernen. Anfang 2023 konnte die Regierung Biden mit der Einrichtung von vier neuen Militärstützpunkten im Norden der Philippinen einen wichtigen Erfolg gegen China erringen. Diese Basen sind wie unsinkbare US-Flugzeugträger.
Als Biden im August 2023 mit dem südkoreanischen Minister Yoon und dem japanischen Minister Kishida zusammentraf, stand das Südchinesische Meer erneut im Mittelpunkt. Die drei Staatsoberhäupter bekräftigten das Haager Urteil von 2016 gegen Chinas “Neun-Striche-Karte”. Der indische Regierungschef Modi verpflichtete sich ebenfalls, diese Entscheidung zu verteidigen. Das war das erste Mal, dass die indische Regierung einen solchen Standpunkt einnahm.
Die militärische Aufrüstung des KPCh-Regimes im Südchinesischen Meer und ähnliche Schritte im Ostchinesischen Meer sind Teil einer Strategie zur “allmählichen Aushöhlung” der Ansprüche anderer regionaler Staaten – Philippinen, Malaysia, Vietnam – mit dem Hauptziel, es dem US-Imperialismus zu erschweren, seinerseits militärische Kraft aufzubauen und schließlich vom Meer aus Krieg gegen China zu führen.
Dies mag zwar aus militärischer Sicht sinnvoll sein, ist aber politisch gesehen völlig kontraproduktiv. Wenn überhaupt, dann treibt Chinas Militarisierung der Meere andere regionale Regierungen in die Hände der USA. Dies gilt nicht nur für die Philippinen, sondern auch für Vietnam und Indonesien, das mit China knapp außerhalb des Südchinesischen Meeres Streitigkeiten über die Natuna-Inseln hat. Die indonesische und die malaysische Regierung haben vor kurzem ihre maritimen Streitigkeiten beigelegt, so dass sie nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen, aber immer noch zu denen Chinas.
Diese Prozesse finden in einem völlig neuen Kontext statt. Wie die Ukraine und Israels Krieg gegen Gaza zeigen, nehmen die militärischen Konflikte zwischen den Staaten heute aufgrund des Neuen Kalten Krieges zwischen dem US-amerikanischen und dem chinesischen Imperialismus einen qualitativ komplexeren und “globalisierten” Charakter an.
US-Imperialismus in Bedrängnis
Der US-Imperialismus stand auch vor Israels Krieg gegen Gaza vor ernsten Problemen im Nahen Osten. Dieser erzeugte zusätzlichen Druck für den “Weltpolizisten”, Militär in die Region zu verlegen. Eigentlich planen die USA, mehr Streitkräfte in den sogenannten “indopazifischen Raum” zu verlagern. Selbst als größte Militärmacht der Welt laufen die USA Gefahr, dass die militärischen Kapazitäten durch die dreifache Belastung der Ressourcen (Ukraine, Israel und Taiwan) zu sehr ausgedünnt werden.
Chinas Militär hat den offensichtlichen Vorteil, dass sich die umkämpfte Zone in Küstennähe befindet, während die USA über große Entfernungen operieren müssen. Die chinesische Kapazität im Schiffbau ist im Vergleich zu den USA dreimal so groß. Dies steht im Widerspruch zu den oft zitierten offiziellen Zahlen, nach denen die chinesischen Militärausgaben viel geringer sind als die der USA. In Wirklichkeit sind Chinas Ausgaben weitaus höher als die angegebenen Zahlen, eventuell 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr statt der offiziellen 300 Milliarden US-Dollar.
Dies ist auf die Politik der “militärisch-zivilen Fusion” der KPCh zurückzuführen. Viele Privatunternehmen, die zivile Güter herstellen, sind auch als Rüstungsunternehmen tätig. Ein Beispiel dafür sind die gigantischen “Schwimmenden Parkhäuser”, die derzeit gebaut werden, um Chinas enorme Überkapazitäten an E-Autos zu exportieren. Diese Containerschiffe könnten im Falle einer Invasion Taiwans auch für den Transport großer Mengen von Panzern und anderer militärischer Ausrüstung verwendet werden.
Während die militärische Position der USA durch China in dieser Region bedroht ist, ist das tatsächliche militärische Gleichgewicht der beiden Mächte auf See so lange fraglich, bis es in einem echten Kampf getestet wird. Ein Artikel aus dem Jahr 2021 mit dem Titel “Yes, The Chinese Navy Has More Ships Than The US Navy. But It’s Got Far Fewer Missiles” (“Ja, die chinesische Marine hat mehr Schiffe als die US Navy, aber viel weniger Raketen”), der vom Sagamore Institute, einer US-amerikanischen Denkfabrik, veröffentlicht wurde, argumentiert, dass es bei diesem Vergleich um mehr geht als um die Anzahl der schwimmenden Einheiten. Die wirklich wichtige Vergleichszahl ist die der Abschussvorrichtungen für Raketen. Die US-Marine kann theoretisch mehr als doppelt so viele Raketen transportieren wie Chinas Flotte.
Das sind die grotesk verdrehten Prioritäten des Kapitalismus. Der AUKUS-Pakt der USA mit Großbritannien und Australien ist ein weiteres Beispiel. Die gesamte Region um das Südchinesische Meer wird bis zum Äußersten militarisiert. Der 10-köpfige ASEAN-Block hat seinen jährlichen Rüstungsetat in diesem Jahrhundert auf 43,2 Milliarden US-Dollar verdoppelt. Diese Summe entspricht dem Dreifachen des Bildungsbudgets der Philippinen – einem Land, in dem ein Fünftel der Kinder nicht zur Schule geht.
Die Klimakrise ist auch im Südchinesischen Meer gravierend. Mehr als 500 Korallenriffe sind in den letzten Jahren infolge der steigenden Meerestemperaturen abgestorben oder irreversibel geschädigt worden. Dieses Meer liefert Nahrung für Millionen von Menschen, aber die Masse einiger Fisch- und Meeresarten wird bei den derzeitigen globalen Klimatrends bis 2050 um 90% schrumpfen.
Marxist*innen in allen Ländern der Region müssen versuchen, Kämpfe gegen Nationalismus, Kapitalismus und Imperialismus anzustoßen und zu führen und eine politische Alternative der Arbeiter und der unterdrückten Völker aufzubauen, um für den internationalen Sozialismus zu kämpfen.