1,5 Millionen Menschen protestierten am Wochenende des 19.-21. Januar in der größten Demonstrationswelle in der Geschichte der Bundesrepublik gegen die extreme Rechte. 350.000 in Berlin, 130.000 in Hamburg, 200.000 in München, dazu gab es weit über 100 Demonstrationen auch in kleineren Orten wie Eitorf, Buxtehude oder Spremberg. Sie zeigen die breite Empörung über die Deportationspläne der AfD und den Rechtsruck allgemein.
In vielen Orten haben sich Politiker*innen bürgerlicher Parteien an die Spitze der Proteste gestellt. Bürgermeister*innen und Minister*innen beschworen die „Einheit der Demokrat*innen“ gegen die AfD. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezeichnete die Demos als “gelebten Verfassungsschutz” und vereinnahmte damit die Teilnehmenden für den Inlandsgeheimdienst, der häufig bei rechten Terroristen weggeguckt hat (Stichwort NSU-Skandal). Sie alle stellen die Bewegung als Verteidigung der bestehenden Verhältnisse, im Falle der Ampel-Parteien auch der Regierung gegen die AfD dar.
Regierungspolitik stärkt AfD
Doch gerade wegen dieser Verhältnisse und der Politik der Ampel konnte die AfD zur zweitstärksten Partei werden. Durch sinkende Reallöhne, steigende Mieten und Sozialabbau ist, besonders in Ostdeutschland, Frustration und Wut entstanden. Vor dem Hintergrund zunehmende Unsicherheit weltweit wächst auch im Kleinbürgertum und unter Facharbeiter*innen der Verdacht, dass für sie die Gefahr des sozialen Abstiegs droht.
Die AfD hat der arbeitenden Bevölkerung, Erwerbslosen und Rentner*innen in ihrem Programm zwar nichts anzubieten, aber es genügt auch, sich als einzige Anti-Establishment-Kraft zu präsentieren. Gleichzeitig profitiert die AfD von der Welle des Nationalismus, den alle Parteien von den Grünen bis zur Union propagieren, und vom rechten Kulturkampf, zum Beispiel gegen die Klimabewegung und den Feminismus, bei dem die CDU/CSU an der Spitze steht.
Seit Monaten stellen die etablierten Parteien Migration als größtes Problem in Deutschland dar und machen sie für soziale Probleme wie Wohnungsnot oder die Situation an vielen Schulen verantwortlich. Sie betreiben seit der sogenannten „Zeitenwende“ 2022 massive Aufrüstung, militärisch, polizeilich an den Grenzen und ideologisch nach innen, wenn sie von der „Verteidigung“ gegen Nationen oder bestimmte Bevölkerungsgruppen reden. Seit Beginn des Krieges in Gaza kommt noch Hetze gegen Araber*innen hinzu, mit Forderungen nach Abschiebungen und Einschränkung politischer Rechte.
Durch das gerade beschlossene “Rückführungsverbesserungsgesetz” und geplante Lager an EU-Außengrenzen wird der staatliche Rassismus verschärft. Zur Begründung wird oft behauptet, man müsse die Forderungen der Rechten teilweise erfüllen, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch die Übernahme ihres Narrativs bewirkt das Gegenteil – die AfD und ihre (potentiellen) Wähler*innen fühlen sich bestätigt.
Klassenkampf gegen Rassismus
Wir brauchen eine Bewegung, die der AfD den Nährboden entziehen kann. Sie muss gegen staatlichen Rassismus und für soziale Verbesserungen kämpfen, um die Verhältnisse zu überwinden, von denen rechte Kräfte profitieren.
Dabei spielen die Gewerkschaften eine zentrale Rolle. Sie bringen Arbeiter*innen mit und ohne Migrationshintergrund zusammen und erklären ihren Mitgliedern den Interessengegensatz zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen. Sie müssen bei den Demonstrationen deutlich machen, dass nicht Geflüchtete Schuld an Wohnungsnot und kaputt gesparten Schulen sind, sondern Politik im Interesse der Konzerne. Dass die Grenze in der Gesellschaft nicht zwischen „Deutschen“ und „Ausländer*innen“ verläuft, sondern zwischen der Masse der Arbeitenden, Rentner*innen und Erwerbslosen und der herrschenden Klasse der Kapitalist*innen.
Die Partei Die Linke muss sich entscheiden, ob sie die Proteste passiv unterstützt und sich als weitere „demokratische Partei“ neben SPD und Grüne stellt oder sich von ihnen abgrenzt, mit eigenen Forderungen eingreift und sich klar gegen Kürzungspolitik und staatlichen Rassismus positioniert.
Chancen, die AfD in die Defensive zu drücken
Wenn die Proteste inhaltlich und in der Außenwahrnehmung von den regierenden Parteien angeführt werden,werden sie der AfD am Ende nicht schaden. Dann steht weiterhin eine perspektivlose Ampel-Regierung, die ihre Politik fürs Kapital auch noch grotesk ungeschickt verkauft, der AfD gegenüber; dazwischen laviert die Union. Eine Regierungsbeteiligung der AfD rückt näher, möglicherweise mit einer zunächst inoffiziellen Duldung einer CDU-Minderheitsregierung in einem östlichen Bundesland.
1,5 Millionen auf der Straße haben den Mythos, die AfD repräsentiere die “schweigende Mehrheit”, eindrucksvoll widerlegt und viele ermutigt. Es gibt ein riesiges Potenzial für aktiven Widerstand gegen den Rechtsruck. Das muss nun genutzt werden, zum Beispiel durch konkrete Aktionen gegen die AfD in den kommenden Wahlkämpfen.
Viele Menschen wünschen sich solidarische Lösungen der riesigen Probleme und Krisen von sozialer Ungerechtigkeit bis Klimakatastrophe. Im Trommelfeuer der Propaganda der bürgerlichen Parteien, die ihre Positionen als alternativlos darstellen, fehlt es ihnen jedoch an politischer Repräsentation. Die aktuellen Massenproteste können helfen, das Gefühl der Machtlosigkeit zu überwinden und dazu beitragen, positive Forderungen zu formulieren: Umverteilung von oben nach unten statt Sozialabbau und staatlichen Rassismus; Antimilitarismus statt “Kriegstüchtigkeit”, Waffenstillstand statt Waffenlieferungen in Ukraine und Gaza; Planung im Interesse von Mensch und Natur statt Klimakollaps als Folge der Profitmaximierung.
Foto: Stefan Müller (CC-BY-NC 2.0 DEED)